Deutscher Student vor Gericht in Wien: Im Schwarzen Block gegen den Burschenball

Erstveröffentlicht: 
08.06.2014

Ist er ein Gewalttäter, der Wien in ein "Kriegsgebiet" verwandelte? Oder als linker Deutscher nur das Bauernopfer für Österreichs Justiz? Die Anklage müht sich, Student Josef S. als Rädelsführer der Akademikerball-Krawalle darzustellen. Beweise hat sie keine.

 

Schmächtig sieht der Jenaer Student Josef S. aus, in seinem rundlichen Jungengesicht trägt er eine schwarze Brille, als er am Freitagvormittag vor seinen österreichischen Richter tritt.

 

Am Freitagvormittag, nach vier Monaten in U-Haft, will S. offenbar brav aussehen. Er trägt einen eng sitzenden Anzug und einen gestreiften Schlips. Neben der Metallfessel an seinem Handgelenk baumelt ein rot-grün-gelbes Reggae-Freundschaftsbändchen. In jeder Prozesspause werden ihm die Handschellen wieder angelegt. Ein älteres Bild, in einem "Vice"-Artikel veröffentlicht, zeigt Josef S. ganz anders: Als Jungen mit verstrubbelten Haaren und Brille, auf dem T-Shirt die Aufschrift "Everyone is gay".

S. soll führend an Ausschreitungen des Schwarzen Blocks am 24. Januar gegen den Burschenschafterball der rechten FPÖ beteiligt gewesen sein, glaubt die Staatsanwaltschaft. 6000 Gegendemonstranten gegen einige Hundert Ballbesucher, beschützt von 2000 Polizisten - so sah das Kräfteverhältnis in etwa aus. Während in der Wiener Innenstadt gegen Rechtsextremismus demonstriert wurde, freuten sich Burschen und Alte Herren in der Wiener Hofburg über jede Meldung von eingeworfenen Scheiben.

Den Gefallen, die Demo gegen rechts zur Randale zu nutzen, tat ihnen eine Gruppe von Vermummten, viele davon aus Deutschland angereist: Sie warfen mit Steinen und zerstörten Fensterscheiben und Polizeifahrzeuge. Polizisten, Demonstranten und Journalisten wurden in der Winternacht verletzt.

 

"Rädelsführer, Demonstrantensöldner, Manifestant"

Gleich zu Beginn des Gerichtsverfahrens will sich S. erklären. Warum reist einer von Jena nach Wien, um gegen ein von Rechtspopulisten veranstaltetes Tanzvergnügen zu protestieren? S. sagt, er komme "aus einer Gegend, wo es zum guten Ton gehört, sich an Demonstrationen gegen die zu beteiligen, die Andersdenkende diskriminieren". Dabei hält er den Kopf gesenkt. Zu Hause in Jena ist er bei den Falken aktiv, einer SPD-nahen, linken Jugendgruppe.

Für Staatsanwaltschaft Hans-Peter Kronawetter tut der Student nur harmlos. Der Deutsche sei nicht weniger als der "Rädelsführer" der Tumulte gewesen, die an "Kriegsgebiete" erinnern würden. Auch die achtseitige Anklageschrift liest sich martialisch: Josef S. heißt dort mal "Demonstrantensöldner", mal "Manifestant".

Für seine Unterstützer von der Antifa ist S. dagegen nur das "Bauernopfer für einen misslungenen Polizeieinsatz". Unstrittig ist jedoch, dass S. mit einem Bus aus Leipzig zur Demo gefahren war. Er trug eine schwarze Kapuzenjacke und war inmitten der Randalierer. Auf der Rückseite der Jacke prangte ein Schriftzug, "BOYKOTT", in weißen Lettern. Damit war S. unterscheidbar von der anonymen Masse der Schwarzvermummten und liefert der Staatsanwaltschaft damit eine Begründung für seine Rädelsführerschaft: Weil S. so gut erkennbar war, sei er auch der Anführer gewesen.

Die Belege hierfür sind dürftig: Ein Zeuge, Zivilpolizist im Einsatz, will S. gesehen haben, wie er vor anderen Demonstranten "gestikulierende Anweisungen" gegeben habe. Dann sei er an der Spitze einer Gruppe auf einen Sperrriegel der Polizei losgegangen und haben einen Abfalleimer und Steine geworfen.

Die Staatsanwaltschaft schreibt, die Attacken seien gezielt gegen einzelne Beamte gerichtet gewesen. Allerdings könne von den so Attackierten heute keiner mehr ermittelt werden. Der Zivilpolizist will auch gesehen haben, wie S. ein Polizeiauto mit einer Eisenstange demolierte und dann eine Rauchbombe hineinwarf. Ebenso soll der Angeklagte die Fenster einer Polizeiwache eingeworfen haben. Sachschaden: knapp 20.000 Euro.

 

Der Zeuge, der falsche Stimmen hörte

All das, Rufe, Gesten, den Mülleimerwurf, hatte nur der Zivilpolizist gesehen. Neben ihm sind zwei weitere Polizisten geladen, doch sie können den Angeklagten nicht mit den Vorwürfen in Verbindung bringen.

Ein Handyvideo, auf dem der Zivilpolizist laut seiner ersten Aussage die Stimme von S. aufgenommen haben wollte, wurde auf Antrag der Verteidigung per Stimmanalyse mit S.' Stimme verglichen. "Weiter, weiter, weiter - Tempo", stachelt jemand seine Mitrandalierer an. Allein: Die Stimme gehört nicht dem Studenten aus Jena. Als der Richter dazu nachfragt, reagiert der Zeuge pikiert.

Videobeweise seitens der Anklage bleiben aus. Vielmehr zeigt S.' Verteidiger mehrere Filme: Einer ist der Handy-Film des Polizisten, auf dem S. weder spricht noch zu sehen ist. Ein Video vor einem Juweliergeschäft zeigt S. im Demonstrationszug. Ein dritter Beitrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders ORF zeigt S. für Sekunden, wie er eine liegende Mülltonne aufrichtet.

 

Verteidiger Clemens Lahner kommentierte die Filme am Rand des Verfahrens sichtlich zufrieden: Er habe sich "Fotos, etliche Stunden Videomaterial von Überwachungskameras, Handyvideos und Fernsehbeiträgen" angeschaut, und nirgends sei sein Mandant zu sehen, "wie er auch nur einen Zahnstocher bricht".

Am Ende eine Überraschung: Der Richter sagt, der Verdacht gegen S. habe sich erhärtet, der Zeuge haben S.' Täterschaft "glaubhaft dargelegt". Als S., wieder in Handschellen, den Saal verlässt, blicken seine Eltern starr vor sich hin. Der Vater hatte vorher gesagt, NPD-Aufmärsche in seiner Heimatstadt und die NSU-Morde hätten seinen Sohn politisiert. In einem Brief aus der Haft schrieb S., er sei Antifaschist und das bedeute für ihn "mehr als gegen Nazis sein und der Bau von Gedenkstätten und Mahnmalen".

In drei Punkten ist S. angeklagt: wegen Landfriedensbruch als führender Beteiligter, versuchter schwerer Körperverletzung und schwerer Sachbeschädigung. Ob der Student ins Gefängnis muss, wird erst im Juli entschieden. Zwei weitere Verhandlungstage sind angesetzt. Prozessbeobachter in Wien sagen, die Aussage eines Polizisten wiege schwer.