Snowden-Enthüllung: Frankreichs Geheimdienst soll Zugriff auf alle Telefonate haben

Orange-Firmenlogo: "Alles geschieht unter Verantwortung der Staatsgewalt"
Erstveröffentlicht: 
22.03.2014

In Frankreich soll der Geheimdienst umfassend und ohne Kontrolle Bürger belauschen können. Das geht aus neuen Snowden-Dokumenten hervor. Der größte Provider des Landes arbeitet offenbar mit den Spionen zusammen.

 

"Wer hätte sich vorstellen können, dass im Frankreich von 2014 das Recht auf Privatsphäre durch abgehörte Telefone mit Füßen getreten wird?" Mit einer Mischung aus Indignation und Aggressivität reagierte Nicolas Sarkozy auf die jüngsten Enthüllungen der Medien, wonach die Justiz seine Gespräche belauscht hätte. Der Ex-Präsident wetterte gegen "Verleumdungen als Methode des Regierens."

 

Ein Rechtsbruch? Mitnichten. Jedenfalls nicht die Abhöraktionen gegen den ehemaligen Staatschef, die von Untersuchungsrichtern im Rahmen laufender Verfahren angeordnet wurden. Einen Skandal allerdings gibt es. Er ist größer und zugleich alltäglicher als die abgehörten Telefone von Sarkozy. Es geht um eine Aktion, die den einfachen Bürger betrifft - jenseits aller juristischen Normen.

 

Wie die Tageszeitung "Le Monde" berichtet, haben Frankreichs Geheimdienste offenbar über Jahrzehnte die Bevölkerung abgehört - profitiert haben sie dabei von der Hilfe der Telefongesellschaft France Télécom, die seit 2012 unter dem Namen Orange firmiert. Die Zeitung stellt fest: "Der Zugang ist total, umfassend und außerhalb jeder Kontrolle."

 

Enge Zusammenarbeit mit Briten

 

Ruchbar wurde die illegale Lauschpraxis, weil Frankreichs Auslandsgeheimdienst DGSE (Direction générale de la sécurité extérieure) die abgeschöpften Informationen an den britischen GCHQ weiterreichte. Einem internen Dokument zufolge arbeiten Franzosen und Briten offenbar seit Jahren zusammen. Dasselbe Dokument, so "Le Monde", lässt den Schluss zu, dass France Télécom/Orange dem Geheimdienst zuarbeitet.

 

Demnach hätte der Konzern den Spionagebehörden technische Hilfestellung gegeben, seine Abhörkapazitäten zu verbessern, oder Beistand geleistet, um Verschlüsselungstechniken zu umgehen. France Télécom sei damit ein "wichtiger Akteur in Frankreichs Überwachungssystem".

 

Bereits im Juli hatte "Le Monde" über den weitgehenden Zugriff des Geheimdienstes auf Kommunikationsdaten berichtet. Nun finden sich Belege für die heimliche Kooperation in NSA-Dokumenten aus dem Bestand des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden.

 

Spione und Ingenieure kennen sich gut

 

Die besondere Stärke der französischen Geheimdienste bestand offenbar darin, dass sich die DGSE nicht auf Angaben beschränkte, deren Ausforschung vom Gesetzgeber erlaubt waren. In der Praxis hätten die Staatsspione Zugriff auf alle Anschlüsse aller Kunden der französischen Telefongesellschaft sowie deren gesamten Netzverkehr gehabt. Die abgefangenen Datenströme von Einheimischen und Ausländern seien dann auch befreundeten Diensten zugänglich gemacht worden.

 

Von Regierungseite gab es zu der sensationellen Offenbarung über die großen Ohren des Elysée bislang keine Stellungnahme. Inoffiziell wird Orange, an dessen Kapital der Staat nur noch zu 27 Prozent beteiligt ist, als "Beauftragter des Öffentlichen Dienstes" beschrieben: Beide Seiten verfahren so, als sei die Telefonfirma noch eine Behörde - zumal wenn es um die nationale Sicherheit gehe.

 

Dabei, so zitiert "Le Monde" einen ehemaligen Mitarbeiter der DGSE, gäbe es keine Verträge zwischen Geheimdiensten und Internetfirmen. "In Frankreich sind die Bindungen gleichwesentlich." Soll heißen: Die illegale Mauschelei funktioniert durch enge Bande zwischen Spionen und als Geheimnisträger ausgewählten Ingenieuren, die seit mindestens 30 Jahren zwischen beiden Institutionen hin- und herwechselten.

 

Zugriff endgültig und jederzeit

 

Auf beiden Seiten sei nur eine Handvoll Spezialisten eingeweiht, vor allem bei den "Landungsstationen", wo internationale Seekabel Frankreichs Territorium erreichen. Dabei wird der Hauptteil der Daten zur internen Nutzung gespeichert, je nach Herkunftsland oder Region. Dank des Zugangs zu den Providern, so ein DGSE-Mitarbeiter, können die Daten dann mit der Identität derjenigen, die sie austauschen, abgeglichen werden. "Daher steht die DGSE mit allen französischen Netzbetreibern in Kontakt." Diese Zusammenarbeit betrifft auch Mobiltelefone, die im Ausland benutzt werden. Dabei kann sich die DGSE auf die Internationale Direktion der Telefongesellschaften stützen.

 

Die Praxis ist innerhalb der Unternehmen bekannt, auch wenn nur wenige der Hunderttausenden Arbeitnehmer mit dem Abschöpfen der Datenströme in Berührung kommen. "Das massive Sammeln der Daten durch die Staaten gehorcht keinem Gesetz, egal wie groß, die Betreiberfirmen können keinen Widerstand leisten", sagt Sébastien Crozier, Chef der Angestelltengewerkschaft bei France Télécom/Orange. "Die Staaten bestimmen die Regeln", so Crozier, "und sie fordern, dass die Netze keine Bereiche haben, auf die sie nicht endgültig und jederzeit Zugriff haben."

 

Von "Le Monde" um eine Stellungnahme gebeten, räumt Orange-Chef Stéphane Richard verklausuliert ein, dass "als Geheimnisträger bestimmte Personen innerhalb des Unternehmens sich möglicherweise mit der Beziehung zu staatlichen Diensten zu befassen haben, ohne dass sie mir davon Bericht erstatten müssten".

 

Auch ohne dieses Wissen über Details zu dieser Kooperation versichert Richard treuherzig: "Das alles geschieht unter Verantwortung der Staatsgewalt innerhalb des gesetzlichen Rahmens."