Dissziplin: Rap für die Volksgemeinschaft

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Der deutsche Rapper Dissziplin ist selbsterklärter Patriot Deutschlands. Er will das Land vor dem "Volkstod" und "Knebelung" durch die Medien und das böse Geld bewahren. Ein Nazi sei er nicht, beteuert er immer wieder. Sein 2012 erschienenes Album "Volksmusik" spricht eine andere Sprache. Seine Lieder gelten als Hymenen der "Identitären" - auch für Organisationen wie die "Spreelichter" macht sich Dissziplin mit solchen Zeilen anschlussfähig:

 

"Die Vergangenheit ist nur eine Fackel im Wind.
Die langsam erlischt, doch bald neu erleuchtet
." (Ich bin Deutschland)

 

Ich bin kein Nazi, nur ein Deutscher mit Identität“ -

Dissziplin: Rap für die Volksgemeinschaft

 

Der Cottbuser Ben Arnold ist unter dem Namen Dissziplin seit vielen Jahren in der deutschen Rappszene bekannt und aktiv. Der gebürtige Cottbuser ist mit seiner Gruppe Ostmob und Tracks wie „Patriot“ oder „Plattenbauten“ vielleicht einigen Hip-Hop-Interesierten noch ein Begriff. Unter dem Namen Dissziplin veröffentlichte er 2007 sein erstes Soloalbum „Plattenbauten“. Auf diesem Album geht es – wie schon bei Ostmob – vor allem darum, Ostdeutschland aufzuwerten: „Ostdeutschland mein Stolz, du wirst niemals untergehen“ (Patriot, 2006). Wie der Song „Patriot“ selbst benennt, wird auf diesem ersten Album Dissziplins der (ost)deutsche Patriotismus hemmungslos gefeiert. Es geht ihm darum, einen ostdeutschen Stolz (wieder) zu entwickeln, wieder Ehre und Liebe für seine Heimat empfinden zu dürfen. Patriotismus sei, so Ben Arnold selbst, keineswegs rechts oder hätte gar was mit „Nazi-Sein“ zu tun. Dass Patriotismus jedoch den fruchtbaren Nährboden für bestimmte Ideologien bildet, spart er aus in seinem Narrativ.

 

Einen einfachen Vorwurf, er sei ein Nazi, konnte er bisher immer wenig begründet zurückweisen. Wird er nach der rechten Tendenz seiner Texte gefragt, verfahren seine Antworten meist nach dem Modus, alle Deutschen würden doch so denken, würden gern wieder deutsche Fahnen schwingen, die Hymne lauthals grölen. Er sei ja nur derjenige, der das ausspreche und als Sprachrohr fungiere: „Ich bin die Stimme die erklingt wenn das Volk trauert“ (Ich bin Deutschland, 2009). Das eine solche Stimme aber nie einfach nur wiedergibt, was sie meint im „Volk“ zu hören, sondern auch performativ, das heißt in praktischer Tätigkeit Stimmungen, Meinungen und Taten produziert und planmäßig an der Verbreitung dieser Meinungen mitarbeitet, ist Ben Arnold sicher klar. Dass seine Songs, selbst diejenigen, die sich vermeintlich nur um den „Stolz des Ostens“ kümmerten, jedoch von Anfang an nationalistisch („Ich liebe das Land auch wenn andere es hassen“), patriotisch (der Preußenadler als sein Symbol), millitäraffin („Adler steige hoch der Admiral ist unter dir. Salutiert der Machtwechsel ist nun passiert“), geschichtsverdrossen („Scheiß auf dein Hakenkreuz. Ich bin die Jugend von heute“) und anti-amerikanistisch („Ich bin Europäer, mein Kontinent. Du siehst aus wie ein Ami, das ist kein Kompliment“) sind, lässt sich unter keinen Umständen leugnen. Die Texte hat er geschrieben, gerappt und in einer Art in seinen Videos inszeniert, die – auch wenn er selbst nicht wüsste was er da eigentlich tut – nicht ohne Grund ein Unbehagen bei all jenen hervorrufen, die bedingungslose Liebe zum sogenannten Vaterland, vor allem in Deutschland, nicht vertretbar finden.

 

Während sich die ersten Songs von Dissziplin besonders auf den Kult Ostdeutschlands beschränkten, erweiterte sich seine Perspektive spätestens mit dem zweiten Album „Platz an der Sonne“ (2009) auf ganz Deutschland, bzw. auf einen Kult der deutschen Volksgemeinschaft. Mit dem dritten Album „Volksmusik“ (2012) und der Single „Ich bin Deutschland (2009), wurde Dissziplin auch in die Community ehemaliger „Aggro-Berlin“-Rapper aufgenommen. Die Internetplattform „AggroTV“ brachte mehrere seiner Songs bei youtube heraus. Zu der Crew von Aggro Berlin zählten unter anderem Rapper wie Sido, Bushido, Fler, B-Tigh und Tony D, die allesamt weniger für clevere Punchlines bekannt sind, als vielmehr für ihren reaktionären „Arsch-Fick-Ganstar-Rap“. Der Rapper Fler, in dessen Nachfolge die Autor*innen von rap.de Dissziplin verorten würden1, sorgte nicht zuletzt mit einem abgewandelten Hitler Zitat in Frakturschrift („Am 1.Mai wird zurückgschossen“2) für Aufmerksamkeit. Da hilft es auch nichts, wenn Dissziplins Manager Sven meint, Dissziplin sei nicht rechts, weil er (der Sven) wäre ja selbst in der Antifa gewesen. Abgesehen davon, dass sich politische Haltungen auch ändern können (das prominenteste Beispiel Horst Malhlers zeigt dies in tragischer, zugespitzter Weise), sprechen die Texte Dissziplins für sich. Mit King Orgasmus hat sich Dissziplin für den Song „Steh auf“ einen ebenfalls nicht übermäßig begabten Rapper ins Boot geholt. Ihren Flow vergleichen sie mit den „Bombem auf Bagdad“, was auf die Bombardierung der irakischen Hauptstadt 2003 durch die US-Armee anspielt. Im selben Lied, in dem sie sich mit den Bomben Amerikas vergleichen (was nebenbei bemerkt allein schon seltsam ist) dissen sie jemanden, der „amerikanisch“ spricht: „Du bist ein Spast, versuchst wie Amis zu sprechen“. So lang die „Amis“ für ihre phallischen Kriegsmetaphern herhalten, scheinen sie zu genügen, ansonsten bedienen sich Dissziplin und King Orgasmus hier einer Spielart des Anti-Amerikanismus3, der seine historischen Ursprünge hat. Worin genau seine Abneigung besteht, bleibt wieder einmal offen – außer, dass Amerika in seinen Songs pauschal für Geld, Gier, schlechte Sprache, „Bomben“, Krieg und „scheiß Sprache“ zu stehen scheint. Dieser Anti-Amerikanismus, flammte in den letzten Jahren durch Neo-Naziorganisationen wie die „Identitären“ und die „Pro“ Bewegungen (Pro, Deutschland, Pro Köln, Pro NRW) wieder auf.4 Rechte Partein wie die NPD oder die Republikaner, aber auch autonome Nationalisten oder selbst ernannte Heimatschützer (HDJ) teilen ihn. Nicht zufällig schlussfolgern sie aus der amerikanischen Politik im Zusammenhang mit Israel auch die Macht des jüdischen „Finanzkapitals“ und diverse antisemitische Verschwörungstheorien.

 

So weit geht Dissziplin nicht. Dennoch benutzt er entfernte Zitate, bestimmte Begriffe und setzt sie in Zusammenhänge, für die er verantwortlich ist. Immer wieder betont er in seinen Raps, dass er es ohne Geld geschafft habe hochzukommen, dass die Leute mit Geld keine Werte besäßen, von demselben kaputt gemacht würden usw.: „Ihr seid nichts mehr wert, legt ihre eure Uhren weg, […] alles falsche Werte, echt ist nichts“ (Zwei Männer ein Wort, 2012) oder „Das ist mehr wert als die Scheine die du machst am Set“ (Ebd.). Abgesehen davon, dass diese Zeile im Original gerappt klingt wie „Mehrwert“ und nicht „mehr wert“ und dies auf die kapitalistische Warenproduktion hinweist deren permanente Produktion von Mehrwert im antisemitischen Klischeebild immer den Jüd*innen zugeschrieben worden ist (im Gegensatz zu den hart arbeitenden Proletarier*innen), verweist dies auf ein einfaches Freund-Feind Schema vom bösen Kapitalisten und den armen (Ost)Deutschen ohne Geld. Wenn das eine Kritik am Finanz-und Wirtschaftssystem sein soll, greift sie nicht nur entschieden zu kurz, sondern bedient sich auch noch des falschen Bildes, Kapitalismus bestehe allein wegen der Gier der raffenden Großkapitalist*innen und wenn nur mehr Menschen preußischer, tugendhafter, stolzer wären, wäre er alsbald abgeschafft.

 

Neben „Aggro TV“ ist ein weiterer Kontext, in den sich Dissziplin stellt, die „Boxing Connection (Label 23)“. Dies ist ein, vor allem in Kickboxingkreisen Brandenburgs, bekanntes Kleidungslabel, welches seine Kleidung neben Thor Steinar und anderen explizit neo-nazistisch kodierten Kleidungsmarken in deutschlandweiten (Internet)Shops vertreibt. Mit Slogans wie „Ideale besiegen das Geld“ oder „Vergiss nie wo du herkommst“ steht das Label sehr nah bei derzeit bekannten neo-nazistischen Bewegungen wie z.B. den „Unsterblichen“ die ebenfalls mit Slogans wie „Werde wer du bist“, oder „Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass du Deutscher gewesen bist“ werben. Offiziell dementiert das Label diese Zuschreibung. Selbst nachdem durch die Presse5 bekannt wurde, dass der Inhaber des Labels Markus Walzuck ist, wollen sie „einfach nur“ ein Label sein, denen Freundschaft, Liebe Treue, Familie und Respekt wichtig ist. Der ehemaligen Kickboxmeister Walzuck stieg zu Rechtsrocksongs wie „Blitzkrieg“ in den Ring, bestritt eine Gedenkfahrt für Adolf Hitler nach Mallorca, ist in der rechten Hooliganszene bekannt, geriet mit den „Spreelichtern“ in Verbindung und wurde wegen Volksverhetzung verurteilt.

 

Das Label 23 dementierte alle Vorwürfe indem sie sagten “Label 23“ sei vollkommen unpolitisch“6.

Das Lied „Invictus“ von Dissziplin wird neben anderen von eben diesem Label präsentiert. Sie präsentieren seinen Song mit den Worten „Professionalität und Identität müssen kein Widerspruch sein, solange man ehrlich bleibt und Ideale dem Geld vorzieht [...]“.7 Die permanente Absagen gegen Geld als solches die entkoppelt von den Umständen auftritt, hat fragwürdige Konnotationen. Bei eben diesen wäre Antisemitismus kein Vorwurf, sondern eine treffende Analyse. Zudem verdeutlicht sich bei derartigen Aussagen, dass ihr Image sehr wohl politisch ist. Die selbst ernannten Ideale der Boxing Connection präsentiert Dissziplin in seinem Video. Und obwohl er auf „Stalingrad scheißen will“ (Ich bin Deutschland, 2009) beginnt er dieses Leid wieder oftmals mit einer kriegerischen Metapher, die zeigt, dass „Scheißen aufs Hakenkreuz“ (Ich bin Deutschland, 2009) und der „Fick auf Hitlers Worte“ (Ebd.) nicht so ganz so einfach funktioniert, wenn selbige Kriege für die Stilisierung der eigenen Stärke bemüht werden: „Dieser Song marschiert in Deine Stadt wie die Sowjets“ oder auch „ […] Ich bin der Marsch der die Truppen nach vorne peitscht“ (Ich bin Deutschland, 2009). „Ich hab es satt mit der Vergangenheit“ rappt er im selbigen Song, oder „scheiß drauf was früher war“. Zum einen gelingt ihm das „drauf scheißen“ nicht, da er sich immer wieder auf die deutsche Geschichte bezieht und beziehen muss, wenn er sich von ihr abgrenzen will. Zum anderen erscheint es mehr als zynisch oder schrecklich naiv, ausgerechnet heute im Angesicht nie verschwundenen deutschen Rassenhasses auf die Ermordung von Millionen Jüd*innen zu scheißen. Ausgerechnet heute, wo in Hellersdorf Neo-Nazis gegen Asylbewerber*innen hetzen, die Anzahl rechtsradikaler Übergriffe täglich steigt8 und unlängst seit der Finanzkrise weltweiter Antisemitismus neuen Aufschwung erhielt, zelebriert Dissziplin die Morgenröte des unterdrückten White-Trash-Bengels aus dem Osten. Das „Scheißen-auf-die-Geschichte“ ist nie ein „unschuldiger“ Akt. Vielmehr ist es ein dreifacher Akt, der zuerst die eine Geschichte als Voraussetzung des zu Vergessenen festschreibt und die eigene Interpretation unkenntlich macht, alsdann ist dieser Akt des „Vergessens“ keine Loslösung allein. Er bleibt hierin immer die Entgegensetzung – die zum Kampf aufgestellte Opposition gegen das zu Vergessende. Und zuletzt ist dies so verstandene Vergessen der Appell an eine neue Gemeinschaft, die ihre Identität in einer neu errichteten Geschichte zu finden hofft. Sehr neu ist dabei, wenn wir genau hinschauen, wenig. Denn Dissziplin verschleppt unreflektiert Ideale und Werte wie Heimattreue, die heile Familie, Nationalstolz in die Gegenwart und das aus einer Zeit, von der er sich offiziell gern trennen will. In „Ich bin Deutschland“ benennt er ziemlich explizit, dass die Vergangenheit, so sehr er doch auf sie scheißen wolle, bald in neuem Glanz erscheinen werde: „Die Vergangenheit ist nur eine Fackel im Wind. Die langsam erlischt, doch bald neu erleuchtet“. Die Metapher der Fackel bereitet auch denjenigen ein feuchtes Pläsir, die Jahr für Jahr an Rudolf Hess gedenken, die deutsche Opfer des Zweiten Weltkrieges ehren, sowie aktuell in Berlin-Brandenburg auch die ehemaligen „Spreelichter“ dem propagierten „Volkstod“ mahnen. Ihre an die NS-Zeit angelehnten Fackelmärsche konnten Millionen deutsche Zuschauer*innen, aufgepeppt für den Zeitgeist, im Internet betrachten9. Hier leuchtet die „Fackel der Vergangenheit“ neu auf.

 

In dem Video zu „Invictus“ trägt Ben Arnold natürlich auch ein passendes T-shirt mit Adler in schwarz-weiß-roter Optik. Woher diese Farbkombination stammt ist hinläglich bekannt. Arnold selbst vertreibt auch Merchandise-Kleidung10 und reiht sich damit nicht nur optisch (sportliche Kleidung mit verschnörkelten Aufdrucken, hier und da ein Adler) in das Label 23 ein. Auch inhaltlich wirbt er mit ähnlichen Slogans wie „Diese Jugend sucht nach Tugenden“ oder dem „Preußen-Shirt“. Mit diesem wolle seine Herkunft aus Brandenburg unterstreichen sagt er der FAZ11. Mit einem solchen Shirt erinnert er natürlich weniger an Brandenburg, als an das preußische König-oder Kaiserreich, was für die meisten seit 1945 nicht mehr besteht. Offen bleibt, welche preußischen Werte er aus dieser Zeit mitnimmt – Ordnung, Sauberkeit, Militarismus, einem Platz an der Sonne (vielleicht ist der Mallorca-Besuch vor diesem Hintergrund zu betrachten) – die Erwerbsfreiheit für Jüdinnen und Juden steht hier wohl eher hinten an.

 

Nun denn, nach eigenem Bekunden sei dies natürlich auch nur eine Provokation. Was dieser Provokation zugrunde liegt und was sie bringen soll, weiß nur Dissziplin selbst. Aus der Sicht politischer Kunst misslingt diese Provokation. Als Stilmittel wirkt sie abgehalftert und hohl. Solang es unklar bleibt, was er uns mit dem zitierten Adler sagen will, bleibt dieser erst einmal eingeschrieben in den Bedeutungszusammenhang von dem er von jeher zeugte. In gleicher Manier wie die schwarz-rot-goldenen Fahnen, die fast alle Texte und Videos Dissziplins zieren, suggerieren diese Symbole den „Stolz“ einer Nation, die sich somit ausdrücklich in der bruchlosen Kontinuität von Reichsadler und Bundesadler bestimmt. Alles wogegen politisch Kritik aufkommt mit dem Argument „das sei ja nur Provokation“ zu rechtfertigen, rechtfertigt noch lange nicht, dass der Inhalt der Provokation politisch vollkommen reaktionär ist. „Wer mich für einen Nazi hält, hat nicht verstanden worum es geht“, sagte Arnol in der FAZ. Aber warum geht es nun?

 

Zumindest implizit geht es Arnold also um die Schaffung einer neuen Volksgemeinschaft, die endlich wieder zu ihrem Land, der Kultur, der Sprache und den Werten stehen solle, die Vergangenheit beiseite zu legen habe und einen neuen Gemeinschaftssinn entwickle. Dieser „neue“ Volksbegriff zieht sich spätestens seit Erscheinen der dritten Platte“ durch Dissziplins Texte. Er – der Volksbegriff – lässt sich nicht mit der Masse der Menschen, die in diesem Land gemeinsam leben definieren oder mit Bürgerinnen und Bürgern der BRD, wie es heute offiziell hieße. Volk heißt bei Dissziplin immer mehr als nur Bewohner eines Landes. Der Volksbegriff den er für Deutschland annimmt, scheint exklusiver: „Das ist schwarz-rot-gold. Das ist mein Blut, mein Stolz, mein Volk.“ (Ich bin Deutschland, 2009). Deutschland ist also nicht allein begründet durch die Nationalfahne, sondern auch durch Blut und Stolz.

 

Das deutsche Volk wird zudem als von allen belogenes Volk beschrieben: Es sei „geknebelt von Medien und Politik“, ein „gebücktes Volk“ geworden „ohne Stolz“ (Ich bin Deutschland). Dieses kulturelle Gut, den Nationalstolz, gelte es wiederzuerlangen, wenn das deutsche Volk nicht sterben wolle: „Ich kann ihn sehen, den schwarz-rot-goldenen Grabstein“ (Ich bin Deutschland, 2009), „Unser Land steht so kurz vor dem Suizid“ (Ebd.) oder „Diese Stadt ist am sterben ich kann den Grabstein schon sehn“ (Wörter der Wut, 2009). Fast genau mit den selben Worten, wurden vor einigen Monaten auf deutschen Schulhöfen von einem blauen Krümelmonster Flyer an Schüler*innen verteilt und mit dem Ausheben von Gräbern der deutsche „Volkstod“ verkündet12.

 

Der Begriff des Volkes ist bei Dissziplin außerdem mit einem Begriff von Identität verknüpft. Was genau diese Identität ausmacht außer Stolz und Ehre, wird nicht ausgeführt. „Ich bin Deutschland“ (Ebd.) heißt also „Ich hab Identität. Ich bin schwarz.rot.gold.“ (Ebd.). Die Identität die Dissziplin und somit die ganze deutsche Jugend („Ich bin Representant dieser Jugend“) besitze, ermisst sich demnach aus seinem Deutsch-Sein. Das heißt Identität ist Nationalität, gepaart mit Blut und Werten (wie z.B. Stolz). Ihm scheint es wichtig zu sein, diese Identität als dauerhafte, unveränderliche zu markieren und klar zu machen: Es gibt nur eine, vollständige Identität: „Ich bleibe mir treu man, denn ich bin Deutschland. Geb dir meine ersten Tracks und gucke mich heut an. Ich bleibe der selbe man denn ich bleibe mir selber treu“ (Zwei Mann ein Wort, 2012)


Nicht ohne Grund gelten Lieder wie „Ich bin Deutschland“ als Hymne für die „Identitären“, einer rechts-konservativen Bewegung in Deutschland. Sie stellen die Textzeile: "Ich lass mich nicht blenden, ich bewahr‘ mein Gesicht meine Identität, meine Farben, mein Ich." in direkten Zusammenhang mit ihrer politischen Haltung.13 Auch sie meinen, weder rechts noch links zu sein, sondern identitär.14 Diese Konzeption von Volk in seinem Rap mag Dissziplin selbst nicht als nationalsozialistisch, kurz: Nazi-Rap ansehen. Nationalsozialistisch ist er vielleicht auch nicht. Klar ist jedoch, dass die Konzeption von Volk über Blut und Boden („Meine Heimat edler Sand, märkische Heide“, Zwei Mann ein Wort, 2012) keine neue, aber aktualisierte und gefährliche Form von nationalistischem Volksdenken ist.

 

Neben Fahnen und Texten sind noch weitere Aspekte interessant: Zum einen werden viele Videos in schwarz-weiß oder sepia Farbtönen gefilmt (Bsp.: „Gib mir meine Stadt zurück“ oder „MTV“). Dies erzeugt ein melancholisches Bild, welches sich selbstbezüglich zu den nach einem besseren Deutschland schreienden Texten verhält. Hinzu kommen Bilder von Plattenbauten, tristen, traurigen Wiesen und Tagebauten – gleichzeitig gepaart mit der Hoffnung auf ein „besseres Deutschland“ in Form von Bildern wehenden Deutschlandfahnen, fröhlich musizierenden Jugendlichen („Eine Jugend“, 2012) oder coolen Männergangs mit Zusammenhalt (z.B. Dissziplin zusammen mit Liquit Walker oder Joe Rilla). Zum anderen tauchen in den meisten Liedern orchestrale Elemente auf oder choralartige Gesänge zarter Frauenstimmen. In „Ich bin Deutschland“ wird eine blonde Geigenspielerin gezeigt, deren Haar zart im Wind weht, kurz darauf folgen historische Kriegsbilder von Schützengräben und Panzern, während Ben Arnold heimattreu vor der Kulisse eines Tagebaubaggers rappt. Die gesamte Konzeption ergibt ein pathetisches, kitschiges und verklärtes Bild von Deutschland ab.

 

Auf Begriffe wie „Bastard“, “Spacko“, „Schwuchtel“, „Fotze“ oder „Spast“ verzichtet der sonst nicht auf den ersten (!) Blick mit sexistischen und geschlechtlich und anderweitig diskriminierenden Begriffen auffallende Dissziplin nicht. Er bestätigt das Vorurteil, das Großteile des (deutschen) Raps vorrangig in „No-homo“-Manier eine Abgrenzung zu schwul-lesbischen-trans* oder anderen Lebensweisen vornehmen – siehe: „das ist nicht so'n schwuler Rap“ im Song „Steht auf“ mit King Orgasmus.

 

Manger Sven sagte einmal, indem Dissziplin sich auf deutsche Werte berufe, nehme er den Nazis die Parolen weg. Das stimmt nicht – er treibt diese Parolen vehement voran. Dabei ist es egal, dass er sich selbst als links bezeichnet: Diese Art von Empörung über das weltweite Finanzsystem, der „lügenden“ Presse, der Spaltung in arm und reich, der Benachteiligung Ostdeutschlands, der fehlenden deutschen Ehre usw. hat nichts mit emanzipatorischer, schon gar nicht linker Kritik zu tun. Sie bedient alle Klischees antisemitischer und rechts-konservativer „Kritik“, und stellt sich somit mitten in die Front populärer Nationalbewegungen – egal ob Dissziplin das bewusst ist oder nicht.

 

7 Ebd.

8 Z.B. siehe: Es ist wichtig zu erwähnen, dass Neo-Nazismus, Neo-Faschismus usw. selbstverständlich kein rein „ostdeutsches Problem“ sind, sondern sich durch alle Bundesländer und Gesellschaftsschichten ziehen: http://www.tagesspiegel.de/politik/report-der-amadeu-antonio-stiftung-rechtsextremismus-ist-kein-rein-ostdeutsches-problem/8046854.html,http://www.tagesschau.de/inland/fluechtlinge396.html, http://www.taz.de/!104764/, http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/staatsversagen