Landgericht Freiburg: "Bedingte Tötungsabsicht": Gericht spricht Neonazi frei

Erstveröffentlicht: 
01.02.2014

Das Landgericht Freiburg hat den Ortenauer Neonazi erneut freigesprochen. Es billigte dem 31-Jährigen ein Notwehrrecht zu. Ob der Anwalt der Nebenklage in Revision geht, ist noch nicht bekannt.

 

Erneut ist ein Neonazi aus der Ortenau vom Landgericht Freiburg vom Vorwurf freigesprochen worden, er habe am 1. Oktober 2011 in Riegel einen politischen Gegner aus dem linken Lager in Tötungsabsicht angefahren und schwer verletzt. Das Gericht billigt dem 31-Jährigen ein Notwehrrecht zu.

Der Vorfall ereignete sich auf dem Park & Ride-Platz in Riegel. Die rechtsradikale Gruppe "Kameradschaft Südsturm Baden" wollte auf einer Wiese in der Nähe eine Party veranstalten und Geld sammeln. Die Einnahmen sollten dazu dienen, am 22. Oktober, dem Jahrestag der Deportation der badischen Juden nach Gurs, eine Kundgebung zu organisieren. Florian S., der Angeklagte, sollte seine Gesinnungsfreunde mit dem Auto in Riegel abholen. Gegner aus dem antifaschistischen Lager bekamen davon Wind. Sie fuhren zu dem Parkplatz, um den Chauffeurdienst zu verhindern. In einem Auto kundschafteten drei Mitglieder das Umfeld aus, fünf Aktivisten stürmten aus der Deckung auf S. zu, der in seinem Auto saß. Er gab Gas und fuhr direkt in die Gruppe. Er fuhr einen der Angreifer an, dieser wurde auf die Kühlerhaube und dann zu Boden geschleudert. Dabei verletzte er sich lebensgefährlich.

Bereits in erster Instanz war S. freigesprochen worden. Der Bundesgerichtshof bemängelte jedoch die Begründung, hob das Urteil auf und verwies den Fall ans Landgericht Freiburg zurück. Dort wurde an elf Verhandlungstagen noch einmal versucht, den Hergang zu klären. Bis ins Detail gelang dies nicht, aber das Gericht kam unter anderem zu dem Schluss, der später Verletzte habe genug Zeit gehabt, zur Seite zu springen und sich zu retten.

Gewaltfantasie auf Facebook

Entscheidender für das Urteil ist aber das Motiv. Eingehend legte der Vorsitzende Richter Arne Wiemann dar, dass man die rechtsradikale Gesinnung des Angeklagten einschließlich seines Hasses auf politische Gegner berücksichtigt habe. Auch habe man berücksichtigt, dass der Angeklagte drei Tage vor dem Geschehen in Riegel in einem Facebook-Eintrag seine Gewaltfantasie ausdrückte: Er warte nur darauf, "dass einer mal angreift", damit er diesen "endlich mal die Klinge fressen lassen" könne.

Und weiter: "Ja! Das Schöne daran, es wäre sogar Notwehr!" Auch wenn drei Tage später genau dieser Fall – S. wird angegriffen, er verwandelt sein Auto in eine Tatwaffe – eingetreten sei, so gelte es zu unterscheiden zwischen der am heimischen PC geäußerten Fantasie und dem realen Geschehen. Und da könne das Gericht nicht ausschließen, dass der Angeklagte in erster Linie gehandelt habe, um seine eigene Haut zu retten.

Im Zweifel für den Angeklagten

Das Landgericht folgte zugleich den Vorgaben, die der Bundesgerichtshof gemacht hatte. Demnach war S. nicht gehalten zu fliehen, auch wenn es objektiv möglich war. Er durfte sich wehren, er sei angegriffen worden: "Recht muss Unrecht nicht weichen." Daher habe das Gericht abwägen müssen, welches Motiv dominant war: Ob S. mit der Absicht sein Auto beschleunigte, in die Gruppe zu fahren und einen politischen Gegner zu verletzen oder gar zu töten, oder ob es ihm primär darum ging, sich selbst zu retten – und er dabei den Tod eines Menschen in Kauf nahm.

Das Landgericht unterstellte S., er habe "in bedingter Tötungsabsicht" gehandelt. Die "menschenverachtenden Äußerungen im Vorfeld lassen es nicht ausschließen, dass er den Angriff genutzt hat, um Gewalt gegen den politischen Gegner auszuüben", sagte Wiemann. Aber es lasse sich auch nicht ausschließen, dass er sich selbst retten wollte. Im Zweifel müsse zugunsten des Angeklagten diese Variante angenommen werden. "Der Grundsatz ,im Zweifel für den Angeklagten’ ist ein wichtiger Grundsatz unseres Rechtssystems", sagte der Vorsitzende Richter.

Kein Vertrauen in die Justiz

Wiemann betonte den Hinweis nicht zuletzt mit Blick auf die Zuschauer, die überwiegend aus der linken Szene kamen und das Urteil mit lautstarkem Protest quittierten. Die Nebenkläger waren nicht zur Urteilsverkündung erschienen, weil sie ohnehin "kein Vertrauen in die bürgerliche Justiz" haben. Ihr Anwalt Jens Janssen wollte noch nicht sagen, ob er in die Revision geht. Er kritisierte aber zum einen, mit dem Urteil werde das Notwehrrecht zu weitgehend ausgelegt: "Das ist ein Freibrief draufzuhalten." Zudem habe sich erneut gezeigt, dass Polizei und Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen lange Zeit weggeschaut und bestimmte Umstände nicht ermittelt hätten. Diese Versäumnisse hätten sich in dem Prozess nicht mehr korrigieren lassen.