Freispruch oder Knast?

Der Pendlerparkplatz bei Riegel
Erstveröffentlicht: 
30.01.2014

Die Prozessparteien im Riegeler Neonazi-Prozess haben ihre Plädoyers gehalten / Urteil wird am Freitag erwartet.

 

Von: Patrik Müller

 

RIEGEL/FREIBURG. Die Neuauflage des Neonazi-Prozesses steht vor dem Abschluss. Am Mittwoch haben Staatsanwalt, Nebenkläger und Verteidiger ihre Plädoyers gehalten. Am Freitag, 31. Januar, könnte Richter Arne Wiemann das Urteil verkünden. Dann wird klar sein, ob das Freiburger Landgericht den Vorfall am 1. Oktober 2011 für Notwehr hält, für eine gefährliche Körperverletzung oder eine versuchte Tötung. Der Angeklagte, ein 31-jähriger Neonazi aus der Ortenau, hatte einen Angehörigen der linken Szene auf dem Riegeler Pendlerparkplatz mit seinem Auto angefahren und schwer verletzt.


Der Prozesstag beginnt mit einer halben Stunde Verspätung. Besprechung im Richterzimmer. Dann liest Wiemann das Ergebnis eines DNA-Gutachtens vor: Die Haare, die auf dem Frontspoiler des Autos des Angeklagten gefunden wurden, stammen vom Geschädigten. Was die Ulmer Rechtsmediziner herausgefunden haben, ist wichtig für die Kernfrage des Verfahrens: Hat der Angeklagte sein Opfer absichtlich angefahren und verletzt oder nicht? Das Haar stammt sehr wahrscheinlich vom Bein des Geschädigten, dieser trug eine Dreiviertelhose. Die Parteien interpretieren das Ergebnis unterschiedlich – das gilt auch für die Frage nach dem Hintergrund.

DER STAATSANWALT


Für Florian Rink ist das Geschehen im Großen und Ganzen klar: Der Angeklagte war als Schleuser für eine Neonaziparty eingeteilt. Er hatte den Job, andere Nazis am Parkplatz zu treffen und ihnen den Weg zur Feier in Bahlingen zu erklären. Einige Mitglieder der linken Szene beschlossen nach einer Demonstration in Offenburg, einen Abstecher an den Kaiserstuhl zu machen. Auf dem Parkplatz trafen die Fünf und der Angeklagte aufeinander. Es wurde hektisch – am Ende war ein 21-Jähriger schwer verletzt.

"Die Haarprobe wurde relativ knapp über dem Boden genommen", sagt Rink. "Das lässt nur eine Möglichkeit zu: Der Geschädigte hatte den Fuß knapp über dem Boden und war gerade dabei, abzuspringen, als er getroffen wurde." Mehrere Zeugen hätten durchdrehende Reifen gehört. "Eine weniger rabiate Fahrweise wäre möglich gewesen", sagt er. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hätte der Angeklagte damit rechnen müssen, sein Opfer zu verletzen. Einen Tötungsvorsatz sieht er aber nicht – trotz Drohungen, die der Angeklagte auf Facebook geäußert haben soll. "Er trat vom Versuch eines Tötungsdeliktes zurück, als er die Polizei anrief und sagte: Helft ihm!", plädiert Rink.

Seine Forderung: Ein Jahr und sechs Monate wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung – auf Bewährung. Im ersten Hauptverfahren hatte er drei Jahre wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung gefordert. Den Freispruch, den es gab, hatte der Bundesgerichtshof kassiert.

DIE NEBENKLÄGER


Der Geschädigte und zwei seiner Freunde, die auf dem Parkplatz dabei waren, lassen sich von den Anwälten Jens Janssen und Angela Furmaniak vertreten. Die reden vor allem über die Gesinnung des Angeklagten: Der soll im Facebook-Chat mit anderen Nazis davon fantasiert haben, Linke "die Klinge fressen" zu lassen – und sich auf Notwehr zu berufen. "Sein Ziel war es, die Linken plattzumachen, zu vernichten", sagt Furmaniak. "Er wusste, dass die Antifa vor Ort war. Er hätte Zeit gehabt, sich zu überlegen, was er macht

Furmaniaks Kollege Jens Janssen kritisiert Staatsanwalt Rink. Dass der seine Einschätzung im Vergleich zum ersten Verfahren verändert habe, habe ihn "geschockt". Er rüffelt auch die Ermittler des Emmendinger Staatsschutzes, die es versäumt hätten, wichtige Beweise zu sichern. Eine konkrete Strafe für den Angeklagten fordert er nicht.

Am Ende verlesen seine Mandanten eine Erklärung. "Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass wir aus antifaschistischer Sicht von diesem Prozess nichts zu erwarten haben", haben sie formuliert – und kündigen an, nicht zur Urteilsverkündung kommen zu wollen. "Es gab nie ernsthafte Versuche der Polizei, in Richtung versuchten Mordes zu ermitteln." Sie werfen der Justiz vor, auf dem rechten Auge blind zu sein. "Die, die auf den Schmutz hinweisen, gelten als gefährlicher als der Schmutz."

DER VERTEIDIGER

Ulf Köpcke fordert Freispruch – das Urteil, das es schon bei der ersten Verhandlung gab. "Das Landgericht hat damals unter strenger Anwendung des Grundsatzes Im Zweifel für den Angeklagten gehandelt", sagt er. Er fordert die drei Berufsrichter und die beiden Schöffen auf, sich auf die Ereignisse in Riegel zu konzentrieren. "Wir reden über ein Kerngeschehen, das zehn Sekunden umfasst", sagt er. Dann kommt er auf das DNA-Gutachten und das Haar am Frontspoiler zu sprechen. "Wie kam er mit dem Kopf auf die Motorhaube, wenn das Bein unten war? Wenn er diese Zeit hatte, kann das Fahrzeug nicht besonders schnell gewesen sein."

Köpcke beruft sich auf den Notwehrparagraphen. "Er hat bei der polizeilichen Vernehmung gesagt: Ich war in Panik, ich wollte weg, ich habe gedacht, dass die Platz machen." Der Angeklagte, sagt sein Verteidiger, habe keine andere Möglichkeit gesehen, als loszufahren – und es sei weder dem Staatsanwalt noch den Nebenklägern gelungen, eine realistische Alternative zu nennen.

Das letzte Wort hat der Angeklagte. Der hat die ganze Verhandlung über geschwiegen, am Ende redet er: "Ich kann nur sagen, ich schließe mich dem Plädoyer des Verteidigers an und vertraue auf die Weisheit des Gerichtes." Der Versicherungskaufmann soll die Szene verlassen haben, heißt es. Er sagt nicht, dass es ihm leid tue.

 

Bildunterschrift: Der Pendlerparkplatz bei Riegel war am 1. Oktober 2011 Schauplatz eines gewaltsamen Aufeinandertreffens von linksextremen Antifaschisten und einem Neonazi aus der Ortenau. Rechts im Hintergrund erkennbar ist der Steg über die Alte Elz, über den sich die vermummten Antifaschisten damals dem Parkplatz näherten.