Zur Kritik an „Hannover gegen Nazis“ - Bürgerliche Mitte Antifa?

Wir nehmen den Bericht der Gruppe und/oder Facebook-Seite „Hannover gegen Nazis“, den diese zum Protest gegen den Nazi-Aufmarsch in Magdeburg verfasst hat, als Anlass, uns hier mit dieser Gruppe/Facebookseite auseinander zu setzen.

Konkret geht es darum, dass es auf der Rückfahrt zu einer Auseinandersetzung mit Nazis im Braunschweiger Bahnhof kam, deren mutmaßliche Wahrnehmung auf der Seite „HgN“ teils detailliert geschildert wurde. Nicht zuletzt deswegen, weil dort Genoss_innen zur Identitätsfeststellung festgehalten wurden und gegen sie ermittelt wird, halten wir dies für grob fahrlässig.


Da das neben uns anscheinend auch viele andere so sehen, kam es zu öffentlich geäußerter Kritik gegenüber „HgN“, die dort mit einer problematischen Rhetorik abgewiegelt worden ist.1 Was das Problem daran ist, wollen wir im folgenden ausführen. Wir möchten aber vorab darauf verweisen, dass es nicht zum ersten Mal der Fall ist, dass „HgN“ kritisiert wird, sondern bereits vor drei Monaten ein Artikel von „kritischen Beobachter_innen“ geschrieben wurde.2

 

Die rhetorische Figur, mit der auf Kritik gegenüber „HgN“ reagiert wird, ist vorhersehbar und folgt einem standardisierten Schema: „Weil du ein Problem mit uns hast, hast du offensichtlich ein Problem“.3

Ja, das kann ja jemand, der_die Kritik äußert, ja auch nicht von sich aus wissen, dass er_sie einen Anlass dafür erkennen kann.

 

Diese Figur des vermeintlichen Arguments, das keines ist, tritt sowohl gegenüber Kritik von Linken gegenüber „HgN“ auf, als auch gegenüber Kritik von Nazis, mit denen sich auch gerne Wortgefechte geliefert werden. Wir denken, dass es sich genau deshalb auch um kein Argument handeln kann, weil jeglicher objektiver Maßstab geleugnet wird, sofern dieser irgendwann überhaupt mal zur Sprache kommt. Wo alles letztlich nur eigene Meinung und eigene Wahrnehmung ist, ist auch keine Differenzierung mehr möglich.

 

Diese Sache wurde bereits im Artikel der „kritischen Beobachter_innen“ vorweggenommen: Es gibt auf der Seite, wie auf dem Blog, letztlich keine Inhalte. Was es gibt, ist Form: Autonome Antifa als Bild, Linke Politik als Spektakel. Schwarze Kapuze, Rote Fahne, ganz Hannover hinterher. Bunte Bilder Sticker-Wettbewerb.
Was es nicht gibt, wären ein paar grundlegende Gedanken und Reflexionen: Warum Hannover? Warum gegen Nazis? Was sind das überhaupt für Dinge, und wie hängen die zusammen? Wäre in Hannover etwa alles OK, wenn hier keine Nazis mehr wären? Wenn eine gute “Antifaschistische Polizei“ die Aufgabe übernähme, die Gesellschaft von Nazis freizumachen, wäre dann alles gut?4 Es findet keine Auseinandersetzung mit der Gesamtheit von Gesellschaft statt, und Probleme werden unserer Meinung nach auf Nazis projiziert – wenn diese weg sind, verschwinden auch alle anderen Probleme.

Wir möchten an dieser Stelle keineswegs das Nazi-Problem in Hannover bagatellisieren – das gibt es hier in dieser Stadt, und das wird es notwendigerweise in dieser Gesellschaft immer geben. Wir halten es allerdings für fatal, dieses Problem unverstanden, personifiziert und unvermittelt anzugehen, und sich darin auch noch zu gefallen, wie uns scheint, wenn dies auch anders möglich ist.5

 

Dazu ist es notwendig, sich auch mit dieser Gesellschaft auseinander zu setzen, die Funktion von Staat und bspw. Polizei zu verstehen, anstatt sich unverstanden auf diese zu berufen.6 Es wäre auch dringend notwendig, sich mit den Funktionen von linker Politik und insbesondere der Funktion von Facebook und anderen sozialen Medien auseinander zu setzen.

Dazu wäre es vielleicht auch notwendig, eigene Grundsätze und Ziele festzulegen, die wir zumindest öffentlich nirgendwo finden konnten – erst diese ermöglichen eine differenzierte Reflexion der eigenen Arbeit, wenn zum Beispiel auf einmal der vermeintliche Widerspruch zwischen Hannover und Nazis gar nicht mehr so widersprüchlich erscheinen sollte.

 

Im Zusammenhang mit dem konkreten Fall, den wir als Anlass für diesen Text genommen haben, halten wir es für wichtig auf die Broschüre der Roten Hilfe in Bezug auf Aussageverweigerung zu verweisen.7 Eine Logik, wie sie von „HgN“ vertreten wird, nach der es ungefährliche „sehr allgemein gefasste Berichte“ gibt und aufgrund von Videokameraaufzeichnungen Berichte eh keinerlei Relevanz haben, halten wir für falsch. Der Repressionsapparat ist keineswegs der totale Vermittlungszusammenhang, als der er sich selbst verkaufen will. Der Staat weiß nicht alles und das ist gut so. Wer Spaß am Berichte schreiben hat, bitte, aber bitte doch nicht so etwas. Wenn ihr euch ausschließlich selbst belasten wollt, ist das für uns natürlich trotzdem OK.

 

Wir finden in diesem Sinn eine antifaschistische Öffentlichkeitsarbeit auch gut und wichtig, gerade auch außerhalb der sowieso schon daran interessierten Kreise von Personen, solange diese sich nicht verselbstständigt hat und in inhaltsleere Selbstdarstellung umschlägt.

 

Wir persönlich sehen derzeit aber Dinge, die dem im Wege stehen.

 

Einige geschiedene Geister



1 „Richtig! Die Polizei weiß nun überhaupt nicht mehr was sie tun soll, und wartet erstmal ab. 3, Nein, 4 Tage. Dann gibt es einen sehr allgemein gefassten Bericht im Internet über diesen Vorfall, der weder Kleidungsstil noch sonstige Details der Beteiligten erwähnt.

Die 2.698 Polizeibeamt*innen die 24/7 NUR auf diese eine Internetseite schauen und sie im Sekundentakt aktualisieren, beginnen zu Jubeln. ENDLICH verwertbares Material.“

3Vielleicht einfach mal die Pillen wechseln?“; „Schade das ihr als Kinder keine Liebe bekommen habt, sonst wäre aus euch sicher auch etwas geworden!“

4Insbesondere mit Blick auf die Tatsache, dass sich sowohl bei der Anreise, als auch bei der Abreise unbeteiligte Passanten an den Bahnhöfen aufhielten, und die Polizei deren Schutz nicht gewährleistete zeigt, dass die Polizei wieder einmal den Neonazis eine Bewegungsfreiheit einräumt, die ihnen nicht zusteht.“

5Zunächst ist es unverständlich, weshalb nicht wir, sondern die Neonazis das Recht zugesprochen bekamen, als erstes abzureisen, standen wir doch bereits wesentlich länger vorm Bahnhof und warteten friedlich auf unseren Zug.“

6Wir haben die Ereignisse innerhalb unserer Gruppe im Nachhinein ausführlich besprochen und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das Verhalten der Polizei insbesondere was die Anreise aber auch die Abreise betrifft, absolut nicht tragbar ist.“