Thüringer Verfassungsschutz: V-Mann in Waffengeschäft verwickelt

Tino S. posiert mit der Waffe
Erstveröffentlicht: 
05.01.2014

Der Thüringer Verfassungsschutz hat einen V-Mann gedeckt, der Kriegswaffen besessen hat. Das geht aus vertraulichen Polizei- und Verfassungsschutzakten hervor, die MDR THÜRINGEN vorliegen.

von Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia

 

Diskothekenbesitzer Andreas Müller (*Name geändert) staunte nicht schlecht, als er den Boden zur Zwischendecke angehoben hatte. Eigentlich wollte er an diesem 25. Juli 2005 nur ein Kabel für den Fernsehanschluss in seinem Büro verlegen. Doch als er in den Zwischenraum schaute, entdeckte er im Halbdunkel einen Stoffsack. Müll, dachte er sich. So wie er und seine Mitarbeiter in den vergangen Wochen schon genügend aus dem Sonneberger Tanzsaal herausgetragen hatten. Er hatte den Laden vor Kurzem von seinem alten Pächter nach Jahren wieder selbst übernommen und war am Grundreinigen. Müller öffnete den Sack und entdeckte brisanten Inhalt: zwei Maschinenpistolen, sechs Stangenmagazine und massenhaft Munition.

 

Das Gutachten des Thüringer Landeskriminalamtes stellte später fest, dass es sich um einen ungarischen Nachbau der Kalaschnikow AK 47 Kaliber 7,6 und eine portugiesische MPi FBP M48 Kaliber 9 handelte. In der trockenen Amtssprache der Waffentechniker heißt es, dass die ungarische Waffe zwar funktionsunfähig sei, allerdings vom Besitzer nur so weit unbrauchbar gemacht wurde, dass sie immer noch unter das Kriegswaffenkontrollgesetz falle. Die portugiesische MPi sei voll schussfähig, so das Gutachten. Außerdem wurden in dem Zwischenboden exakt 61 scharfe Patronen gefunden, mit denen die sechs Stangenmagazine gefüllt werden konnten.

 

Spur aus 2003 wieder aufgenommen

 

Doch wie sind die Waffen in die Zwischendecke gekommen? Die Fahnder der Kriminalpolizeiinspektion Saalfeld hatten schnell einen Verdacht: Sie holten die alte Aussage einer jungen Frau aus den Akten. Die hatte 2003 bei einer Vernehmung in einem Drogenverfahren von einer Maschinenpistole in einer Sonneberger Wohnung berichtet. Auch davon, dass sich ihre beiden Freunde, Enrico R. und Tino S., mit der Waffe hatten fotografieren lassen. Damals verliefen alle Ermittlungen im Sande. Auch eine Razzia bei Enrico R. brachte nichts.

 

Doch nach dem Fund der beiden Maschinenpistolen im Sommer 2005 nahmen die Beamten der Kripo Saalfeld die alte Spur wieder auf. Bei einer Überprüfung stellten sie fest, dass Enrico R. in der Disko jahrelang als Türsteher gearbeitet hatte. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Türsteherjob 2001 habe er noch gute Kontakte zum alten Pächter und Vorgänger von Andreas Müller gehabt, heißt es in den Ermittlungsakten. Hatte R. die Waffen 2003 dort versteckt?

 

Während der Ermittlungen erhalten die Saalfelder Fahnder plötzlich unerwarteten Besuch. Am 22. August 2005 kommt es zu einem Treffen mit einem Beamten des Thüringer Verfassungsschutzes. Der übergibt den verdutzten Polizisten nicht nur zwei brisante Fotos, sondern eröffnet ihnen auch, dass Enrico R. V-Mann war. Bei den Bildern stellen die Fahnder schnell fest, dass es sich um exakt die Aufnahmen handelt, die die junge Frau in ihrer Vernehmung im April 2003 beschrieben hatte.

 

Enrico R. hatte sie um den Jahreswechsel 2002/2003 dem Thüringer Verfassungsschutz übergeben. Doch der Geheimdienst hielt es damals nicht für nötig, die Saalfelder Polizei über die Hinweise zu den Waffen zu informieren. Offenbar hatte der Verfassungsschutz Sorge, dass V-Mann R. durch die Ermittlungen auffliegen könnte. Außerdem bestand der dringende Verdacht, dass der eigene Spitzel in das Waffengeschäft verwickelt war. Erst als sich die Existenz der beiden Maschinenpistolen durch den Fund in der Disko 2005 nicht mehr leugnen ließ, rückte der Verfassungsschutz die Fotos und die Informationen heraus. Mehr noch, aus einem vertraulichen Vermerk geht hervor, dass R. und zwei weitere Männer bereits 2002 Waffen im Stückwert von 400 Euro gekauft haben sollen. Damit wusste der Verfassungsschutz von den Waffengeschäften seines V-Manns.

 

Mit den Bildern und der Information, dass R. als V-Mann inzwischen abgeschaltet worden war, ermittelte die Polizei mit Hochdruck. Sie gründete eine Sonderarbeitsgruppe unter dem Decknamen "Feuerwerk". Ein halbes Dutzend Telefone wurden abgehört. Anfang Oktober 2005 schlug ein Spezialeinsatzkommando in Saalfeld und Coburg zu. Neben R. wurde Tino S. festgenommen. In seiner Vernehmung räumte S. ein, der Mann auf beiden Fotos zu sein und belastete R. schwer. Er habe R. die portugiesische MPi samt Stangenmagazinen und 61 Schuss Munition mit der Bitte gegeben, sie zu verstecken. R. selber hatte sich den ungarischen Kalaschnikow-Nachbau zugelegt.

 

Die Staatsanwaltschaft Gera erhob gegen Enrico R., Tino S. und den Waffenbeschaffer Ralph C. Anklage wegen Besitz von illegalen Kriegswaffen. Das Landgericht Meiningen stellte im Verfahren fest, dass der ehemalige V-Mann R. die beiden Waffen 2003 bei seinem alten Arbeitgeber in der Sonneberger Diskothek in der Zwischendecke versteckt hatte. Er wurde zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Die beiden anderen Männer zu knapp vier Jahren.

 

Rätselhaft bleibt, warum der Thüringer Verfassungsschutz R. überhaupt als V-Mann geführt hat. Er hatte zwar Kontakte in die rechtsextreme Szene, war aber selber ein Kleinkrimineller, der wegen Drogenhandels bereits vorbestraft war. Möglicherweise war er eine "Altlast" aus der umstrittenen Geheimdienstoperation "Rennsteig". Zwischen 1997 und 2003 wurden vom Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst und den Verfassungsschutzämtern Bayern und Thüringen V-Leute in der Neonaziszene von Südthüringen und Nordfranken angeworben. Unter ihnen soll auch R. gewesen sein, der den Decknamen "Tinte" bekam. Am Ende der Operation wurde er offenbar an den Thüringer Verfassungsschutz abgegeben. Das geht aus einem geheimen Dokument hervor, das MDR THÜRINGEN vorliegt.

 

Der Thüringer Verfassungsschutz hat aufgrund der Recherchen von MDR THÜRINGEN seine alten Akten aus den Schränken geholt. Das Landesamt teilte auf Anfrage mit, dass der Vorgang von damals geprüft werde.