"Scheiß Ausländer": Türke fast zu Tode geprügelt

Erstveröffentlicht: 
09.12.2013

Im September wurde ein Türke in Bernburg in Sachsen-Anhalt schwer verletzt, als er von neun betrunkenen Männern angegriffen wurde. Die Staatsanwalt sieht kein rassistisches Motiv. Dabei zeigt die Tat ein Muster, das auf viele spontane Attacken auf Migranten passt. von Frank Jansen.

 

Bei einem Junggesellenabschied wird reichlich getrunken, manchmal haben sich die feiernden Männer dann kaum noch unter Kontrolle. In Sachsen-Anhalt ist im September eine solche Sauftour einer mutmaßlich rechten Clique derart eskaliert, dass ein Türke das Opfer einer neunköpfigen Meute wurde – und beinahe starb. Doch aus Sicht der Staatsanwaltschaft Magdeburg ist Adnan F. (Name geändert) kein Opfer rassistischer Gewalt. In der kürzlich erhobenen Anklage gegen die neun Männer ist von versuchtem Totschlag die Rede, nicht von versuchtem Mord. Die dafür notwendigen niedrigen Beweggründe, dazu zählt auch Hass auf Migranten, schließt die Behörde als dominierendes Tatmotiv aus.

Alltägliche rassistische Gewalt

Nun sieht sie sich mit Kritik konfrontiert. „Der Fall zeigt exemplarisch, die potenziell tödliche Dimension rassistischer Gewalt, mit der wir es Tag für Tag zu tun haben“, mahnt der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat. Der Anwalt des Opfers hat am Montag sogar gefordert, die Bundesanwaltschaft solle den Fall übernehmen.

So wie die Tat nach Angaben von Zeugen abgelaufen sein soll, scheint sie zum Muster spontaner Attacken angetrunkener Rechtsextremisten auf Migranten zu passen. Am Abend des 21. September will der 34-jährige Betreiber des Schnellrestaurants „Alibaba“ im Bahnhof von Bernburg das Lokal abschließen, um es vor dem Mob zu schützen. Die deutsche Freundin von Adnan F. hilft ihm, da beschimpft sie einer der jungen Männer als „Türkenschlampe“. Adnan F. fasst den pöbelnden Angreifer am Arm und sagt, so rede man nicht mit einer Frau. Als Antwort fliegt eine Flasche an den Kopf des Türken, es folgen massive Schläge und Tritte der gesamten Clique. Das zu Boden gehende Opfer wird als „Scheiß-Ausländer“ und „Scheiß-Türke“ beschimpft. Adnan F. erleidet Schädelbrüche und weitere Verletzungen, auch am Hirn. Nur dank einer Notoperation hat er überlebt. Zu befürchten ist allerdings ein bleibender Hirnschaden

Mutmaßlicher Täter ist vorbestraft

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft wurde der Türke attackiert, weil er seiner deutschen Freundin zu Hilfe kam. Offen bleibt, warum dann kein rassistisches Motiv mehr vorrangig sein soll – zumal einer der mutmaßlichen Täter einschlägig bekannt ist. Der Rechtsextremist hatte 2006 mit zwei Kumpanen im Ort Pömmelte (Sachsen-Anhalt) einen 12-jährigen, dunkelhäutigen Schüler gequält. Und er hätte in diesem September, verurteilt  wegen einer weiteren Gewalttat, bereits in Haft sitzen können. Der Strafantritt war allerdings noch nicht veranlasst.

„Die Magdeburger Staatsanwaltschaft ist nicht in der Lage oder gewillt, die rassistische Dimension der Tat als solche zu erkennen“, sagt Sebastian Scharmer, der Berliner Anwalt des Opfers. Scharmer vertritt auch im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München die Tochter des in Dortmund von der Terrorzelle erschossenen Deutschtürken Mehmet Kubasik. Der Anwalt verlangt nun, die Bundesanwaltschaft müsse ebenfalls den Fall Bernburg übernehmen – wie es der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages in seinem Abschlussbericht für schwere rechtsextreme Gewaltaten gefordert habe. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.