Gemalte Rehkitze vor waldigem Hintergrund soll es im Leipziger Stadtteil Connewitz nicht geben. Weil sie zu niedlich sind. Man hat einen Ruf zu verlieren: Silvesterpartys nehmen angeblich „bürgerkriegsähnliche“ Ausmaße an, und „linke Verbrecher“ veranstalten hier regelmässig Schlachten, die medial oft zu „Randalen“ auswachsen.
Von Connewitz höre ich in den letzten zwei Jahren immer wieder Nachrichten von zerborstenen Fensterscheiben, Farb- und Teerbomben, dem verlassenen Bürgerbüro und Gentrifizierungsproblemen. Die „Kiezkiller", wie man hier Immobilienfirmen und Investoren nennt, würden das Flair des Szeneviertels durch monochrome Anstriche kaputt machen und Handtuchrasen auslegen wollen. Die Anwohner haben Angst, von ihrem Kiez vertrieben zu werden, weil die Mieten zu teuer werden. Also wehren sie sich heftigst.
Ist das so, in einer Stadt im ehemaligen Osten und ausgerechnet in einem Viertel, das immer wieder als „Problemviertel" adressiert wird? Ich wage einen Ortsbesuch.
Ich geh erstmal zur Polizei und frage nach, was es mit de Randale gegen Gentrifizierung in Leipzig auf sich hat. Revierleiter Thomas Kretchmar spricht von politisch motivierter Sachbeschädigung und Landfriedensbruch. Er zeigte mir ein paar Fotos: Ein frisch saniertes Haus wurde großflächig mit Teerfarbe bespritzt. „Der Klassiker hier im Viertel“, sagt Kretschmar gelassen, „das geht sofort ans Referat 3, Staatsschutz.” Denn es würde hierbei vorwiegend um gezielte Angriffe auf Häuser, Büros und Autos von Immobilienfirmen gehen.
Der entstandene Schaden liegt mittlerweile im sechsstelligen Bereich, meint Kretschmar. “Wenn ich einen von denen erwische, der kriegt wirklich die gesamte Härte des Gesetzes zu spüren” erzählt er mir.
Um wie viele Sachbeschädigungen es sich handelt, will er mir nicht verraten. Mit detaillierten Zahlen rückt die Polizei ungern raus. „Wir wollen vermeiden, dass einzelne Viertel stigmatisiert werden, das bringt nichts” erklärt Kretschmar. Nur soviel: Etwa vier bis fünf Prozent aller Sachbeschädigungen im Viertel werden unter „politisch motivierte Kriminalität links” vermerkt und landen beim Staatsschutz.
Um mir selber einen Eindruck von der Lage zu verschaffen, gehe ich in die Auerbachstraße, wo die Bewohner der neuen Einfamilienhäuser, wegen ständigen Farbbeutelattacken, als besonders verschreckt gelten. Ich bin ein bisschen enttäuscht. Im Internet empört man sich über „Stadtvillen“, ich sehe aber nur Schuhkartons.
Ein Mann im schwarzer Kapuzenpulli und zerfetzter Jeans repariert gerade das Tor zu seinem Eigenheim. Verängstigt wirkt er nicht gerade. "Das ist Connewitz, da muss man nicht so ein Gewese drum machen," sagt er mir gelangweilt. Er wohnt schon ewig im Viertel und für Farbbeutel hat er nicht mehr als ein Schulterzucken übrig.
In der Presse las ich, dass die Farbbeutelattacken als Abwehrkampf verstanden werden: „Das Immunsystem des Stadtteils wehrt sich gegen Gentrifizierung und Handtuchrasen.“ Gegen „Kiezkiller“, „Hinzugezogene“ und „Wessis“, steht in der BILD.
Dabei ist die Frage, lohnt sich der Präventiv-Krieg? Ist Connewitz wirklich gefährdet, von den Gentrifizierungshaien verschluckt zu werden?
Ich treffe den Wirtschaftsjournalist Martin Kraushaar, der meint, dass die Gegend tatsächlich ein lukratives Geschäft sei. Für den Immobilienkompass des Magazins Capital analysiert er seit Jahren den Immobilienmarkt in Leipzig. „Durch die Euro- und Finanzkrise wird vermehrt in den Immobiliensektor investiert. Die Preise steigen etwa 10 Prozent pro Jahr, weil die Investorennachfrage einfach sehr groß ist! Nach einer Modernisierung könnten Bauträger derzeit traumhafte Gewinne einstreichen. Vor allem bei so genannten Altsubstanzobjekten, wie zum Beispiel die Kochstraße 114 in Connewitz: „Für eine denkmalgeschützte Modernisierung von Altsubstanzobjekten gibt es Sonderabschreibungen, Steuervorteile. Die 114 steht in guter Lage und deshalb sind die Anleger bereit, höhere Preise dafür zu zahlen.“
Damit dieses Geschäft gewinnbringend bleibt, wird aufwendig saniert, und das wird sich auch in Leipzig zunehmend bei den Mietern bemerkbar machen. Die Feri Eurorating Agentur zum deutschen Immobilienmarkt prognostiziert, dass in den deutschen Metropolen die Kaufpreise und Mieten in den nächsten Jahren steigen werden. In Leipzig sollen die Mieten bis 2015 voraussichtlich um 7 Prozent anheben.
Ich besuche Kati Rillich in der besagten Kochstraße 114. 2008 wurde das Haus von einem neuen Besitzer gekauft, und schon ein Jahr später kam die „Modernisierungsankündigung“ ins Haus. Sie ist eine von drei Mieterparteien, die noch nicht ausgezogen ist. Die anderen haben nach einer „Modernisierungsankündigung“ freiwillig ihre Sachen gepackt. Die vom neuen Besitzer angekündigten Mieten, waren für viele zu hoch.
Kati wohnt hier schon seit über zehn Jahren mit ihrem Kater Bulgakov—das hier ist sein Revier, und sie will hier auch bleiben. Jetzt hat sie, wie die anderen verbliebenen Mieter auch, eine Räumungsklage am Hals. Das wäre die erste Räumungsklage, von der man in der Gegend weiß. “Wir räumen keine älteren Damen aus ihren Wohnungen, so was gibt es hier nicht!” sagt der Polizist Kretschmar. Aber vielleicht ja bald schon, wenn Kati nicht geht.
Der Psychoterror, damit Kati und die anderen verschwinden, fing relativ bald nach der Modernisierungsankündigung an. „Ich bin eigentlich nicht der Kämpfertyp“, das glaub ich ihr sofort. Im Korbsessel zurück gelehnt, quittiert Kati fast alles mit einem entspannten Lächeln, auch wenn sie von Psychoterror spricht. “Ich lass mich so nicht behandeln.”
Nach dem Besitzerwechsel 2008 passierte erstmal wenig, nur “seltsame Dinge” erinnert sich Kati. Eines Tages flogen Öfen aus den bereits leerstehenden Wohnungen ohne Vorwarnung in den Hinterhof. “Deinen Ofen können wir auch gleich mitnehmen” hat ein Bauarbeiter zu Kati gesagt.
Später wurde die Tür zum Hinterhof einfach zugemauert die stinkenden Mülltonnen in den Hausflur gestellt. Die beiden anderen Mieter duschen in ihren Wohnungen seit 2009 kalt, weil die Durchlauferhitzer plötzlich kaputt gingen. Größere Reparaturen waren vor der Modernisierung nicht möglich, die Mieter könnten aber jederzeit ausziehen, hieß es dazu in dem Schreiben der Hausverwaltung.
Ausserdem wurde Kati vorgeworfen illegal unterzuvermieten, weil ihr Freund ab und an über Nacht zu Besuch kam, vermutet sie. Fast täglich kamen irgendwelche Briefe auf die sie schnell reagieren musste. Sie sollte den Dachboden kurzfristig räumen, den Keller und den Hof nicht mehr betreten und so weiter.
Die Immobilienfirma Rubin 24 GmbH zog 2012 vor Gericht. Die Mieter würden die Firma an einer „angemessenen wirtschaftlichen Verwertung hindern“, heißt es in der Begründung. Um das Gebäude wieder „konkurrenzfähig“ zu machen, müsse umfassend saniert werden.
„Das ist alles Taktik, um uns hier raus zu kriegen“ weiß Kati, die Psychologie studierte. „Der Lebensraum wird eingeengt, die Anspannung dauerhaft hochgehalten, regelmäßige Belästigungen eingebaut.“ Im Treppenhaus wurde sinnlos der Putz von den Wänden geschlagen, der Dreck solange liegen gelassen, bis die Bewohner den Schutt selbst weggeräumt haben. Und jetzt sieht es dort wirklich aus wie in einer Abrissbude.
Warum wurden die Mieter nicht einfach rausgeworfen? Geht nicht, meint Kati. Das Mietrecht in Deutschland ist tatsächlich streng, rechtlich ist weder der Verkauf, noch Modernisierung eines Gebäudes ein ausreichender Grund für eine Kündigung.
„Als zwei Jahre Gängelei dann nichts gebracht haben, haben sie es dann doch versucht. 2011 hatten wir alle die Kündigung im Briefkasten. Wir sind geblieben, weil wir das Recht haben, hier zu wohnen!“ erzählt mir Kati.
Sie hat mittlerweile in ihrem privaten Häuserkampf politisch Feuer gefangen. „Ging mir nie so, aber jetzt will ich so was wie ein Sandkorn im Getriebe der Verdrängung sein“. Ihre Gegenstrategie ist also naheliegend: bleiben und den längeren Atem haben. Farbbomben ans eigene Haus werfen, ist für sie keine Option.
Das Gericht wies die Räumungsklage gegen sie zurück, die Firma ging in Berufung, solange die Altmieter hier wohnen, stimmt die Rendite nicht. Das Verfahren läuft wieder, die Räumung steht für Kati also immer noch im Raum.
Für wen lohnt sich dieser Stress? Äußern möchte sich die Immobilienfirma dazu nicht, auch auf Rücksicht auf die Mieter, lautet die Antwort der Rubin 24 GmbH. Die Firma ist eine hundertprozentige Tochter der Stadtbau AG Leipzig. Die Kochstraße 114 steht auch auf der Internetseite der Aktiengesellschaft zum Verkauf. Neben einigen Mammutprojekten wirkt das Haus aber eher mickrig.
Für Kati soll sich die Miete nach der Sanierung laut Ankündigung verdreifachen. Ob sie das bezahlen kann oder will ist unerheblich. Sowieso solle es Katis Wohnung nach der Sanierung nicht mehr geben. Große Wohnungen, für große Familien, sollen gebaut werden.
Hat die Kiezmiliz also doch recht, greifen die „Kiezkiller“ Connewitz an? Niemand weiß darauf eine eindeutige Antwort. Eins steht fest, Connewitz ist ein beliebter Stadtteil, aber Connewitz ist auch nicht Sylt. Eine derart bekannte und beliebte Urlaubsinsel und Geldanlage, die Investoren in einem Maße lockt, dass die Bewohner auf das Festland ausweichen müssen.
Die klassische Verdrängung durch „die Besserverdienenden“ ist in Connewitz noch kein Thema, schreibt der Stadtsoziologe Andrej Holm auf seiner Internetseite. Gerade läuft sich der Immobilienmarkt ein bisschen heiß, wann und wo das endet ist auch ungewiss. Kati hat aber eine Idee: „Wenn das Kapital scheu ist wie ein Reh, dann soll es doch wieder zurück in den Aktienmarkt flüchten und hier nicht den Wohnungsmarkt weiter anheizen“.