Sonnenwenden, Totenreden

8. Mai 2012: Martin Graf (vorne links), FPÖ-Politiker und seinerzeit Präsident des Nationalrats, gedenkt mit Burschenschaftern der Toten
Erstveröffentlicht: 
07.10.2013

Freiheitliche Partei Österreichs

 

Unter Jörg Haider hatte sich die FPÖ von zwielichtigen Burschenschaften abgewendet. Heute verkehren sogar ihre Spitzenpolitiker in rechtsextremen Kreisen.

 

Von YVONNE STAAT

 

Die Freiheitliche Partei FPÖ von Heinz-Christian Strache hat bei der Wahl in Österreich Ende September stark zugelegt. Sie gilt als eigentliche Wahlsiegerin. Die konservative ÖVP erwägt dieser Tage sogar, zusammen mit der FPÖ eine Koalition zu bilden, wie es sie schon von 2000 bis 2006 gab. Ausländische Medien nennen die FPÖ gern rechtspopulistisch, tatsächlich ist sie eine radikal rechte Partei mit Personal aus der Neonazi-Szene und dem deutschnationalen Milieu – sogar auf den höchsten Ebenen.

 

Der neuerdings gemäßigte Ton Straches ändert daran nichts. Beispiele gibt es zuhauf, man muss sie nicht einmal suchen, nur zusammentragen: aus österreichischen Medien, aus Hans-Henning Scharsachs Buch „Strache im braunen Sumpf“ oder aus dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW), das aus öffentlichen Mitteln finanziert wird und unter anderem den Rechtsextremismus in Österreich dokumentiert.

 

Da ist etwa Barbara Rosenkranz. Sie saß bislang im Parlament von Niederösterreich, jetzt gelang ihr der Einzug in den Nationalrat. Vor drei Jahren wurde sie von der FPÖ als Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl aufgestellt. Barbara Rosenkranz ist eine vehemente Gegnerin des NS-Verbotsgesetzes, das nationalsozialistische Wiederbetätigung und die Verharmlosung der NS-Verbrechen in Österreich unter Strafe stellt. Zweifel an den Gaskammern zählen für sie zur freien Meinungsäußerung. „Man muss auch skurrile Meinungen zulassen“, sagte sie 2010 der Tageszeitung „Die Presse“. Sie verpasst kein Sonnenwendfest, zu dem die vom DÖW als rechtsextrem eingestufte Organisation Österreichische Landsmannschaft alljährlich ruft. 2008 hielt sie vor Neonazis, Burschenschaftern und FPÖ-Politikern sogar die Festrede. Danach sangen alle gemeinsam Lieder aus dem Liederbuch der Hitlerjugend und die SS-Hymne „Wenn alle untreu werden“, wie ein von der Zeitschrift „Profil“ ins Netz gestelltes Video zeigt.

 

Partei-Urgestein schreibt für faschistische Zeitschriften

 

Da ist Martin Graf, jahrelang Nationalrat der FPÖ, seit 2008 sogar Nationalratspräsident. Diesen Sommer zog er sich aus der Politik zurück. 1987, als Student, gehörte Graf bei einem Vortrag des antisemitischen Hetzers Reinhold Oberlercher („Juden sind bakterielle Krankheitserreger“) an der Universität Wien zum Saalschutz, berichtet das DÖW. Viel später, 2000, sagte er über Norbert Burger: „Ich habe ihn immer geschätzt und tue das auch über den Tod hinaus.“ Burger war der Gründer der verbotenen rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei NDP, über deren Programm der Verfassungsgerichtshof urteilte: „In wesentlichen Punkten stimmt es mit den Zielen der NSDAP überein.“ 2003 wurde Graf Vorsitzender des österreichischen Witikobundes. Dieser Ableger des deutschen Witikobundes wurde von ehemals hohen NSDAP-Funktionären gegründet, der deutsche Verfassungsschutz hat ihn wegen möglicher „rechtsextremistischer Bestrebungen“ auf seinem Radar. Grafs Stellvertreter sind drei weitere FPÖ-Politiker.

 

Da ist Andreas Mölzer, FPÖ-Abgeordneter im Europaparlament. Er ist ein Urgestein der Partei und einer ihrer wichtigsten Ideologen. Über ihn führt das Dokumentationsarchiv DÖW eine dicke Akte, die im Internet einsehbar ist. Demnach tritt Mölzer seit Jahrzehnten als Redner bei Gruppen auf, die der deutsche Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft. Die Liste seiner Publikationen in – gemäß Verfassungsschutz – „neonazistischen“, „faschistischen“ oder „verfassungsfeindlichen“ Zeitschriften ist lang. Und weil ihm das nicht reicht, gibt er auch noch ein eigenes Blatt heraus. In „Zur Zeit“ werden Bücher wie „Das Ende derTabus“ des Auschwitz-Leugners Rudolf Czernin rezensiert. Geschichtsfälscher dürfen ihre Sicht der Dinge verbreiten, etwa dass „Massenvergasungen mittels Zyklon-B“ unmöglich seien und Hitler ein „großer Sozialrevolutionär“ gewesen sei.

 

Linzer Politiker werben mit Propagandazeichnung der NSDAP

 

Da ist Gerhard Kurzmann, bis 2010 FPÖ-Nationalrat, jetzt Chef der FPÖ Steiermark und Mitglied der steirischen Regierung. Auf seiner Homepage gibt Kurzmann unter Lieblingsessen „steirische Forelle“ an. Dass er seit Ewigkeiten bei der „Kameradschaft IV“ mitmacht, steht dort nicht. Das ist ein Traditionsverband der Waffen-SS. In einem Interview im Wiener Stadtmagazin „Falter“ sagte er 2010: „Ich bin Mitglied des Kameradschaftsbundes und der Kameradschaft IV, weil ich nicht will, dass die Kriegsgeneration meines Vaters pauschal kriminalisiert wird. Es gibt für mich nur Individualschuld, aber keine Kollektivschuld. Die haben in einer schwierigen Zeit das, was damals ihre Pflicht war, erfüllt.“

 

Da sind die Linzer FPÖ-Politiker Detlev Wimmer und Markus Hein. Beide sind Alte Herren bei der Burschenschaft Arminia Czernowitz, die im April 2010 einen Vortragsabend mit dem antisemitischen Verschwörungstheoretiker Richard Melisch veranstaltete. Auf dem Flugblatt, mit dem die Burschenschaft für den Abend warb, war eine Propagandazeichnung der NSDAP gedruckt. Den Flyer kann sich jeder im Internet anschauen.

 

Da ist der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Harald Stefan. Er ist Straches Stellvertreter als Vorsitzender der Bundespartei und einer seiner engsten Vertrauten. In einer Pressemitteilung forderte er 2008, sämtliche Subventionen und Zuwendungen der öffentlichen Hand für die jüdische Gemeinde in Wien müssten eingefroren werden. Für die Gemeinde käme dies einem Todesstoß gleich.

 

Enge Verbindungen zur Neonazi-Szene

 

Es ließe sich eine ganze Zeitung füllen mit solchen Beispielen. Es scheint, als habe die Nähe der FPÖ zum deutschnationalen und neonazistischen Milieu Methode. In seinem Buch „Strache im braunen Sumpf“ legt Hans-Henning Scharsach detailreich dar, wie der Einfluss rechter Burschenschaften, die in Österreich auch immer ein Sammelbecken für ewiggestrige Deutschnationale sind, in der Partei unter Strache stark zugenommen hat. Während Jörg Haider sich von den Burschenschaftern distanziert hatte, gehören sie inzwischen wieder, zahlreich, zur Führungsebene. Sie sind die intellektuellen Vordenker und oft das Bindeglied zur neonazistischen Szene.

 

Nur ein Beispiel unter vielen: die Wiener Burschenschaft Olympia, vom Dokumentationsarchiv DÖW als rechtsextrem eingestuft. Eine Olympia-Delegation stellte am alljährlichen Burschentag diesen Antrag: „Die Unterwanderung des deutschen Volkes durch Angehörige von fremden Völkern bedroht die biologische und kulturelle Substanz des deutschen Volkes... Das deutsche Volk ist vor Unterwanderung seines Volkskörpers durch Ausländer wirksam zu schützen.“

 

Zu den Alten Herren von Olympia gehören eine Reihe prominenter FPÖ-Politiker und deren Mitarbeiter, darunter die schon genannten Martin Graf und Harald Stefan, ebenso Dietbert Kowarik, der zweite Vorsitzende des Wiener Gemeinderats, und Norbert Nemeth, Direktor der FPÖ-Fraktion im Nationalrat. Die Verbindungen zur Neonazi-Szene sind eng: 2001 lud die Burschenschaft den Publizisten Jürgen Schwab zum Vortrag ein. Schwab war bis 2004 Mitglied der NPD, dann trat er aus, weil die Partei ihm „zu gemäßigt“ war. Er ist bekannt für seine rechtsextreme Demokratiekritik. Über den von ihm geführten „Bund Frankenland“ schreibt der Bayerische Verfassungsschutz, Ziel sei „die Beseitigung des Grundgesetzes und der parlamentarischen Demokratie“. Bei dem von Olympia 2004 mitorganisierten „Konrad-Lorenz-Symposium“ trat auch der NPD-Politiker Rolf Kosiek auf, ein radikaler Antisemit und Rassentheoretiker. Für Entspannung sorgen an solchen Abenden Musiker wie der völkische Barde Frank Rennicke, Mitglied der NPD und großer Verehrer von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß („ein unvergessener Märtyrer für den Frieden“). Oder der Sänger Michael Müller, der in seinen Liedern die Holocaust-Opfer verhöhnt.

 

Trauerfeier am Tag der Befreiung

 

Auch die burschenschaftliche Zeitschrift „Aula“ ist eine Plattform, auf der sich FPÖ-Politiker und Neonazis treffen. Regelmäßig finden sich in dem Magazin Beiträge von FPÖ-Politikern neben Artikeln aus rechtsextremen und neonazistischen Blättern. In einer Ausgabe von 2003 versicherte Strache in einem Interview, die „Aula“ finde in ihm immer einen verlässlichen Ansprechpartner. Er hielt Wort: In der Ausgabe vom September 2006 durfte etwa der deutsche Neonazi Rigolf Hennig, der gerade eine Haftstrafe wegen „schwerer Verunglimpfung des Staates“ absaß, das Ende Israels prophezeien. In unmittelbarer Nähe zu seinem Artikel erschienen Interviews mit Strache und dem Vorsitzenden der FPÖ Steiermark Gerhard Kurzmann. Ende 2011 gratulierte Strache der Zeitschrift zum 60. Jahrestag. Wenige Monate zuvor schrieb ein „Aula“-Autor einen Artikel mit dem Titel „Lügt Klüger?“. Die Holocaust-Überlebende Ruth Klüger hatte anlässlich des Jahrestages der Befreiung des KZ Mauthausen eine berührende Rede im österreichischen Parlament gehalten. Der Autor des Artikels nannte die Insassen des KZ „kriminelle Elemente“ und die aus dem KZ Befreiten eine „Landplage“.

 

Nicht nur auf dem Papier treffen FPÖ-Elite, Burschenschafter und Neonazis aufeinander. Auch bei unzähligen Feiern, wie dem Sonnenwendfest. Oder dem Fest am 8. Mai, dem Tag der Befreiung, den Burschenschafter, Neonazis und Teilen der FPÖ aber gemeinsam als eine Art Tag der Trauer begehen, an dem sie der Helden gedenken. Jedes Jahr und ganz offiziell auf dem Wiener Heldenplatz. 2004 hielt Strache die „Totenrede“, 2011 war er ebenfalls als Redner vorgesehen. Er reagierte jedoch rechtzeitig auf das kritische Medienecho und sagte ab. Andreas Mölzer, FPÖ-Abgeordneter im Europaparlament, kritisierte Straches Absage daraufhin auf seinem Blog: „Wir müssen ihrer gedenken... Es ist vielleicht nicht opportun, aber es ist moralische Verpflichtung! Und das ist gut so!“

 

Artikel über Neonazis, Rechtsradikale und andere Ewiggestrige werden früher oder später langweilig, weil man beim Lesen irgendwann dichtmacht. Abstumpft, um das Schreckliche nicht an sich ranzulassen. Wahrscheinlich ist diese Abstumpfung auch schuld daran, dass kein Politiker von Format im Namen der Republik aufschrie, als Strache letztes Jahr eine antisemitische Karikatur auf seiner Facebook-Seite postete. Oder als ein Foto auftauchte, auf dem der Partei-Vorsitzende den unter Nazis als Alternative zum Hitler-Gruß beliebten Kühnen-Gruß zu machen scheint. Strache behauptete, er habe nur drei Bier bestellt.

 

Wahrscheinlich waren die Repräsentanten der Republik alle zu abgestumpft, um zu reagieren, als 2007 rauskam, dass Strache als junger Mann in Deutschland in martialischer Aufmachung an sogenannten Wehrsportübungen teilgenommen hatte, wie sie für die damalige Neonazi-Szene typisch waren. Vielleicht ist es aber auch Ignoranz und nicht Abstumpfung, wer weiß das schon. Es spielt auch keine Rolle. Erst das Schweigen macht das Schreckliche salonfähig.