Neonazi Kai-Uwe Trinkaus: Der V-Mann und die Brandstifter

Erstveröffentlicht: 
27.08.2013

Der Thüringer Verfassungsschutz setzte den Neonazi Kai-Uwe Trinkaus als Informanten ein - und verstieß damit einem Gutachten zufolge massiv gegen Dienstvorschriften. Und dann kündigte der ehemalige NPD-Spitzenfunktionär einen Gewaltakt an. Doch niemand reagierte.

 

Von Maik Baumgärtner und Julia Jüttner

 

Kai-Uwe Trinkaus bot seine Dienste selbst an. Der berüchtigte Neonazi und NPD-Funktionär rief am 31. Mai 2006 beim Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz an und sagte, er wäre bereit, Informationen aus der Szene und der Partei auszuplaudern. Der Geheimdienst zögerte nicht lange: Es gab Gespräche und Stichproben und ab dem 8. März 2007 bekam Trinkaus den Namen "Ares" verpasst und wurde offiziell als Quelle des Verfassungsschutzes geführt - für 1000 Euro im Monat, wie Trinkaus behauptet. Für 41 Berichte soll er 16.200 Euro erhalten haben. Mit dem Geld habe er Aktivitäten der NPD bezahlt, später wechselte er zur DVU.

 

Trinkaus als Spitzel einzukaufen war ein Fehler - zu dem Ergebnis kommt das sogenannte Engel-Gutachten. Norbert Engel, ehemaliger Abteilungsleiter im Thüringer Landtag, hat seit Beginn des Jahres die Affäre Trinkaus im Auftrag der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) untersucht. Sein 80-seitiges Gutachten wurde nun nach Informationen von MDR Thüringen am Dienstag hinter verschlossenen Türen in einer geheimen PKK-Sitzung vorgelegt. Es belegt schwere Versäumnisse von Geheimdienst und der Fachaufsicht im Thüringer Innenministerium.

 

Demnach hatten die Verfassungsschützer von Trinkaus' vormaligen politischen Aktivitäten keinen blassen Schimmer: "Dies gilt insbesondere, weil klar sein musste, dass aufgrund seines politischen Werdegangs Herr Trinkaus persönliche Kontakte zu führenden Mitgliedern der Linkspartei.PDS hatte. Obwohl solche Kontakte für die Zuverlässigkeit zur Verwendung als V-Mann von hoher Bedeutung sind, wurde [...] nach ihnen nicht einmal gefragt." Engels Fazit an dieser Stelle: Ein ehemaliger Funktionär der Linkspartei, der in die NPD wechselte und sich selbst beim Verfassungsschutz anbietet, hätte nicht als V-Mann eingesetzt werden dürfen.

 

Die Behörde hat laut Gutachter damals unter großem Druck gestanden: Eine weitere Quelle im Bereich der NPD - besonders im regionalen Bereich von Erfurt und Mittelthüringen - sei "unbedingt" nötig gewesen, "lieber ein problematischer Zugang als gar keine Quelle".

 

Und offensichtlich galt auch: lieber viele Informationen als gute. Denn laut Engel hat Trinkaus dem Verfassungsschutz zwar eine "beachtliche" Menge an Informationen gegeben, diese seien jedoch nicht so profund gewesen, dass sie die Nachteile der "Verwendung von Herrn Trinkaus gerechtfertigt hätten". Das sei vor allem darauf zurückzuführen, dass Trinkaus nie in den wirklich vertraulichen Runden des Landesvorstandes der Thüringer NPD mitgemischt habe.

 

Wer legte Feuer im Haus "Topf & Söhne" in Erfurt?


Einmal habe Trinkaus eine Aktion von gewaltbereiten Neonazis verraten: Einen Angriff auf das besetzte Haus "Topf & Söhne" in Erfurt. Laut den Bewohnern legten Brandstifter im April 2007 in dem Gebäude Feuer, etwa 40 Menschen hielten sich zu dem Zeitpunkt darin auf. Bis heute wurden keine Täter ermittelt.

 

Damals spekulierten die Besetzer über einen rechtsextremen Hintergrund der Tat - Tattag war der Geburtstag Adolf Hitlers. Trinkaus soll laut Mitgliedern des Ausschusses seinem V-Mann-Führer berichtet haben, dass Neonazis einen Angriff auf das Hausprojekt gemeinsam mit sächsischen Kameraden trainierten. Ob vor oder nach der Tat, ist unklar. Aus weiteren Unterlagen, die dem Ausschuss vorliegen, finden sich keine Hinweise über die Weitergabe dieser Informationen an das Landeskriminalamt (LKA) oder die örtliche Polizei.

 

Dabei soll Trinkaus auch davon gesprochen haben, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass das Gebäude abgebrannt werde, wie SPIEGEL ONLINE von Ausschussmitgliedern erfuhr. Damals erlosch das Feuer von selbst, es gab keine Verletzten.

 

Trinkaus ging auf in seinem Doppelleben als Neonazi und V-Mann: Er gründete oder unterwanderte Vereine, die nach außen hin unscheinbar wirkten, in denen sich aber tatsächlich Rechtsextremisten organisierten. Laut Gutachten hatte der Thüringer Verfassungsschutz auch davon keine oder nur ansatzweise Ahnung.

 

Auch habe Trinkaus die Anweisung seiner V-Mann-Führer, Provokationen gegenüber der Linkspartei und anderen politischen Parteien zu unterlassen, ignoriert. Erst im September 2010 wurde Trinkaus abgeschaltet, als durch einen MDR-Bericht bekannt geworden war, dass Trinkaus einen getarnten Neonazi als Praktikanten in die Linksfraktion eingeschleust hatte.

 

Gab der Verfassungsschutz Interna an Trinkaus weiter?


Trinkaus' doppeltes Spiel sei "einmalig" im Verfassungsschutz, resümiert Engel. Ermöglicht habe dies auch die mangelnde Kontrolle des zuständigen Referats im Verfassungsschutz. Der Grund: Der verantwortliche Mitarbeiter war ein Jahr lang krank, Ersatz für ihn gab es keinen.

 

Engels Vorwürfe richten sich auch gegen das Thüringer Innenministerium, dem die Fachaufsicht für den Verfassungsschutz untergeordnet ist. Das Verhalten des Innenministeriums sei "nicht akzeptabel". Der damalige Abteilungsleiter ist der heutige Innenstaatssekretär Bernhard Rieder, der von Beginn an in den kompletten Fall Trinkaus eingebunden war. Aber auch der damalige Innenminister Karl-Heinz Gasser soll informiert gewesen sein: Die Informationen erhielt er vom ehemaligen Verfassungsschutzchef Thomas Sippel.

 

Das Gutachten rückt den Thüringer Verfassungsschutz zudem in den Verdacht, Trinkaus mit polizeilichen Ermittlungsunterlagen versorgt zu haben: Im Juni 2007 hatten Linksautonome einen Neonazi-Treff in Erfurt überfallen. Die interne Polizeiliste mit den Namen und Adressen der Verdächtigen tauchte im Oktober 2007 auf der Internetseite der Thüringer NPD auf.

Laut Engel deuten "gewisse Indizien" darauf hin, dass Trinkaus die Liste aus dem Thüringer Verfassungsschutz bekommen hat. Engel hatte die Originalliste der Polizei mit der damaligen Internetveröffentlichung verglichen. Dabei stellte er fest, dass auf der NPD-Homepage drei Namen fehlten. Laut Gutachten waren diese drei Personen in einer geheimen Datenbank des Verfassungsschutzes als Rechtsextremisten eingestuft. Die Einstufung sei nur dem Geheimdienst bekannt gewesen. Weil exakt diese drei Namen auf der NPD-Internetseite fehlten, kommt Engel zu dem Schluss, das Trinkaus "diese Information nur aus dem TLfV haben" konnte.

 

Trinkaus hatte bei seiner Enttarnung im Dezember 2012 MDR Thüringen gesagt, dass er die Liste von seinem V-Mann-Führer abgeschrieben habe. Der Verfassungsschutz bestreitet entschieden, die Namen an Trinkaus gegeben zu haben. Die Staatsanwaltschaft Erfurt hatte erfolglos versucht zu klären, wie die Liste auf die NPD-Internetseite gekommen war.