Deutschland setzt sich durch: EU will "reisende Gewalttäter" überwachen und speichern

Erstveröffentlicht: 
22.08.2013

Eine Studie der EU-Kommission schlägt mehrere Möglichkeiten einer "europäischen Reisesperre" für unerwünschte Teilnehmer von grenzüberschreitenden Großereignissen vor.

Seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm drängt das deutsche Bundesinnenministerium auf die Einrichtung einer Datensammlung auf europäischer Ebene, um Fußballfans und Demonstranten an Grenzen zu stoppen oder in Gewahrsam zu nehmen. Jetzt liegt das Ergebnis einer EU-Studie vor. 65% aller Gipfeltreffen würden demnach gestört. Jedoch geraten nun auch Festivals und Umweltproteste ins Visier der Polizeibehörden. Als Blaupause dient die Sicherheitszusammenarbeit von Polen und der Ukraine bei der Meisterschaft EURO 2012.

 

Die Europäische Union will den Informationsaustausch zu "reisenden Gewalttätern" effektivieren. Damit kommt die EU-Kommission einer Forderung des damaligen Innenministers Wolfgang Schäuble nach, der nach dem G8-Gipfel 2007 die Einrichtung einer EU-weiten Datensammlung für unliebsame Fußballfans und Gipfeldemonstranten durchsetzen wollte. Von Interesse sind etwa Anzahl erwarteter Personen, ihre bevorzugten Transportmittel und Routen sowie der Zeitpunkt ihrer Anreise ("Troublemaker" im Visier).

Um die rechtliche Situation in den EU-Mitgliedstaaten zu vergleichen und mögliche Zusammenarbeitsformen auszuloten, hat die Kommission bei einer internationalen Beraterfirma eine Studie zur Verbesserung der polizeilichen Kooperation in Auftrag gegeben. Grundlage war ein Fragebogen, der an alle 27 EU-Mitgliedstaaten sowie Kroatien versandt wurde. Gleichzeitig wurden die EU-Polizeiagentur EUROPOL sowie die internationale Polizeiorganisation Interpol konsultiert. Beiträge kamen überdies von den Fußballverbänden UEFA und FIFA. Fallstudien in Italien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Dänemark und Polen lieferten weiteres Material.

Als Ausgangspunkt der Untersuchung galten die "gewalttätige Störung der öffentlichen Ordnung " und damit verbundene "hohe gesellschaftliche Kosten ". Betrachtet werden beispielsweise der G8-Gipfel in Genua 2001, das NATO-Treffen 2009 in Strasbourg und Baden-Baden, der G20-Gipfel 2009 in London sowie mehrere internationale Sportereignisse. Ein besonderer Fokus liegt auf der EURO 2012 in Polen und der Ukraine: Die dortige Zusammenarbeit von EU-Polizeibehörden mit einem "Drittstaat" dient offensichtlich als Blaupause für zukünftige EU-Vorgaben.

 

Deutschland, Frankreich und Dänemark im Mittelpunkt

Das Ergebnis der Studie, die unter Mitarbeit nicht weiter benannter "externer Berater" erstellt wurde, liegt nun vor. Zunächst wird ein Überblick über Großereignisse der letzten Jahre und die dort genutzten Wege zum Informationsaustausch unter EU-Mitgliedstaaten gegeben. Im Anschluss benennen die Verfasser Defizite der Sicherheitszusammenarbeit, darunter verspätete Reaktionen auf Anfragen, die gleichzeitige Weitergabe von Informationen über zu viele Kanäle, Sprachprobleme, unterschiedliche juristische Terminologien oder technische Probleme. Mitgliedstaaten beobachten überdies mehr Aufstände wegen der Finanzkrise.

Gefordert wird eine einheitliche Definition von "reisenden Gewalttätern". Allerdings geht es nicht mehr nur um Gipfeltreffen und Fußballmeisterschaften. Die Studie benennt grenzüberschreitende Sport-, Freizeit-, Politik- oder umweltbezogene Veranstaltungen aller Art:

Sportereignisse: Kann die Anwesenheit ausländischer "Hooligans" umfassen. Verschiedene Formen von kleinerer und ernsthafterer "Gewalt" werden unter dem Begriff "Fußball Hooliganismus" zusammengefasst und meinen Fußballfans, die "Schaden" an der Gesellschaft verursachen

Freizeitbezogene Ereignisse: Kann die Anwesenheit ausländischer gewalttätiger Individuen umfassen, die Konzerte oder Partys besuchen

Politische Ereignisse: Kann die Anwesenheit ausländischer Demonstranten während internationaler Gipfel umfassen, darunter G8, G20, NATO- oder EU-Gipfel

Umweltbezogene Ereignisse: Kann die Anwesenheit ausländischer Demonstranten während Atomtransporten, dem Bau vermeintlich umweltgefährdender Infrastrukturen sowie bei Umweltkonferenzen umfassen

1.506 Festnahmen von "reisenden Gewalttätern" jährlich

Behauptet wird, "reisende Gewalttäter" stellten ein zunehmendes grenzüberschreitendes Problem dar. Ihre Zahl steige an, da Soziale Medien eine größere Rolle bei der Mobilisierung spielen. Belegt wird dies mit der Anzahl durchschnittlicher Festnahmen pro untersuchter Kategorie. Demnach wandern beim Fußball jährlich rund 470 Personen in Gewahrsam, im politischen Bereich wird die Statistik von Protesten gegen Atomtransporte angeführt (180 Personen). In allen Kategorien würden jährlich zusammen rund 1.506 Festnahmen vorgenommen.

Allerdings seien nicht alle Mitgliedstaaten gleichermaßen davon betroffen, eine Häufung liege bei Deutschland, Frankreich und Dänemark. Tatsächlich fielen die Polizeibehörden bei Protesten in Heiligendamm, Strasbourg und Kopenhagen in den letzten Jahren durch unverhältnismäßige Massenfestnahmen auf. Gleichzeitig haben die drei Länder bei vergangenen Gipfeltreffen bestens zusammengearbeitet. Die Kooperation betraf die Einrichtung von Grenzkontrollen oder die Weitergabe von Daten um Personen an der Aus- und Einreise zu stoppen. Deutschland stellte Wasserwerfer, Hundertschaften und weitere Fahrzeuge zur Verfügung (Europäische Amtshilfe gegen Lümmel).

Ein eigenes Kapitel der Studie widmet sich "linkem und anarchistischem Extremismus" und einem sogenannten "Teilbereichsextremismus" ("Single issue extremism"). Als besonders betroffene Länder werden Österreich, Tschechien, Griechenland, Italien und Spanien genannt. Mit einem aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat von EUROPOL wird behauptet, die "radikalisierten" Gruppen würden sich Unterstützung auf politischer, diplomatischer und sogar militärischer Ebene suchen.

Gemeint sind Aktivisten aus den Themenbereichen Tierrechte und Ökologie, die als "Umweltextremismus" bezeichnet werden. Entstanden ist das Phänomen demnach in Großbritannien, ab 2009 sei die Aktionsform auf das europäische "Festland" übergeschwappt (Europol und das Gespenst des Anarchismus).

 

Unliebsamer Widerstand gegen sinnlose Großprojekte

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Ebenfalls erwähnt wird der Widerstand gegen sinnlose Großprojekte, der sich zusehendsgrenzüberschreitend koordiniert. Hierzu gehört die "No TAV"-Bewegung in Italien, die seit vielen Jahren gegen den Bau einer Hochgeschwindigkeitstrasse von Turin nach Lyon aktiv ist.

Richtigerweise wird in der Studie der internationale Charakter derartiger Proteste betont, die sich beispielsweise auf Stuttgart 21, eine Goldmine in Griechenland oder Kämpfe gegen eine Hochspannungsleitung in Spanien beziehen. Mit der Kriminalisierung als "Extremismus" wird allerdings die Argumentation der Polizei übernommen, die zuletzt vor drei Wochen Razzien bei mehreren italienischen Aktivisten durchführte und ihnen "Terrorismus" und "Subversion" vorwirft.

Ähnliches gilt für den breiten französischen Widerstand gegen den Bau eines Großflughafens bei Notre Dame des Landes in der Bretagne, der sich an die international agierende Firma Vinci richtet. Der Konzern baut unter anderem eine Autobahn bei Moskau, was seit Jahren Umweltschützer zu Blockaden und Besetzungen verleitet. In der Studie wird orakelt, die Bewegungen in Frankreich und Italien seien gefährlich, da sie "zunehmend netzwerkorientiert" arbeiten.

In der Studie wird als gemeinsame "Herausforderung" die Identifizierung unliebsamer "Störer" definiert, damit Polizeibehörden im betroffenen Land rechtzeitig Maßnahmen ergreifen können. Als entsprechender Rechtsrahmen wird der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV angeführt, der auch die Polizeizusammenarbeit bestimmt. In Artikel 87 heißt es beispielsweise, dass alle zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, darunter Polizei, Zoll sowie andere "auf die Verhütung oder die Aufdeckung von Straftaten" spezialisierter Verfolgungsbehörden kooperieren sollen. Dies betrifft das Einholen, Speichern, Verarbeiten, Analysieren und Austauschen "sachdienlicher Informationen".

Mehrere Mitgliedstaaten kritisieren Unverhältnismäßigkeit

Zur Umsetzung des AEUV haben die Mitgliedstaaten weitere Vereinbarungen festgelegt, die häufig die Handschrift der deutschen und französischen Innenministerien tragen (EU will neue "strategische Richtlinien" für Überwachung und Kontrolle). Im "Stockholmer Programm", dem gegenwärtigen Fünfjahresplan für Justiz und Inneres, hatte Deutschland die Zusammenarbeit gegen "Troublemaker" ebenfalls verankert:

Der Europäische Rat […] ersucht die Kommission, zu prüfen, wie am besten darauf hingewirkt werden kann, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten Informationen über reisende Gewalttäter, u. a. auch solche, die an Sport- oder sonstigen Großveranstaltungen teilnehmen, austauschen können.

Stockholmer Programm (2009)

Mehrere Regierungen hatten allerdings Bedenken angemeldet, da es in ihren Polizeigesetzen an einer Definition für "reisende Gewalttäter" oder "Störer" fehlt. Zwangsmaßnahmen wären folglich unverhältnismäßig. In anderen Ländern existieren wiederum unterschiedliche Gerichtsbarkeiten, wonach "Störer" nicht nach dem Strafrecht, sondern über Verwaltungs- oder Zivilrecht gemaßregelt werden.

Polizeiliche Willkür bei der Kategorisierung wird auch aus der Studie deutlich. Nur von einem EU-Mitgliedstaat wurde als unerwünschtes Verhalten das sogenannte "Anti Social Behaviour" genannt. Es muss sich um Großbritannien handeln, denn der "Verstoß" existiert lediglich dort. Ähnlich verhält es sich mit Pyrotechnik, deren Gebrauch in vielen Ländern sogar bei Demonstrationen von Feuerwehrangehörigen oder Gefängnispersonal üblich ist.

Bisweilen finden sich die inkriminierten Taten auch nur als "Soft law", sind also nur in nicht bindenden Handbücher oder Richtlinien festgelegt. Deutschland hatte daraufhin vorgeschlagen, dass Polizeibehörden jener Länder lediglich bei der Sammlung der unerwünschten Personen helfen. Repressalien würden nur dort vorgenommen, wo die Rechtslage dies erlaube.

EU-Mitgliedstaaten könnten zu Zwangsmaßnahmen verpflichtet werden

Dem folgend regt die Studie die Vereinbarung einer EU-weit anerkannten Definition an. Bislang werden in EU-Dokumenten die Begriffe "Ordnungsstörer" ("troublemaker") oder "Risikofan" ("risk supporter") benutzt, an anderer Stelle heißt es "Hooligan" oder "gewalttätiger Störer" ("violent troublemaker"). Nun ist von "travelling violent offenders" (TVO) die Rede, womit sich der deutsche Terminus des "reisenden Gewalttäters" international durchsetzt.

Die Kategorie soll zunächst in Handbüchern verankert werden, die seit mehreren Jahren die polizeiliche Zusammenarbeit bei grenzüberschreitenden "Großlagen" regeln. Weil diese aber nicht bindend sind, soll die Definition in den Rang einer EU-Richtlinie erhoben werden, die dann in die jeweilige nationale Rechtsprechung überführt werden muss. Damit werden jene Länder unter Druck gesetzt, die laut der Studie zwar nicht vom Phänomen betroffen sind, aber dennoch mehr Initiative bei der Verfolgung von "reisenden Gewalttätern" zeigen sollen. Tatsächlich ist in der Studie davon die Rede, dass Mitgliedstaaten zur Sammlung und Verarbeitung von Daten verpflichtet werden könnten.

Nachdem eine gemeinsame Definition gefunden und verankert ist, sollen auch Repressalien vereinheitlicht werden. Derzeit ist es in 18 Mitgliedstaaten sowie in Kroatien möglich, Ausreisesperren gegen eigene Staatsbürger zu verhängen. In einigen Ländern können Verbotserlasse für bestimmte Gebiete erlassen werden, auch die zeitweise Ingewahrsamnahme gehört zum Repertoire. Die Einführung temporärer Kontrollen der Binnengrenzen ist ohnehin neu geregelt, seitdem Deutschland und Frankreich die EU kürzlich zur Änderung des Schengen-Kodex gezwungen haben (Griechische Faschisten mit Polizisten im "Bürgerkrieg" gegen Migranten).

Offensichtlich hat die Sicherheitszusammenarbeit von Polen und der Ukraine bei der Meisterschaft EURO 2012 für die nun vorliegende Studie Pate gestanden. Viele der aufgezählten Maßnahmen waren dort bereits umgesetzt worden: Gegenseitiger Austausch im Vorfeld, internationale Besuche, Abschluss einer Vereinbarung zur Zusammenarbeit, Einrichtung gemeinsamer Polizeieinheiten, gemeinsames Kommandozentrum, Entsendung von Verbindungsbeamte und "szenekundigen Beamten". Nach "Risikoanalysen" wurde die Überwachung von Transportmitteln angeordnet, Grenzkontrollen eingerichtet, Reisesperren verhängt und Verdächtige durchsucht oder verhaftet.

In der Studie wird die Taktik der deutsch-polnischen "Green EURO corridors" gelobt. Es handelt sich dabei um vorgesehene Anfahrtswege für Fans, in denen die Polizei an strategischen Orten präsent war. Beklagt wird indes, dass manche Zwangsmaßnahmen nicht eingesetzt werden konnten, darunter das Abhören digitaler Kommunikation, präventiver Gewahrsam oder Hausdurchsuchungen.

 

Bereits jetzt umfangreiche und undurchsichtige Polizeizusammenarbeit

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Daten zu "reisenden Gewalttätern" werden über digitale Kommunikationskanäle weitergegeben, aber auch per Telefon, Fax und persönliche Treffen. Auf EU-Ebene gibt es bereits eine Reihe rechtlicher Möglichkeiten für den polizeilichen Datentausch. Hierzu gehört die gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen, eine Art multilaterales Kooperationsabkommen, das für alle Mitgliedstaaten bindend ist. Im Schengener Informationssystem SIS II werden Personen und Sachen zur Beobachtung oder Fahndung ausgeschrieben. Die "Schwedische Initiative" schreibt eine schnelle Antwort auf Anfragen vor. Der "Vertrag von Prüm" regelt gemeinsame Polizeieinsätze sowie den Tausch biometrischer Daten und Fahrzeugregistern (Ausleihe prügelnder Polizisten bald "gängige Praxis"?).

Hinzu kommen zahlreiche weitere Kommunikationsformen, darunter über die EU-Polizeiagentur EUROPOL und die internationale Polizeiorganisation Interpol mit jeweils umfangreichen Informationssystemen. Ein undurchsichtiges Netz von Verbindungsbeamten nationaler Polizeibehörden und Agenturen sorgt für weitere, unbürokratische Auskünfte. Für Sportereignisse wird vor allem von den " Nationalen Fußball Kontaktstellen " (NFIP) Gebrauch gemacht. Wie beim NATO-Gipfel 2009 spielen aber auch die Zentren der Polizei- und Zollzusammenarbeit (PCCC) eine immer wichtigere Rolle für gemeinsame Einsatzformen. Nun soll ein "Koordinator" dafür sorgen, dass die verschiedenen Instrumente miteinander verzahnt werden (EU will "Koordinator" für Gipfelproteste und grenzüberschreitende Sportereignisse einrichten).

Daten über grenzüberschreitend vernetzte Aktivisten werden auch über die "Police Working Group on Terrorism" (PWGT) getauscht, die 1979 maßgeblich von Deutschland auf den Weg gebracht wurde. Ihre ursprüngliche Aufgabe galt einer Bekämpfung bewaffneter linker Gruppen. Nach deren weitgehenden Bedeutungslosigkeit in den 90er Jahren wurde das liebgewonnene Netzwerk aber nicht aufgelöst, sondern im Jahr 2000 thematisch umgemünzt. Seitdem fühlt sich die PWGT auch für "politische gewalttätige Aktivitäten" zuständig. Zu ihren Tätigkeiten zählt sie eine "Harmonisierung" der Polizeizusammenarbeit hinsichtlich "gewalttätiger politischer Aktionen".

Inwiefern hierbei grenzüberschreitender politischer Aktivismus gemeint ist, wurde 2010 offenkundig: Damals hatte die belgische PWGT-Kontaktstelle Daten von 380 Demonstranten, die im Rahmen eines antirassistischen Grenzcamps in Brüssel "präventiv" verhaftet wurden, an die Polizeibehörden ihrer Herkunftsländer weitergegeben. Behauptet wurde, die Personen seien im Kontext der Zerstörung von Scheiben einer Polizeistation aktenkundig geworden. Jedoch erfolgte der Angriff einer kleinen Gruppe erst als spätere Reaktion auf die Massenfestnahmen, die Speicherung erfolgte also unter einer falschen Sachverhaltsdarstellung. Dies bemängelte auch der Bundesdatenschutzbeauftragte. Für die Betroffenen bedeutet das Ärger: Über die PWGT weitergegebene Daten können unter anderem im Schengener Informationssystem gespeichert werden.

Rechtslage ist diffus, Datenschutz ist Hindernis

Einige Mitgliedstaaten, darunter Deutschland und Dänemark, führen bereits nationale "Störer"-Datenbanken. Für Gipfeltreffen oder Fußballspiele werden diese an ausländische Polizeibehörden mit einer meist mehrmonatigen Löschfrist ausgeliehen. Problematisch bei einer Weitergabe ist allerdings, dass Dateiformate variieren. Weil die Daten für einen manchmal anderen Zweck erhoben wurden, dürfen sie auch für andere polizeiliche Bedürfnisse nicht genutzt werden. Zugangsberechtigungen regeln, dass Informationen bisweilen nur von Justizbehörden verarbeitet werden dürfen, während sie andernorts auch Geheimdiensten offen stehen.

Unterschiedliche juristische Standards in Bezug auf Auskunftsrecht oder Löschfristen erschweren den Datentausch offensichtlich erheblich: Laut der Studie hätten 46% aller Befragten angegeben, dass der Datenschutz ein Hindernis darstellt. Aufgewogen wird dies mit dem zweifelhaften Hinweis, dass sich durch die Verfolgung inkriminierter Personen "positive soziale Effekte" einstellen würden.

Offen ist bei der geplanten EU-weiten "Störer"-Datei auch, ob eine Speicherung vertraulicher oder geheimdienstlich klassifizierter Daten gewünscht ist. Dies beträfe etwa Informationen zu sexuellen Vorlieben oder politischer Gesinnung, wie sie bei EUROPOL gesammelt werden, aber strikteren Regeln unterliegen. Würden Mitgliedstaaten weiterhin nationale Dateien führen und diese untereinander tauschen, stünde die jeweils unterschiedliche Handhabung vertraulicher Daten im Weg.

Möglich wäre, stattdessen das vorhandene SIS II zu nutzen oder dort sogar eine eigene Kategorie einzurichten. Letzteres würde aber eine Änderung der Errichtungsanordnung nötig machen. Sollte sich der Vorschlag nicht durchsetzen, könnte auch EUROPOL angehalten werden eine entsprechende Datei zu führen. Die Verfasser der Studie problematisieren allerdings, dass der Datenschutz dabei auf der Strecke bliebe: Denn im Falle einer Ausschreibung über ein EU-System müssten die Betroffenen auch bei anderen Grenzübertritten mit Schwierigkeiten rechnen.

Herzenswunsch von Schäuble

Als Ergebnis heißt es, dass alle bestehenden polizeilichen Zusammenarbeitsformen miteinander verbunden werden müssten. Ein Netzwerk nationaler Kontaktstellen könnte errichtet werden, bestehende Strukturen aus dem Bereich Fußball versprächen Synergieeffekte. "Neue Funktionalitäten" des Schengener Informationssystem sollen genutzt werden, womit vermutlich die Sammlung biometrischer Daten gemeint ist. Auch die existierenden Systeme bei EUROPOL und Interpol sollen verwendet werden, das Gleiche gilt für die geplante EU-Datensammlung zu Flugreisen ("Passenger Name records") sowie das "Europäische Strafregister" (ECRIS).

Sind die neuen Kontrollmaßnahmen erst einmal in Gang gekommen, soll schließlich die Einführung einer "europäischen Reisesperre" folgen. Damit hätte sich ein Herzenswunsch des damaligen Innenministers Schäuble erfüllt, für den er kurz nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm sogar eilig einenBeschluss des Bundesrates herbeiführen konnte.