Schwarzköpfe will keiner

Erstveröffentlicht: 
21.08.2013

Wutbürgerinnen mit Kopftuch: In Hamburg-Altona hat sich ein nachbarschaftlicher Protest gegen Polizeikontrollen von Jugendlichen mit migrantischem Aussehen formiert
Von Christoph Twickel

 

Getränkekisten stehen herum, ein paar Rohrstühle mit blauem Plastikbezug – das Hinterzimmer des Azra-Kiosk ist kein wirtlicher Ort. Aber es ist der einzige im Viertel, in dem sich Mustafa Yeltan, Marlon Esteban und Pio Mussa, alle Anfang zwanzig, willkommen fühlen. »Hier sind alle Orte verschwunden, wo wir immer gechillt haben«, sagt Mustafa, der gerade seine Ausbildung als Fahrzeuglackierer abgeschlossen hat. Die Bolzplätze an der Holstenstraße? Da steht heute ein Erlebnisbad und ein Schulneubau. Der ehemalige Gewerbehof mit der Moschee und dem türkischen Kulturverein? Abgerissen für Wohnungsneubau. Und die Reeperbahn? »Du kommst ja nirgendwo rein als Schwarzkopf«, sagt Mustafa. Früher gab’s noch den »Passion Club«, da waren sie willkommen. »Wissen Sie, wie sie den genannt haben? Kanakendisko, « sagt Pio.

Keiner will sie haben, die Schwarzköpfe: Das ist das Gefühl unter den männlichen Jugendlichen vom Azra-Kiosk in Altona-Altstadt. Seit der Nacht vom 11. auf den 12. Juli kennt ganz Hamburg das Gebiet als »Stolperviertel«. So titulierten Zeitungen – einer Pressemeldung der Polizei folgend – das Viertel, in dem die »Krawallnacht an der Holstenstraße« (Hamburger Abendblatt) stattfand. »Jugendliche und Anwohner attackieren Polizisten« – titelte die Welt. »Randale-Mob greift Polizei an« schrieb die Hamburger Morgenpost.

 

Weg versperrt

 

An jenem Abend hatten sie sich – wie immer während des Fastenmonats Ramadan – gegen halb elf nachts am Azra Kiosk getroffen, um dann im Park zum Fastenbrechen zu gehen. Plötzlich hätten ihnen zwei Dutzend Polizisten den Weg versperrt und ihre Ausweise verlangt. »Die meisten von uns waren an dem Tag schon zwei oder drei Mal kontrolliert worden«, sagt Pio. »Also haben wir gesagt: Nein, machen wir nicht, laßt uns in Ruhe!« Ein Wort gab das andere, die Polizisten kesselten sie ein und erzwangen die Personalienfeststellung – mit Pfefferspray, Handschellen und Schwitzkasten. Die Nacht endete mit 16 Festnahmen, einem Nasenbruch, einem ohnmächtigen Jugendlichen und anderthalb Dutzend Anzeigen wegen Beamtenbeleidigung, Landfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Die Polizei erklärte zunächst, man habe die Jugendlichen kontrolliert, weil sie mit Laserpointern Beamte geblendet hatten. Später war von geblendeten Autofahrern die Rede. Gefunden wurden die Laserpointer nicht.

Eltern, Freunde und Anwohner kamen dazu, um zu protestieren. Und natürlich waren auch Lokalreporter vor Ort. »Nicht daß sie wieder schreiben von Salafisten und Islam«, bittet ein Jugendlicher in einem Youtube-Video der Dokuaktivisten von »Utopie TV«. Es half nicht viel. »Drohen uns bald Verhältnisse wie in Paris?« fragt etwa die Hamburger Morgenpost in Anspielung auf die Banlieue-Riots von 2005.

Problemstadtteil Hamburg-Altona? Eben gerade nicht. Vielmehr erlebt der Stadtteile eine rasante Gentrifizierung. »Altona-Altstadt gehört zu den beliebtesten Wohnstandorten der Stadt« jubiliert ein Immobilienfonds, der keine 200 Meter vom Kiosk entfernt 65 Eigentumswohnungen plant. Im Viertel boomen Wohnprojekte und Baugemeinschaften. Der »Bauverein der Elbgemeinden« hat vis-à-vis vom Kiosk schicke Miet- und Eigentumswohnungen errichtet. Früher war dort die Grundschule, die Mustafa, Marlon und Pio besucht haben. »Die kontrollieren uns wegen den ganzen Neubauten«, glaubt Pio. »Die wollen den Yuppies zeigen, daß hier alles sicher ist.«

Tatsächlich fanden allein in den beiden Tagen vor der berüchtigten Nacht 47 Identitätsfeststellungen und 17 Platzverweise statt, wie eine Anfrage der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft ergeben hat. Polizeilicher Alltag sei das, meint Wolfgang Brand, Leiter der Schutzpolizei. Schon 2012 hätte man einen »Schwerpunkteinsatz« in dem Gebiet gefahren. »Damals hat das gar kein Aufsehen erregt.«

 

Kragen geplatzt

 

Dieses Mal ist es anders. Dieses Mal ist nicht nur den Jugendlichen, sondern auch Eltern und Anwohnern der Kragen geplatzt. Auf einer Versammlung im nahegelegenen August-Lütgens-Park macht sich am Sonntag nach den Ereignissen die Empörung Luft. Mütter mit Kopftuch, bärtige Väter mit türkischem Akzent, Kids mit kurzrasiertem Haarschnitt: Zu Wort melden sich die, die die deutsche Mehrheitsgesellschaft gerne als integrationsunwillige Problemfälle taxiert. Sie schimpfen über Polizeiwillkür gegen »unsere Jugendlichen« und über die Medien. Laut Welt soll einer der Azra-Kids gerufen haben: »Der nächste Polizist, der das Stolperviertel betritt, ist tot.« Stolperviertel? Diese Bezeichnung hat von den über 200 Nachbarn noch nie einer gehört. Ein 11jähriger Junge berichtete darüber, wie ihm ein Zivilpolizist seinen Fußball abgenommen und in den Müll geworfen hat. Warum? Jemand hatte sich über eingeschossene Fensterscheiben beschwert.

Racial Profiling ist in Deutschland zunehmend ein Thema. Meist ist es der Hartnäckigkeit einzelner Betroffener zu verdanken, daß rassistisch motivierte Polizeikontrollen und Übergriffe in die Medien kommen – etwa der Fall des schwarzen Architekturstudenten aus Kassel, der gegen eine Polizeikontrolle im Zug geklagt und im Oktober 2012 in zweiter Instanz Recht bekam. An den Altonaer Protesten ist bemerkenswert, daß sie kollektiv und nachbarschaftlich entstanden sind.

Über 1000 Menschen kommen am 20. Juli zu einer Demonstration unter dem Motto »Es gibt hier kein Problem mit der Sicherheit – es gibt ein Problem mit der Polizei!« Für viele ist es die erste Demo ihres Lebens. Vom Lautsprecherwagen aus bringt der Rapper Nate57 aus dem benachbarten Karoviertel seinen Hit »Immigranten«: »Und ich frag mich wann werden wir akzeptiert / Wann werden sie gegen uns den Haß verlieren / Wir bleiben nur Immigranten, sollen am Rand krepieren/ Sie gießen Öl in das Feuer, bis wir randalieren«. Ein Song der Jungs wie Mustafa, Marlon und Pio aus der Seele spricht. Das Video hat auf Youtube 800000 Klicks. Als die Demonstration an der Polizeiwache Mörkenwache, die für die Kontrollen verantwortlich ist, vorbeifährt, kochen die Gemüter hoch: »Kommt raus – Mann gegen Mann – ihr Schweine!« Aaliyah J.*, eine der Mütter, fährt die Kids an: »Hört auf damit! Wenn ihr solche Worte sagt, seid ihr nicht besser als die!«

Vater Marrokaner, Mutter Deutsche, hier aufgewachsen – Aaliyah spricht mit norddeutschem Einschlag: »Ich sag immer: Ich bin eine Hamburger Deern«. Aaliyah ist eine der Frauen, die den Protest in Altona tragen. Wir sitzen im Park, und sie erzählt aus ihrem Leben: Warum sie sich für das Kopftuch entschieden hat (»Es hat mich gestört, daß ich als Frau immer nur nach meinem Aussehen beurteilt werde«), warum sie schon mit 16 Jahren geheiratet hat (»Mein Vater war sehr streng, und ich wollte raus aus dieser Umklammerung«). »Ich sag nicht, daß die alle Engelchen sind«, meint Aaliyah. »Es sind halt Jugendliche«. Vor ein paar Wochen tauchten bei Aaliyah und ihrem Lebensgefährten zwei Polizisten auf – um drei Uhr morgens. Ihr Sohn hatte die Vorladung zu einer Gerichtsverhandlung vergessen. »Die haben rumgebrüllt, mitten in der Nacht, die Nachbarn sind alle aufgewacht«, empört sich die Mutter. »So wird man doch kriminalisiert!«

 

Mist gebaut

 

Daß es unter ihnen welche gibt, die mal Mist gebaut haben – das räumen die Azra-Kids gerne ein. Aber würden sie so ins Visier der Polizei geraten, wenn sie blond wären und Leon oder Erik hießen? »Wenn die mich mal mit nem Joint erwischen, bin ich bei denen gleich als Dealer abgestempelt«, sagt Pio. »Wenn ich hier wirklich Tüten verkaufen würde, das würden meine Eltern sofort mitbekommen. Jeder hier hat derbe Respekt vor seinen Eltern.«

Die Polizei ließ verlauten, die Maßnahmen in Altona zielten auf eine »lose Gruppierung«, »mehrheitlich mit Migrationshintergrund«, die »bereits deliktisch in Erscheinung getreten« sei. Racial Profiling? Der oberste Schutzpolizist Wolfgang Brand dementiert: »Die polizeilichen Maßnahmen haben ihren Grund im Verhalten der Jugendlichen, nicht in rassistischen Einstellungen.« Die Kids vom Azra-Kiosk machen andere Erfahrungen: Bei einer Kontrolle ein paar Tage vor der Krawallnacht habe einer der Polizisten einen dunkelhäutigen Freund mit den Worten »den Schwatten nehm ich auch noch mit« in Gewahrsam genommen. »Das habe ich mit eigenen Ohren gehört«, sagt Pio.

Immerhin: Seit den Protesten gegen die Polizeigewalt, haben die Kontrollen deutlich abgenommen. Vertreter der Jugendlichen und der Nachbarn sitzen in einem Runden Tisch mit der Polizei und den Behörden zusammen. Zivilpolizisten umrundeten mit ihren Autos weiterhin den Kiosk, erzählen die Jungs im Hinterzimmer vom Azra-Kiosk. Die uniformierten Beamten aber kämen kaum noch. »Die grüßen sogar höflich«, sagt Mustafa. »Deren Chefs haben wohl gesagt, sie sollen die Füße stillhalten. Komisch, oder? Wo wir doch so kriminell sind!« sagt Marlon und grinst – ein wenig bitter.