[LSA] Antirassistische Aktionstage in Sachsen-Anhalt

Demo in Dessau

Vom 11.05.2013 bis zum 18.05.2013 findet bundesweit eine durch die Kampagne „Rassismus tötet“ initiierte Aktionswoche gegen Rassismus statt. Grund ist der 20.Jahrestag des Asylkompromiss von SPD, FDP und CDU und der damit verbundenen faktischen Abschaffung des Asyl in Deutschland. Am 25.05.2013 wird es in Berlin ebenfalls zur de facto Abschaffung des Asylrechts eine bundesweite Demonstration geben. Auch in Solingen findet an diesem Tag eine Demo statt, die an denn Brandanschlag vom 29. Mai 1993  gedenken soll.

 

Auch antirassistische Gruppen und Einzelpersonen aus Sachsen-Anhalt werden sich an der Aktionswoche beteiligen. Grund dafür gibt es im Land der Frühaufsteher genug. Es werden von inhaltlichen Vorträgen in verschiedene Städten auch Kundgebungen in den ländlichen Regionen Sachsen-Anhalts abgehalten. Dort ist die Lage für geflüchtete Menschen und Nicht-Weiße oft am schlimmsten. Ein Beispiel dafür ist der Angriff dreier Neonazis auf das neu entstandene Asyllager in Vockerode.
Dazu erschien in den letzten Tagen auch ein Text, der sich im Anhang dieses Artikels befindet. Ebenfalls im Anhang befinden sich die Termine für Sachsen-Anhalt in Englisch und Französich.

Wir möchten hier die verschiedenen Termine aus Sachsen-Anhalt für die Aktionswoche vom  11.05.2013 bis zum 18.05.2013 auflisten. Dazu werden wir noch auf weitere Veranstaltungen durch die Linksjugend Sachsen-Anhalt und dem Infoladen [Salbke] verweisen.



AKTIONSWOCHE (11.05. - 18.05.)

13.05.2013 | Bitterfeld
öffentlicher Filmabend in der Innenstadt von Bitterfeld


14.05.2013 | Gräfenhainichen |Ausländerbehörde* | 14:00 – 18:00 Uhr 
Kundgebung „Rassismus tötet“ in Gräfenhainichen, veranstaltet durch die Geflüchteteninitiative Wittenberg.

refugeeinitiativewittenberg.blogsport.de
*Karl-Liebknecht-Straße 12


14.05.2013 | Magdeburg | Infoladen [Salbke] | 18:00 Uhr
 Inputpart + Filmabend : „The truth lies in Rostock“ + vegane KüfA
Nähere Infos: infoladen.blogsport.eu


15.05.2013 | Halle | Marktplatz | 15:00 – 20:00 Uhr
Kundgebung „Rassismus tötet!“ auf dem Marktplatz in Halle


16.06.2013 | Magdeburg | Ulrichsplatz | ab 19:00 Uhr
Dokumentarfilme + Inputpart + KüfA auf dem Ulrichsplatz in Magdeburg.
Inputpart mit Menschen einer Geflüchteteniniative aus Sachsen-Anhalt zur Situation von Geflüchteten. Gezeigt werden der Film „Residenzpflicht“ und „Wadim“.
Veranstaltet durch: Bündnis Magdeburg-Nazifrei



17.05.13 | Magdeburg | Einewelthaus |  17.30 Uhr
Infoveranstaltung mit der NGO Women in Exile aus Brandenburg + Fotoausstellung „Gemeinschaftsunterkünfte in Sachsen-Anhalt“ und Vorstellung der Arbeit des Flüchtlingsrats LSA
Mitgliederinnen von Women in Exile werden von der Arbeit der Organisation berichten und Informationen zur Situation von Frauen in Gemeinschaftsunterkünften geben.
Bianka Mopita vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V wird  die  Arbeit des Flüchtlingsrats,  in Bezug auf die Situation von geflüchteten Frauen in Sachsen-Anhalt, Fluchtgründe, Frauenspezifische Gründe für den Asylantrag, Beratung in Problemfällen (HIV, Hepatitis u. a.), vorstellen.
Veranstaltet durch: Arbeitskreis Antirassismus Magdeburg



WEITERE TERMINE:

10.05.13 | Magdeburg | Infoladen [Salbke] | 19:00 Uhr
Vortrag + 1. Jahr Jubiläums-Party
Es wird einen Vortrag über den deutschen Kolonialismus geben. Näher beschäftigt wird sich dabei mit: Anfängen, Widerständen, Kriegen, die Rolle weißer Frauen und kolonial geprägte Vorgänge im Deutschen Reich, als auch in Sachsen-Anhalt.  Anschließend Soli-Cocktail-Party
Nähere Infos: infoladen.blogsport.eu


21.05.13 – 24.05.13 | LSA
Vortragsreihe der Linksjugend Sachsen-Anhalt
Es wird Diskussionsabende in Halberstadt (21.05) , Halle (22.05) , Magdeburg (23.05) und Bitterfeld (24.05) geben. Das Thema wird „20 Jahre Asylkompromiss – Flüchtlinge im Land der Frühaufsteher“ sein, sowie die Mobilisierung zu der bundesweiten „Fight Racism Now“-Demo am 25.05. in Berlin.
Nähere Infos: fightracismnow.net

 

 

 



 

Text zu Vockerode (erschienen im April 2013)

 


Der ganz „normale Wahnsinn“
Rassismus 20 Jahre nach der faktischen Abschaffung des Asylrecht in Deutschland und im besonderen in Sachsen-Anhalt

Am 3. Oktober 1990 war es offiziell: Ost und West „vereinigten“ sich wieder. Ein deutsch-deutscher Taumel brach aus und endlich konnte ein neuer positiver Bezug in der deutschen Geschichte geschaffen werden. Doch kurz nach der Wiedervereinigung gingen die nächsten schockierenden Bilder aus Deutschland um die Welt. Gerade einmal 46 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges und dem Stoppen der industriellen Vernichtung von Menschen auf deutschem Boden, gab es wieder Pogrome und Tote. Diesmal waren Asylsuchende und Nicht-Deutsche die Opfer der deutschen Aggressionen geworden.

Vorweg gingen monatelange Hetzkampagnen in den deutschen Medien. Diese berichteten von einer angeblich bevorstehenden „Asylflut“ (Spiegel). Es wurde Öl in ein schon brennendes rassistisches Feuer gegossen und die Stimmung gegen sogenannte „Ausländer“ weiter angeheizt. Die Eskalation dieser „rassistischen Grundstimmung“ fand ihre Konsequenz in blutigen Pogromen in ganz Deutschland. Bekannteste Beispiele sind Hoyerswerda (`91) und Rostock-Lichtenhagen (`92), wo ein deutscher Mob tagelang vor Asyllagern wütete. Es wurde teils erfolgreich versucht, die Heime anzuzünden und somit der Tod von hunderten Menschen in Kauf genommen. Die Politik reagierte mit einem Einlenken und brachte "die Ungewollten" aus den Städten, so dass Hoyerswerda als erste offizielle „ausländerfreie Stadt“ bejubelt werden konnte. Auch in Sachsen-Anhalt gab es allein im Jahr 1993 vier dokumentierte Anschläge auf Flüchtlingslager, so in Zielitz, Oebisfelde, Halle und Friedersdorf.
Ebenfalls muss die Rolle von Politik und Polizei in diesem Kontext näher beleuchtetet werden, da in vielen Fällen gar nicht oder erst zu spät eingriffen wurde. Es lässt sich aus den Geschehnissen ablesen, dass die Pogrome politisch gewollt waren und akzeptiert wurden – aber nicht gesteuert.
Denn die Konsequenz bundesdeutscher Innenpolitik war 1993 der sogenannte „Asylkompromiss“. In die schon lange von Schwarz-Gelb (CDU/FDP) angestrebte Grundgesetzänderung lenkte im Jahr 1993 auch die SPD ein. Dies ermöglichte die Asylgesetzgebung so umzuschreiben, dass es seitdem kaum Möglichkeiten für Menschen gibt, in Deutschland Asyl gewährt zu bekommen. Festgeschrieben wurden:

  1. das Prinzip der sicheren Drittstaaten: Menschen, die einen anderen EU-Mitgliedsstaat vorher betraten, dürfen nun kein Asyl mehr in der BRD stellen. Da die BRD umringt von solch sicheren Drittstaaten liegt, bleibt:
  2. Offiziell ist also nur noch die Einreise per Flugzeug möglich. Doch auch hier ließ sich die     deutsche Politik mit Abschiebeknästen an Flughäfen ein europaweit einzigartiges Konzept     einfallen. Die Flughafenregelung „garantiert“ ein Schnellverfahren direkt am Flughafen.     Asylsuchende    können somit direkt abgeschoben     werden, ohne jemals einen Fuß auf     deutschen Boden gesetzt zu haben.
  3. Stammen Menschen aus „sicheren Herkunftsländern“ werden Asylanträge als     "offenkundig unbegründet" abgelehnt und sie werden wieder abgeschoben, oft in andere         europäische Länder, durch die sie (ein)reisten. Europa wird somit für viele Flüchtlinge zu     einem Ping-Pong-Spiel.
  4.  Außerdem wurde 1993 das Asylbewerberleistungsgesetz eingeführt, das Flüchtlingen     deutlich weniger Sozialhilfe als Deutschen zugesteht, teilweise Sachleistungen statt Geld     vorsieht und die Unterbringung in Lagern, den sogenannten Gemeinschaftsunterkünften,     regelt .

Nach 19 Jahren bedurfte es erst eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das feststellte, dass das Existenzminimum für alle Menschen in Deutschland gleich zu sein hat – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Die Leistungen waren im gesamten Zeitraum kein einziges Mal den gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst worden.

In diesem Jahr 2013 wird sich die faktische Abschaffung des Asylrechts zum zwanzigsten Mal jähren. In Deutschland herrscht auch heute noch immer ein rassistisches Klima, welches seit der Wiedervereinigung viele Tote in der Bundesrepublik zur Folge hatte. Menschen, die nicht „deutsch“ genug aussehen oder sonst nicht in das Raster der Polizeibeamten passen, werden an Bahnhöfen und Flughäfen massiv kontrolliert. Rassistische Polizeikontrollen oder Übergriffe gehören zum schrecklichen Alltag Nicht-Weißer Menschen.

So auch in Sachsen-Anhalt. Hier verbrennen Menschen in Polizeizellen. Es gibt mindestens zwei  Todesopfer rassistischer Gewalt. Asylsuchende müssen noch immer unter miserablen Bedingungen in Lagern „leben“. Ein aktuelles Beispiel dazu ist der Landkreis Wittenberg und seit Neustem vor allem das kleine Dorf Vockerode: Der letzte traurige Höhepunkt war ein Angriff am 30. März 2013 durch Neonazis auf ein Flüchtlingslager. Drei Männer drangen dabei in einen der Wohnblöcke ein, traten eine Tür ein und griffen zwei Bewohner an. Den Bewohner_innen gelang es in Folge durch eigene Kraft, die Angreifer solange festzuhalten, bis die alarmierte Polizei nach einer halben Stunde eintraf.

Dieser Angriff kann als Konsequenz des Nicht-Handelns der Politik und einer rassistischen Grundstimmung in Vockerode betrachtet werden.
„Während sich die Einwohner_innen Vockerodes sehr schnell darüber beschweren konnten, in eine rechte Ecke gestellt zu werden, herrscht nach dem Übergriff Schweigen. Weder von Seiten der Bürgerinitiative, die nicht müde wurde, zu betonen, dass sie mit Nazis nichts zu tun und
nichts gegen die Flüchtlinge habe, noch von offiziellen Stellen gab es bisher eine Stellungnahme.“ (http://www.ludwigstrasse37.de/nolager/2013_04_08_vockerode_naziangriff.htm)

In eigens angesetzten Bürgerversammlungen wird seit Monaten über eine „Lösung des Problems“ in Vockerode auf rassistische Weise diskutiert. Das Dorfleben werde angeblich durch zu viele „wilde“ Männer, Drogen und unhygienische Menschen gestört - eine bekannte Argumentation aus der rassistischen Trickkiste. Am liebsten wäre es den Dorfbewohner_innen von Vockerode, wenn die „Fremden“ da hin gehen, wo sie hin gehören – eben nicht hier.
In dieser Stimmung witterte auch der NPD-Ortsverband Anhalt-Bitterfeld sein Glück und bot sich als „volksnaher Problemlöser“ an. Ein Angebot, das viele der Vockeroder Bürger_innen annehmen. An einem Stand der NPD am 16.2.2013 fanden sich ca. 60 Menschen der 600-Seelen-Gemeinde ein, um sich über Lösungsansätze zu erkundigen. Vockerode ist kein Einzelfall was Bürgerinitiativen gegen Flüchtlinge betrifft. In Leipzig beispielsweise fanden sich ebenfalls bis zu 150 Menschen zusammen, um gegen den geplante Zuzug von Asylsuchenden zu demonstrieren.

Es gilt, sich dem rassistischen deutschen Normalzustand entgegenzustellen und uns mit den Betroffenen zu solidarisieren. Dies bedeutet nicht nur, den besonders Unterdrückten zu helfen, sondern diese Befreiung auch als einen Teil der allgemeinen Befreiung Aller zu verstehen. Der speziell deutsche völkische Rassismus hat bereits einmal seine verheerende Wirkung in großem Maßstab entfaltet. Sich mit aller Kraft gegen Rassismus und seine gesetzliche Verankerung zu stemmen, halten wir daher für unabdingbar. 

 

Wir wollen eine Welt erschaffen, in der alle Menschen frei leben können.
Deshalb Lager abschaffen, Residenzpflicht abschaffen und Asyl für alle!
Rassismus bekämpfen!