Frauen auf Rechtsaußen

Erstveröffentlicht: 
12.04.2013

Sie war die nette Terroristin von nebenan. Als "herzensgut" haben Beate Zschäpes Nachbarinnen die Frau im NSU-Mordtrio wahrgenommen, die sich am kommenden Mittwoch in München wegen Mittäterschaft verantworten muss. Den Blick auf Frauen in rechtsextremen Zusammenhängen verstellen immer noch Klischees. Das macht sie so gefährlich.

 

Beate Zschäpe "war eine der wenigen aktiven Frauen in der rechtsextremistischen Szene. Sie soll sich politisch kaum engagiert haben." Das las Michaela Köttig wenige Tage nach Zschäpes Festnahme in der Zeitung, und das hat sie mächtig aufgeregt. Seit Jahren forscht die Professorin an der FH Frankfurt zu Frauen und Rechtsextremismus und ist Mitbegründerin des Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus. Für gefährlich hält sie dieses Klischee, das sich scheinbar nicht ausrotten lässt und auch in den Medien immer wieder bedient wird: Frauen sind in der rechten Szene eher selten, sowieso eher friedfertig, haben keine politische Überzeugung und wenn, dann keine gewalttätige. "Das macht rechtsextreme Frauen unsichtbar", sagt die 47-Jährige. "Das prägt auch die Arbeit des Verfassungsschutzes, der die Aktivitäten rechtsextremer Frauen kaum wahrnimmt – im Fall von Beate Zschäpe mit tödlichen Folgen", so formulierte sie es gemeinsam mit der Autorin und Journalistin Rena Kenzo in einem offenen Brief des Forschungsnetzwerks. 

 

Dieses Netzwerk aus Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen arbeitet schon seit mehr als zehn Jahren, und ihre Forschungen besagen etwas anderes. Frauen und Mädchen sind in der rechtsextremen Szene aktiv – in Skinheadgruppen, in rechtsextremen Parteien, in Kameradschaften oder in ultrarechtsextremen Gruppierungen. Sie sind taffe Kameradschaftsführerinnen, die dort gerne mal anerkennend "Mutti" genannt werden. Sie kandidieren für die NPD wie Edda Schmidt aus dem schwäbischen Bisingen. Oder agieren für die inzwischen verbotene Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene (HNG) wie Ursula Müller aus Mainz-Gonsenheim. Sie melden sich unter den Kampfnamen Raginhild, Rashild oder Saxhild mit rassistischen Hetzreden in rechtsextremistischen Internetforen zu Wort. Sie tun weit mehr, als bei rechtsextremen Treffen Torten zu verkaufen, die mit dem Hakenkreuz verziert sind. 

 

Das weiß auch Ellen Esen. "Alle gesellschaftlichen Frauenrollen spiegeln sich in der rechtsextremen Szene", sagt die Karlsruherin, die sich seit Jahrzehnten in Vorträgen an Schulen und Buchveröffentlichungen mit der rechtsextremen Frauenszene beschäftigt. Vom Heimchen am Herd bis zur Karrierefrau ist alles vertreten, Frauen drängen vermehrt in soziale Berufe, weil sie dort ihre rassischen, menschenverachtenden Ansichten weitergeben können. Sie organisieren Skinheadkonzerte, führen Kameradschaften oder diskutieren nationalen Feminismus. Der moderne Rechtsextremismus hat die Frauen entdeckt, und das macht ihn auch attraktiv für Mädchen, die rebellisch sein wollen, unangepasst. Und nicht zuletzt macht es sich die Szene zunutze, dass Frauen als friedlich gelten: Sie sind diejenigen, die einer Terrorgruppe wie dem Nationalsozialistischen Untergrund den Mantel von Normalität umhängen – wie Beate Zschäpe. 

 

Ellen Esen ist Politikwissenschaftlerin und eine Frau der Praxis. Sie betreut Aussteigerinnen und arbeitet dabei eng mit dem Sozialpädagogen des LKA-Aussteigerprogramms BIG Rex zusammen. Sie kennt viele Frauen aus der Szene persönlich, klärt an Schulen in Thüringen, Brandenburg oder Baden-Württemberg auf, diskutiert mit den Jugendlichen. "Nur wenn man weiß, wie die Rechtsextremen argumentieren, kann man sie zurückholen", sagt die Mutter zweier Mädchen. Esen scheut sich nicht, auch in die Schmuddelecken zu gehen, in die Sportläden, die im Hinterzimmer ihr Nazisortiment verbreiten. Ihre schwarze Kleidung macht die schlanke Frau noch größer, an jedem Finger ihrer Hand steckt ein Ring, in der Schale im Karlsruher Wohnzimmer liegen kleine Steine, auf ihnen steht Freude, Glück, Mut. Vor allem Letzteres kann bei ihrer Arbeit nicht schaden. 

 

Ellen Esen ist keine, die sich schrecken lässt. "Das muss ich Ihnen mal zeigen", ruft sie und schleppt herbei, was sie fast täglich sammelt, um zu dokumentieren, wie die Szene tickt: Da sind die Kleber, die auf Konzerte der rechten Szene hinweisen, die sie heute Morgen erst abgekratzt hat. Da ist das T-Shirt, das rosa-laut tönt: "Gegen Rassismus", und drunter versteckt aufklärt über die wahre Gesinnung: für die Erhaltung der Völker und Kulturen. Und ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Kleiner Heide" kleidet den Nazinachwuchs. Aus dem Fundus ihrer rechten Skurrilitäten zieht die 53-Jährige einen Tanga, blau mit roten Strings und dem weißen Aufdruck 88. Das steht für den achten Buchstaben des Alphabets und bedeutet übersetzt: Heil Hitler. Genau hinschauen, ohne Scheuklappen, das ist auch Esens Devise. Die Zeit der weißen Schnürsenkel ist vorbei. 

 

Seit 20 Jahren beschäftigt sich Ellen Esen mit der rechten Szene. Ihr Einstieg war der Ausstieg des Neonazis Ingo Hasselbach. Und seit ihr bei einem Vortrag in Thüringen eine Lehrerin von der Schülerin erzählte, die sich den Namen von Rudolf Hess auf den Arm tätowiert hatte, schaut die Politikwissenschaftlerin mit scharfem Blick auf die Frauen in der rechten Szene. Das war vor zehn Jahren. Seitdem kennt sie nicht nur die einschlägigen Internetforen, den Versandhandel und die Aussteigerinnen, sondern auch das weibliche Spektrum der Neonazis – von ganz bieder rechts bis autonom rechts – und wie es sich in den vergangenen 15 Jahren organisiert hat: etwa in der NPD-Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" und der "Gemeinschaft deutscher Frauen", in "Jeanne D.", nach eigenen Aussagen eine "Selbsthilfegruppe politisch verfolgter Frauen in Zeiten des BRD-Regimes", in der "Mädelschar Deutschland" oder der "Aktive Frauenfraktion AFF" für die jüngeren Frauen. Ellen Esen hält die Schautafeln hoch, die sie bei Vorträgen benutzt, die Ringe an ihren Fingern blinken gefährlich.


Auch "Enibas" ist dabei, die Frau, die im inzwischen verbotenen Neonaziforum thiazi.net bekannte, dass sie Joseph Goebbels verehre, Hitlers Geburtstag feiere und sich freue, dass "Jude wieder ein Schimpfwort ist". Dahinter verbirgt sich Sabine Rasch aus Mannheim, sagen Antifa-Aktivisten, die Enibas enttarnt haben. Die 52-Jährige hat zehn Kinder, sitzt im Elternbeirat zweier Schulen und ist Nationalsozialistin. Tarnung ist ihre Taktik – als Enibas schrieb sie: "Ich glaube, niemand würde mich mehr in den Elternbeirat unserer Schule wählen, wenn ich in der NPD wäre." Deshalb sei sie nirgends offiziell organisiert: "Wir müssen nun schmiegsam und anpassungsfähig sein, wie es unser Führer so ergreifend sagt." Rasch verziert die Torte schon mal mit Hakenkreuz.

Anpassungsfähig ist auch Edda Schmidt. Seit Jahrzehnten wohnt die 63-Jährige mit Mann und vier Kindern in Bisingen am Fuße des Hohenzollern, auffällig ist allenfalls ihre Vorliebe für Dirndl. Dass sie rechtmäßig verurteilt ist wegen Aufstachelung zu Rassenhass und Volksverhetzung und wegen Verbreitung jugendgefährdender Schriften, weiß im Dorf kaum jemand. In seiner Urteilsbegründung nannte der Richter Edda Schmidt und ihren Mann Hans "geistige Brandstifter". Doch in Bisingen kennt man nur die Biedermänner. Anders als Sabine Rasch ist Edda Schmidt seit Jahrzenten in der NPD aktiv. Lange Jahre waren sie und ihre Familie aktiv im örtlichen DRK, bis sie wegen ihrer Aktivitäten ausgeschlossen wurde. Edda Schmidt sitzt im Landesvorstand der NPD, sie ist Landesvorsitzende des Rings nationaler Frauen und kandidiert für die Bundestagswahl im September auf Listenplatz 2.

Auffälliger und jugendlicher gibt sich Isabell Pohl, die zwei Jahre lang in der Nähe von Schwäbisch Gmünd in Obergrönningen lebte. Die 36-Jährige gründete die Aktive Frauen Fraktion, die zu den aktivsten Frauenorganisationen der extremen rechten Szene gehörte. Das Logo der Organisation zeigt ein Skingirl mit erhobenem Sturmgewehr. Pohl organisierte Neonazikonzerte und ist in der Rechtsrockszene aktiv. Bei einer Spendensammlung für die Neonazi-Band Race War aus Schwäbisch Gmünd stellte sie ihr Konto zur Verfügung. Seit 2004 lebt Pohl wieder in Thüringen. Sie tritt als Rednerin bei Aufmärschen und Kundgebungen auf, gerne jugendlich mit Baseball-Mütze, Sonnenbrille und kurzem Haarschnitt.


Und dann ist da noch die rechte Szeneanwältin Nicole Schneiders, die bis zu ihrer Kündigung in einer Stuttgarter Anwaltskanzlei gearbeitet hat. Sie war bis 2002 NPD-Stellvertreterin im thüringischen Jena. Chef war damals Ralf Wohlleben, der im November 2011 als Unterstützer der braunen Zwickauer Terrorbande verdächtigt und verhaftet wurde, weil er ihr laut Bundesanwaltschaft eine Pistole mit Munition beschafft haben soll (Kontext berichtete).

 

Das Spektrum der rechten Frauen ist breit. Auch auf der 129er-Liste, die die Ermittlungsbehörden im Falle der NSU-Morde zusammengetragen haben, finden sich 19 Frauen. "Beate Zschäpe ist nur die Spitze des Eisbergs", sagt auch die Professorin Michaela Köttig. Frauen treten immer mehr aus dem Hintergrund auf die Bühne. "Der moderne Rechtsextremismus ist ohne das Engagement von Frauen nicht denkbar", sagt Köttig, die Lebensläufe rechtsextremer Frauen und Mädchen wissenschaftlich untersucht hat. Beate Zschäpe, so ihre Einschätzung, hat dem Leben im Untergrund einen harmlosen Anstrich gegeben. Demnächst wird die Wissenschaftlerin gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen ein Buch zum NSU herausgeben. Sie hofft, dass rechtsextreme Frauen endlich als das gesehen werden, was sie sind: rassistische, menschenverachtende Täterinnen.