Ermittlungspanne: Fahnder werteten NSU-"Garagenliste" nicht richtig aus

Erstveröffentlicht: 
14.02.2013

In der Affäre um das Behördenversagen bei der Suche nach dem untergetauchten Nazi-Trio wird eine neue Ermittlungspanne bekannt: Offenbar blieb ein wichtiges Beweisstück lange Zeit unausgewertet. Das Bundeskriminalamt verließ sich auf die Kollegen aus Thüringen - und umgekehrt.

 

Jena - Es war eine filmreife Szene, die sich am 26. Januar 1998 im thüringischen Jena ereignete: Ein Sprengstoff-Spezialist der Polizei nähert sich in schwerem Schutzanzug einer Garage im Stadtteil Burgau, in der die Behörden eine rechtsextreme Terrorwerkstatt vermuten. Tatsächlich entdecken die Beamten wenig später mehrere Rohrbomben, braunes Propagandamaterial und 1,4 Kilo TNT. Doch den mutmaßlichen Bombenbauern gelingt die Flucht. Trotz intensiver Fahndung bleiben die Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe über Jahre verschwunden - und können ihre mörderische Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gründen.

 

Heute, rund 15 Jahre nach der Flucht des Trios, ist es zwischen dem Bundeskriminalamt (BKA) und dem Thüringer Landeskriminalamt (LKA) zu einem Streit um ein wichtiges Beweisstück gekommen, das damals in der Bomben-Garage gefunden wurde und das die Fahnder womöglich auf die Spur des flüchtigen Trios hätte bringen können. Es geht um eine computergeschriebene Telefon- und Adressliste mit handschriftlichen Ergänzungen, in der Mundlos mehr als 35 Kontakte zu rechten Kameraden - darunter mehrere Fluchthelfer - eingetragen hatte. Doch offenbar wurde diese "Garagenliste" damals nie richtig ausgewertet, weil sich das BKA auf die Thüringer Kollegen verließ - und umgekehrt.

 

Sowohl das LKA als auch das BKA, das seinerzeit zwei Beamte nach Thüringen entsandt hatte, hatten damals zu Kontaktleuten der Flüchtigen ermittelt. Dass die sichergestellte Telefonliste "wertvolle Fahndungsansätze für die laufende Fahndung nach dem untergetauchten Trio enthielt, steht außer Frage", heißt es nun in einem internen Schreiben des Thüringer LKA-Präsidenten an das Erfurter Innenministerium vom 7. Februar 2013. Doch das BKA habe diesen Umstand in seiner Auswertung damals "nicht deutlich" gemacht und die Liste den "fahndenden Beamten" vorenthalten.

Das BKA wiederum erklärte Ende Januar 2013 in einem Schreiben an den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, dass "die auf dieser Liste verzeichneten Personen" damals in einem Vermerk explizit "als mögliche Kontaktpersonen des Mundlos eingestuft" worden seien. Lediglich die handschriftlichen Ergänzungen auf der Rückseite der "Garagenliste" seien seinerzeit als "nicht relevant eingestuft" worden. Dem BKA sei "nicht bekannt", welche weiteren Ermittlungsschritte das LKA "als zuständige Behörde mit den auf der Liste verzeichneten Personen damals durchführte".

Das LKA-Schreiben legt dagegen nahe, dass die Thüringer seinerzeit davon ausgingen, dass sich das BKA um die Personen auf der Liste kümmern wollte. "Dass zu den auf der Liste vermerkten Personen keine oder vereinzelt erst sehr viel später Ermittlungsschritte unternommen wurden", so der Erfurter LKA-Chef, liege an dem damals "fehlenden Hinweis auf eine Fahndungsrelevanz des sog. 'Garagenliste'" durch das BKA.

 

"Erneuter Fall von eklatantem Dilettantismus"


 

Ob - und falls ja: wann genau - die Liste überhaupt an die zuständigen Zielfahnder des Thüringer LKA gelangte, wird derzeit geprüft. Ein damals in der Spezialabteilung tätiger Mitarbeiter sagte vor dem NSU-Ausschuss inzwischen aus, das Beweisstück habe ihn seinerzeit nicht erreicht.

Im Bundestag sorgt der aktuelle Behördenstreit bereits für Empörung. "Dass die wertvolle 'Garagenliste' nicht zur Zielfahndung gelangte, sondern offenbar einfach weggelegt wurde, ist ein erneuter Fall von eklatantem Dilettantismus", so Eva Högl, SPD-Obfrau im Berliner NSU-Untersuchungsausschuss. Es sei ihr "letztlich egal, ob dafür ein kurzfristig nach Thüringen abgeordneter BKA-Beamter verantwortlich ist oder - wofür mehr spricht - die Beamten des LKA Thüringen selbst, die für die Fahndung nach dem Trio federführend zuständig waren". Das "ewige Schwarzer-Peter-Spiel, das die Behörden im Ausschuss betreiben, muss endlich aufhören", so Högl. "Warum ist es denn eigentlich so schwer, offenkundig begangene Fehler auch einmal einzugestehen?"

 

Die Telefonliste ist indes offenbar nicht das einzige Beweisstück aus der Bomben-Garage, das lange Zeit unbeachtet in der Asservatenkammer landete: Erst im vergangenen Jahr werteten Spezialisten der Kripo zum ersten Mal richtig einen Aktenordner mit umfangreichem Schriftverkehr aus, den Mundlos vor seiner Flucht angelegt hatte.