Leipzig: Urteil im Prozess gegen die Mörder des Wohnungslosen André K. - Ein Prozessbericht

Initiativkreis Antirassismus Leipzig

Der folgende Bericht fasst den Prozesstag - den Tag der Urteilsverkündung - im Prozess um den Mord an dem Wohnungslosen André K. zusammen. Es ist ein Bericht, der das Gesagte der Prozessbeteiligten versucht wiederzugeben, ohne vorrangig Bewertungen abzugeben.

 

Jedoch: Nicht die Höhe der im Urteil verhängten Strafen, worauf sich die mediale Berichterstattung zu meist bezieht, ist zu betrachten und zu kritisieren, sondern das nicht untersuchte sozialdarwinistische Tatmotiv. Lediglich die Nebenklagevertretung hatten den Fokus auf ein rechtes sowie sozialdarwinistisches Motiv (mehr dazu im Bericht) gelegt, was weder vom Gericht noch der Staatsanwaltschaft aufgegriffen wurde. Dies spiegelt den breiten gesellschaftlichen Konsens, den Sozialdarwinismus erfährt, wieder.


Mehr Informationen zur Tat sowie den vorangegangenen Prozesstagen unter:

http://initiativkreis.blogsport.de/prozess-gegen-die-moerder-von-andre-k/

 


PROZESSBERICHT vom 25.01.2013 - Landgericht Leipzig

 

Nach über einjähriger Verhandlung vor dem Leipziger Landgericht ist am 25. Januar das Urteil gegen die fünf Täter – sowie einer Person aufgrund unterlassener Hilfeleistung – im Prozess um die Tötung des wohnungslosen André K. gesprochen worden. Trotz der Forderung der Nebenklagevertreterinnen – u.a. der Berliner Rechtsanwältin Undine Weyers – die Angeklagten Sebastian Bach und Ronny Schleider wegen heimtückischen Mord und Mord aus niederen Beweggründen sowie die drei jugendlichen Beschuldigten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu verurteilen, folgte das Gericht unter dem Vorsitzenden Norbert Göbel größtenteils den Forderungen der Oberstaatsanwältin Dr. Claudia Laube.

 

Die fünf Beschuldigten wurden wegen Totschlags zu folgenden Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt:

  • Tommy J. (zum Tatzeitpunkt 19 Jahre) → Jugendstrafe von drei Jahren

  • David O. (17) → Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten

  • Chris K. (16) → Jugendstrafe von drei Jahren

  • Ronny Schleider (27) → Freiheitsstrafe von 13 Jahre

  • Sebastian Bach → Freiheitsstrafe von zehn Jahre

Der 38-jährige Silvio H. erhielt eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten, ausgesetzt zur Bewährung. Der Bewährungszeitraum beträgt zwei Jahre, wobei er sich regelmäßig bei seiner_seinem Bewährungshelfer_in zu melden hat.

 

Der Prozess

Nach der Eröffnung der Verhandlung schloss Richter Göbel die Beweisaufnahme und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, Dr. Claudia Laube, hielt ihr Plädoyer.

 

Plädoyer der Staatsanwaltschaft

In ihrer fast einstündigen Ausführung fasste Oberstaatsanwältin Dr. Laube den Tages- und Tatverlauf zusammen. Die Angeklagten haben ihren Tag unterschiedlich verbracht und stießen später aufeinander. Zu diesem Zeitpunkt standen die Beschuldigten bereits unter Alkoholeinfluss. Die Grundlosigkeit der Tat verdeutlichte die Oberstaatsanwältin durch das ziellos umher laufen, das die Täter letztlich zu André K. führte, über den sie herfielen und ihm massive Verletzungen im Kopfbereich zufügten, was als „außergewöhnliche Gewalttat“ bewertet wurde.

 

Im Weiteren wurde jedem Einzelnen die konkreten Tatvorwürfe dargelegt, wobei sie den Hauptanteil bei den erwachsenen Beschuldigten sah. Allen voran R. Schleider beschrieb sie, auch aufgrund der belastenden Aussage S. Bachs, die dieser bereits kurz nach der Tat gegenüber Zeug_innen tätigte, den Hauptanteil des Angriffs zu. Diese umfangreiche Äußerung tätigte Bach nicht im Bewusstsein der Selbstentlastung, weshalb vom Wahrheitsgehalt des Gesagten auszugehen sei, denn – und auf diesen abwertenden Hinweise konnte sie nicht verzichten – „für so clever halte“ sie Bach nicht, dass er zu diesem strategischem Denken in der Lage wäre.

 

Dem Jugendlichen David O. wies sie Tritte gegen André K. nach. Den Einlassungen von Tommy J. schenkte sie keinen Glauben, so sei davon auszugehen, dass er den am Boden liegenden und offensichtlich verletzten André K. mehrmals gegen den Kopf trat, worauf Blutspritzer an der Kleidung hindeuteten. Auch nach der Tat ging J. mit Bach zum Tatort zurück, um die abgebrochene Klinge dessen Samuraischwert, welches gegen André K. versucht wurde einzusetzen, zu suchen, um so Beweismaterial zu beseitigen. So kann von einer bewussten Handlung sowie dem Wissen über die Folgen derer ausgegangen werden. Ebenso soll J. nach der Rückkehr zum Tatort den schwer Verletzten abermals getreten haben.

 

Chris K., auch bekannt als „Thor-Steinar-Chris“, gab in vorherigen Verhandlungen an, nur passiv beteiligt gewesen zu sein, d.h., er soll am Tatort zugegen gewesen und alles gesehen, jedoch nicht ein- oder mit angegriffen haben. Die Oberstaatsanwältin widerlegte jedoch diese Behauptung, in dem sie die aktive Teilnahme K.'s, stützend auf einer Aussage J.'s, versuchte nachzuweisen. K. soll demnach in dem Moment gegen den Bauch von André K. getreten haben, als dieser versuchte aufzustehen. Der Tritt verhinderte dies. André K. fiel wieder hin und schlug mit dem Hinterkopf auf den Boden auf.

 

Silvio H. warf sie unterlassene Hilfeleistung vor.

 

Im Weiteren wertete sie die Tat als versuchtes Tötungsdelikt, dem ein bedingter Tötungsvorsatz zugrunde liegt. Die Anzahl der Tritte gegen André K.'s Kopf bewegte sich im höheren zweistelligen Bereich, wobei sie gezielt gegen den Kopfbereich ausgeübt wurden, weshalb – und dies gestand Bach – der Tod in Kauf genommen wurde. Somit besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen Angriff und Tod.

 

Einen heimtückischen Mord sah sie nicht als gegeben an. Das Opfer soll zwar wehr- nicht aber arglos gewesen sein. Arglosigkeit liegt vor, wenn bereits zu Beginn der Gewalteinwirkung ein Tötungsvorsatz vorgelegen hätte. Dieser hätte sich aber erst im Prozess des Angriffs ergeben.

 

Auch ein Mord aus niederen Beweggründen negierte sie. Eine potenzielle rechte Gesinnung bei Bach und Schleider erkannte sie nicht. So können Tattoos und Fotos nicht als Hinweise auf eine Ideologie herangeführt werden. Auch wurde bei beiden keinerlei neonazistisches Propagandamaterial bei den Hausdurchsuchungen gefunden. Zudem war kein Motiv, das den Sachverhalt des niederen Beweggrundes stützt, erkennbar, da André K. erst aufgesucht wurde, nach dem Danilo H. durch die Täter nicht aufgefunden wurde. Vielmehr ist die Tat in der Persönlichkeit der Täter verwurzelt, so ist bei ihnen ein starker Alkoholkonsum sowie Feigheit, dissoziales Verhalten, Mitläufertum sowie eine ungewöhnliche Gruppenkonstellation vorzufinden, die den Schluss zulässt, auf Totschlag zu plädieren.

 

Im Anschluss ging sie auf die Höhe des Strafmaßes sowie strafmildernde Gründe ein. Die Angeklagten sollten ihrer Ansicht wie folgt verurteilt werden:

  • jugendlichen Täter zu je drei Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung

  • S. Bach zu zehn Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung

  • R. Schleider zu 13 Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung

  • Silvio H. Zu einer Freiheitsstrafe, ausgesetzt auf Bewährung, von einem Jahr (Bewährungszeitraum zwei Jahre)

Nebenklägerin I

Sie verwies auf die vorliegende Heimtücke des Mordes, sowie den niederen Beweggrund, weshalb sie forderte, S. Bach und R. Schleider für Mord zu verurteilen. Bei dem Strafmaß von O., J. und K. schloss sie sich der Staatsanwältin an.

 

Nebenklägerin II

Eingangs führte die Rechtsanwältin Undine Weyers aus, André K. war in Oschatz als wohnungslos, alkoholkrank sowie einzelgängerischer bekannt gewesen, dennoch ist er ein friedlicher und gut gelaunter Mensch, der keine anderen Personen stören wollte. Der Oschatzer Bürger_innenpolizist Schilling, der André K. gut kannte, war als einer der ersten am Tatort und erkannten diesen aufgrund seiner Verletzung nicht wieder, nur anhand dessen Jacke.

 

In den polizeilichen Ermittlungen sah sie u.a. einen Grund, weshalb die Staatsanwaltschaft nicht zum Schluss des Mordes kommen konnte. So soll der Ermittlungsführer geäußert haben, dass er die Täter ja habe und warum er sich mit einem Motiv beschäftigen müsse. Ebenfalls sah er keinen Grund, die Angehörigen von André K. zu verständigen.

 

Den jugendlichen Beschuldigten warf sie Körperverletzung mit Todesfolge vor, wobei zu Beginn des Angriffs kein Tötungsvorsatz vorgelegen habe. Dennoch hätten sie die Folgen ihres Handelns erkennen können.

 

Bach und Schleider hingegen warf sie heimtückischen sowie Mord aus niederen Beweggründen vor. Aus ihrer Perspektive liegt Heimtücke vor, da André K. zum Tatzeitpunkt wehr- und arglos war, denn letzteres liegt auch vor, wenn sie schleichend ist, sich der Tötungsvorsatz während des Angriffs erst entwickelt, da sich die Situation des Opfers nicht verändert habe.

 

Niedere Beweggründe seien in der rechten Gesinnung des R. Schleider sowie im satanistischen Glauben des S. Bach zu finden, da beides auf Ungleichwertigkeitsdenken aufbaut. Hierbei verwies sie auf Tattoos sowie die Fotos auf welchen R. Schleider bei einer JN-Aktivität sowie unter einer Reichskriegsflagge zu sehen ist. Ebenso kritisierte sie die Durchführung der Hausdurchsuchungen: Diese hätten vom Staatsschutz und nicht der regulären Polizeibehörde durchgeführt werden müssen. Sie geht davon aus, dass die Polizei nichts gefunden hat, da sie nicht gründlich gesucht habe und – unter Rückbezug auf die Verlautbarungen des Ermittlungsführers – generell nach keinem Tatmotiv gesucht haben und daher auch entsprechendes Material nicht beachtet hätten.

 

Aus ihrer Sicht sind S. Bach und R. Schleider wegen Mordes zu verurteilen. Bei den weiteren Angeklagten schloss sie sich der Forderung der Oberstaatsanwältin an.

 

Zusammenfassung von den Plädoyers der Verteidiger von J., O., K.

Alle drei begründeten die Tat darauf, dass keine homogene Gruppe am Tatabend vorzufinden war, sondern eine, wo „die Erwachsenen bestimmten, was geschieht“. Aufgrund ihrer nicht-altersgemäßen kognitiven wie psychischen Entwicklung, konnten sie den „Leitwölfen“, gemeint sind die beiden erwachsenen Angeklagten, nichts entgegensetzen. Sie sollen sich den Folgen ihrer Tat nicht bewusst gewesen sein und daher liegt kein bewusster Tötungsvorsatz vor, jedoch eine gefährliche Körperverletzung.

 

Es wurde die Frage gestellt, wie mit der zunehmenden Dissozialität in Kleinstädten umzugehen ist. Aufgrund dessen und anderen privat erlebten Zuständen sind, sie in erhöhten Alkoholkonsum verfallen. Für die drei jugendlichen Angeklagten wurden je zwei Jahre auf Bewährung gefordert.

 

Plädoyer des Verteidigers von Ronny Schleider

Der stets unsicher wirkende Verteidiger sah die Anschuldigungen gegenüber seinem Mandanten auf Vorwürfen aufbauend an. Auch erachtet er die Inszenierung von S. Bach als fragwürdig, habe dieser doch erst behauptet, Schleider hätte sich nicht an der Tat beteiligt, nur um wenig später seine Meinung doch zu ändern. Auch die Einlassungen der drei jugendlichen Beschuldigten zeugen von Selbstentlastung und Verharmlosung des eigenen Tuns, wohingegen den Erwachsenen S. Bach und R. Schleider die nahezu alleinige Schuld für die Gewalttat zu geschoben wird. Die Aussagen der Jugendlichen stellte er als fragwürdig dar, so seien alle, außer David O., nach der Rückkehr von der Tat „gut drauf gewesen“.

 

Der RA fordert Freispruch für R. Schleider.

 

Plädoyer des Verteidigers von Sebastian Bach

RA Stolzenburg führte in fast anderthalb Stunden aus, dass sich das Strafmaß für Bach, dieser habe dem auch zugestimmt, an der Forderung der Staatsanwaltschaft orientieren soll. Der RA verweist auf die „soziale Randständigkeit“ der Täter, die auch ausschließlich männlich-sozialisiert seien.

 

Die Tat beschreibt RA Stolzenburg als eine, die fassungslos mache, die als widerlich einzustufen ist, wobei aufgrund dessen aber nicht auf Mord geschlussfolgert werden kann. Den Verteidigern der Jugendlichen wirft er interessengeleitete, funktionalisierende Plädoyers vor. Die Schuld wurde ausschließlich auf die erwachsenen Beteiligten abgewälzt, gegen jene wurde einseitig argumentiert.

 

Bach habe jedoch bereits am Tag nach der Tat selbstreflexiv eingestanden, vermutlich „jemanden getötet zu haben“. S. Bach habe ein hohes Maß an individueller Schuld auf sich geladen, aber er sei nicht fähig, „die anderen zu willenlosen Objekten zu machen“.

 

Plädoyer des Verteidigers von Silvio H.

Der RA macht darauf aufmerksam, dass wir täglich zehntausende – er habe mal etwas von „22.000 zu treffenden Entscheidungen am Tag gelesen“ – Entscheidungen treffen, die sich als richtig oder falsch herausstellen, sein Mandant habe falsch entschieden. In dem Kontext verwies er, um zu verdeutlichen, was Entscheidungen denn seien, auf das „Kullirollen“ der Nebenklagevertreterin.

 

Dem Vorwurf keine Hilfe per Telefon geholt zu haben, erwiderte der RA für sein Mandanten, dass zuvor die Frage gestellt werden müsse, ob er überhaupt eines bei sich getragen habe, wobei lediglich die Frage in den Raum geworfen wurde, ohne näher darauf einzugehen. Auch probierte der RA H. zu entlasten, indem er darauf hinwies, dass ein Verlassen des Tatgeschehens zu Konsequenzen seitens der Angreifer ihm gegenüber hätten führen können. Er forderte am Ende eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung.

 

Schlusswort

Alle Angeklagten entschuldigten sich für die Tat, auch bei den Familienangehörigen.

 

Urteilsverkündung

In den Ausführungen des Richter Göbel verweist dieser auf den vorliegenden bedingten Tötungsvorsatz, wobei er bemerkt, dass alle an der Tat beteiligt gewesen sind, es somit irrelevant ist, mit welcher Intensität wer zugeschlagen/-getreten habe, sondern alle sind Mittäter gewesen. Die gehörten Zeug_innen waren keine Tatbeteiligten und erfuhren lediglich durch hören-sagen von dem Tathergang.

 

Die Tat sei „haarscharf“ kein Mord. Heimtücke läge nicht vor, da Arglosigkeit bewusst ausgenutzt werden müsste, was hier nicht gegeben ist. Auch sei es Nahe an einer Verurteilung aufgrund von Mord aus niederen Beweggründen gewesen, jedoch liegt die Tat in der psychischen Persönlichkeiten der Beteiligten. Die Tötung sei offensichtlich grundlos erfolgt, womit der Tatbestand des niederen Beweggrundes erfüllt wäre, aber die Täter seien sich dem nicht bewusst gewesen, haben sie sich doch einen Grund haben einreden wollen.

 

Zudem sei das Urteil kein moralisches, Einstellungen und Gesinnungen der Täter, die sich nicht auf die Straftat auswirkten, dürfen nicht mit behandelt werden, dürfen damit nicht in das Urteil einfließen. Alkohol habe eine Rolle gespielt, dennoch liegt dadurch keine Einschränkung in der Steuerung vor, er habe die Täter nicht beeinflusst. Strafmildernd sei die Länge des Verfahrens sowie das damit einhergehende längere zurückliegen des Tattages zu berücksichtigen. Als positiv sind die Geständnisse zu bewerten, wobei einzig S. Bach ein umfangreiches ablegte.

 

Aufgrund der schwere der Tat sieht er – ausgenommen bei H. – keinen Grund, Bewährungsstrafen auszusprechen. Er sähe keine Möglichkeit, auch trotz des erzieherischen Gedankens, der dahinter stehen könnte. Von „Erziehungsgedöns“ halte er sowieso nicht viel. Die Strafforderung der Staatsanwaltschaft seien moderat, daher schließe sich das Gericht dem zum Großteil an.

 

Bezogen auf S. Bach sah er keinen Grund für die Unterbringung im Maßregelvollzug, so habe dieser weniger ein Alkoholproblem, sondern vielmehr ist „soziale Verwahrlosung“ sein Problem, weshalb weiterhin eine Sozialtherapie angeordnet wurde.

 

 

Presseberichterstattung zur Verhandlung am 25.01.2013