Zaun soll Tor nach Europa schließen

Erstveröffentlicht: 
20.12.2012

Zaun soll Tor nach Europa schließenGriechisch-türkische Grenzbefestigung fast fertig - Auch deutsche Polizisten sichern Bollwerk

Lange war die griechisch-türkische Grenze für Flüchtlinge das Tor nach Europa. Jetzt soll ein zehn Kilometer langer Grenzzaun helfen, den Strom der illegalen Einwanderer zu stoppen. Doch der Erfolg ist ungewiss.

 

Istanbul Als die Sonne sinkt, steigen die Nebel vom Fluss auf. In der Dämmerung legen sie sich über die Wiesen, hüllen das Buschwerk und die Bäume ein. Irgendwo im Grau verläuft die Grenze zur Türkei. In solchen Nächten kamen sie früher rüber, manchmal zu Hunderten. Aber jetzt bleibt alles ruhig. "Keine besonderen Vorkommnisse", kann Bundespolizist Christoph Düssel am Ende der Nachtschicht melden.

 

Das ist einem Bauwerk zu verdanken, das dieser Tage seiner Vollendung entgegengeht. Die Griechen sprechen vom "Zaun" - eine eher verharmlosende Bezeichnung für das monströse Sperrwerk, das sich mehr als zehn Kilometer entlang der Grenze durch die Ebene zieht. Stahlpfosten, Maschendraht, dahinter Stacheldrahtrollen, in die messerscharfe Klingen gestanzt sind, dann wieder ein Stahlgerüst und Maschendraht. Drei Meter hoch und 1,20 Meter breit ist das Bollwerk. Es soll unüberwindlich sein.

 

"Wir stellen wesentlich weniger illegale Grenzübertritte fest, seit der Zaun im Bau ist", sagt Düssel. Normalerweise arbeitet der gebürtige Wuppertaler als Zugführer bei der Internationalen Einsatzeinheit der Bundespolizei in Sankt Augustin bei Bonn. Aber seit sieben Wochen ist er in Nordgriechenland, an der türkischen Grenze. "Poseidon Land" nennt sich der Einsatz der EU-Grenzschutzagentur Frontex, an dem Polizisten aus zehn Nationen teilnehmen. Sie unterstützen die griechische Polizei, die in der Vergangenheit mit der Sicherung der Grenze zur Türkei überfordert war. 2010 erreichte der Zustrom einen Höhepunkt: Rund 47 000 illegale Migranten wurden an der türkischen Grenze aufgegriffen, fünfmal mehr als im Jahr davor. Wie viele unerkannt ins Land kamen, weiß niemand. Es sind Armutsflüchtlinge aus Afghanistan und Pakistan, Somalia und Sudan, zunehmend aus Nordafrika und Syrien. Mehr als die Hälfte aller Migranten, die ohne gültige Papiere in die EU gelangten, kamen bisher über Griechenland.

 

206 Kilometer ist die griechisch-türkische Grenze lang. Größtenteils folgt sie dem Verlauf des Flusses Evros. Beim nordgriechischen Orestiada fließt der Evros nach Osten, auf die türkische Stadt Edirne zu, bevor er nach Westen zurückkehrt. Dazwischen verläuft die Grenze 12,5 Kilometer über Land. "Das ist der neuralgische Bereich", sagt ein griechischer Grenzpolizist, der mit einem Feldstecher die Grenze beobachtet. "Hier kamen sie rüber, das war ihr Tor nach Europa."

 

In manchen Nächten waren es Hunderte. Paschalis Syritoudis ist der Polizeichef der Kleinstadt Orestiada und für den nördlichen Grenzabschnitt zuständig, zu dem neben der Landgrenze auch 80 Kilometer Flussgrenze gehören. "Am 2. August 2012 haben wir hier an einem einzigen Tag 421 Menschen aufgegriffen, Männer, Frauen und Kinder, die hier illegal über die Grenze kamen."

 

Aber jetzt macht Griechenland dicht. Mit seinem Kollegen Mark Sigmund fährt Christoph Düssel in seinem grünen Geländewagen Streifendienst an der Grenze, immer in Begleitung griechischer Polizistinnen und Polizisten. "Die Zusammenarbeit mit den Griechen ist gut, viele können Englisch, manche auch Deutsch", berichtet der Bundespolizist. Der silberne Metallzaun glänzt, die scharfen Klingen des Stacheldrahts glitzern gefährlich in der Sonne dieses Dezembermorgens. Infrarot- und Wärmebildkameras sorgen dafür, dass der Zaun auf seiner ganzen Länge Tag und Nacht überwacht werden kann. Kosten des Projekts, das in den nächsten Tagen fertiggestellt sein soll: rund 5,5 Millionen Euro. Die Frontex-Beamten bleiben in der Regel ein bis zwei Monate, dann kommt die Ablösung. Christoph Düssel ist bereits zu seinem fünften Einsatz hier, er hat Vergleichsmöglichkeiten: "Im Herbst 2010 kamen Nacht für Nacht fast ganze Reisegruppen illegal über die Grenze - das ist jetzt nicht mehr so", sagt er.

 

Polizeichef Syritoudis bestätigt: "Jetzt sind es meist einstellige Zahlen, an manchen Tagen kommt sogar gar keiner rüber." Zu verdanken ist das nicht nur dem Zaun sondern auch der "Operation Aspida", erläutert Syritoudis. Aspida heißt "Schild". Angelaufen ist die Aktion im Spätsommer. "Während der Zaun noch im Bau war, bekamen wir 900 Mann Verstärkung aus Athen, wir bekamen zusätzliche Geländewagen, Spürhunde, Wärmebildkameras und Boote, um die Flussgrenze zu überwachen", erzählt Syritoudis. Neu ist auch, dass sich griechische Polizisten jetzt einmal im Monat mit ihren türkischen Grenzschutz-Kollegen treffen, um zu besprechen, wie man den Strom illegaler Migranten stoppen kann. "Früher gab es solche Kontakte gar nicht, jetzt arbeiten wir gut zusammen", sagt Polizeichef Syritoudis.

 

Das Problem der illegalen Einwanderer brennt den Griechen auf den Nägeln. Sie standen nicht nur bei ihren EU-Partnern in der Kritik. Sogar ein Ausschluss Griechenlands aus der Schengen-Zone wurde erwogen. Innenpolitisch wurde der Migranten-Zustrom zu einem immer größeren Problem. In Athen leben mittlerweile geschätzt über 100 000 illegale Migranten. Ganze Stadtviertel sind zu Slums geworden. Soziale Spannungen und steigende Kriminalität verschaffen der Neonazi-Partei "Goldene Morgenröte" Zulauf. In Umfragen ist sie mit über zehn Prozent Stimmenanteil bereits die drittstärkste politische Kraft.

 

Aber kann der Zaun den Strom der Migranten nachhaltig abwehren? Auf den ersten Blick scheint es so. Während im Oktober und November 2011 an der griechisch-türkischen Grenze fast 14 900 illegale Einwanderer aufgegriffen wurden, waren es 2012 im gleichen Zeitraum nur noch 165. Aber es scheinen jene recht zu behalten, die prognostizierten, der Zaun werde die Flüchtlingsströme nur umleiten. Das bewahrheitet sich inzwischen: Die Migranten kommen nun übers Meer aus der Türkei zu den griechischen Inseln. In der südlichen Ägäis wurden seit August 420 Einwanderer aufgegriffen, vier Mal so viele wie im Jahr zuvor. In der nördlichen Ägäis stieg die Zahl der Aufgriffe sogar von 125 auf 1900. Zwar hat die griechische Küstenwache sechs Patrouillenboote bestellt. Die Seegrenze so wirksam abzuriegeln wie den Evros, dürfte unmöglich sein. Dort mag die Grenze dicht sein. Aber im Meer kann man keinen Zaun errichten.

 

20.12.2012 - 08:30 Uhr