Gegen die Mieter-Mehrheit

Erstveröffentlicht: 
06.12.2012

Die Freiburger Stadtbau setzt in der Sulzburger Straße ihr Konzept der Vollsanierung durch.
WEINGARTEN. Die Entscheidung ist gefallen: Die Freiburger Stadtbau (FSB) zieht in den 120 Wohnungen in ihren achtgeschossigen Häusern in der Sulzburger Straße 35 bis 39 ihr bevorzugtes Konzept einer Vollsanierung durch. Die Mehrheit im FSB-Aufsichtsrat stimmte am Freitag dafür – obwohl sich bei einer Befragung nur 32,3 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner dafür ausgesprochen hatten (die BZ berichtete). Nun ist der Frust groß: "Warum wurden wir befragt, wenn die Stadtbau ohnehin tut, was sie will?", fragt der Mieter Günter Ziegler.


So unterschiedlich kann man Zahlen interpretieren: Die FSB ist mit dem knappen Drittel, das sich für ihre Pläne aussprach, zufrieden. Man habe sich für die Befragung entschieden, weil es geheißen habe, dass die Bewohner grundsätzlich keine Modernisierung möchten, argumentiert FSB-Geschäftsführer Ralf Klausmann. Doch immerhin fast 60 Prozent stimmten für andere Varianten als die jetzt beschlossene Vollmodernisierung – 18,2 Prozent für Instandsetzung, 6,1 Prozent für ein kleines und 32,3 Prozent für ein etwas größeres Paket einer Teilsanierung. Für die Mieter und ihre Vertreter ist so offenkundig: Knapp 70 Prozent wollen keine Vollsanierung – vor allem, weil sie sich die damit zusammenhängende größte Mietsteigerung nicht leisten können. Von den 60 Prozent der Mieter, bei denen die Miete nicht vom Sozialamt übernommen wird, sondern die ihre Miete selbst finanzieren müssen, geben bereits jetzt die meisten mindestens die Hälfte ihres Einkommens dafür aus.

Die Folgen? Es werde zu einer Verdrängung der Einkommensschwächsten kommen, kritisiert Monika Stein, Stadträtin der "Grünen Alternative" in einer Presseerklärung. Günter Ziegler, der in der Sulzburger Straße 35 wohnt und sich seit Jahren als Mieter-Sprecherrat engagiert, wirft der FSB vor: "Hier werden Fördergelder benutzt, um Armut zu verschärfen." Damit bezieht er sich auf die Förderung durch das Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt". Für die FSB war die Förderung ein Hauptargument, die Vollsanierung anzustreben – doch damit, argumentiert Günter Ziegler, würden nun Mieter verdrängt. Die Ziele des "Soziale Stadt"-Programms seien genau entgegengesetzt. Er selbst weiß nicht, ob er nach der Sanierung, während der die Mieter ausquartiert werden, in seine Hausgemeinschaft – die er erhalten wollte – zurückkommt. Vielleicht wird sich seine Familie nach einer günstigeren, kleineren Wohnung umschauen. Das schlägt die FSB allen vor, die sich höhere Mieten nicht leisten können. In einer Versammlung am 17. Dezember will die FSB die Mieter informieren.

Doch nur wenige leben in großen Wohnungen, das sei keine Lösung für die Mehrheit, hält Annette Brox, Sozialarbeiterin beim "Forum Weingarten 2000" entgegen. Sie kritisiert, dass die Ergebnisse der Mieterbefragung für die FSB-Pläne und die Entscheidung im Aufsichtsrat keine Rolle spielten: "So kann man Bürgerbeteiligung nicht machen." Ähnlich äußert sich der Mieterbeiratsvorsitzende Volker Hug, der sich eine mit den Mietern ausgehandelte Lösung gewünscht hätte und mehr Aufeinander-Zugehen von der FSB fordert. Bei Günter Ziegler hat der Verlauf Spuren hinterlassen. Er überlegt, ob er als Sprecherrat aussteigt.