Progressive Burschen fordern die Revisionisten heraus

Erstveröffentlicht: 
22.11.2012

Burschenschaftstreffen Progressive Burschen fordern die Revisionisten heraus

 

Die Deutsche Burschenschaft ist von Ultrakonservativen dominiert. Auf einem Sondertreffen in Stuttgart wird sich zeigen, ob Reformer eine Chance haben. Von T. Steffen

 

Kaum ein Verbandstreffen der Burschenschaften ist in den vergangenen Jahren ohne Aufruhr zu Ende gegangen: 2011 erzürnte eine Art Arier-Nachweis für Neumitglieder die liberalen Kräfte innerhalb der Deutschen Burschenschaft. Das Folgetreffen im Juni 2012 musste abgebrochen werden: Entnervt verließen die liberalen Verbände die Aßmann-Halle Eisenach, weil die Abwahl des umstrittenen Chefredakteurs der Verbandszeitschrift Burschenschaftliche Blätter, Norbert Weidner, knapp scheiterte. Ein Sonder-Burschentag wurde für den November vereinbart.

 

Auf dem Treffen an diesem Wochenende in Stuttgart könnte sich entscheiden, ob der fragmentierte Dachverband von etwa 100 Burschenschaften überhaupt überlebensfähig ist. Unversöhnlich stehen sich Ultrakonservative und Liberale gegenüber: Die einen sehen "Provokation als ihre Aufgabe" an und fühlen sich als Opfer einer "rot-grünen Meinungsführerschaft in den Leitmedien". Die liberalen Kräfte dagegen verlangen eine Generalreform und wollen die Burschenschaften von Mitgliedsverbänden reinigen, die als rechtsextremistisch und verfassungsfeindlich auffielen.

 

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht erneut Chefredakteur Weidner, verantwortlich für die Burschenschaftlichen Blätter mit einer Druckauflage von 10.500 Exemplaren und Mitglied der Bonner Raczeks. Seine Kritiker werfen ihm vor, dass er in einem verbandsinternen Mitteilungsblatt den Theologen und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer mit der Formulierung "zweifelsfrei ein Landesverräter" beschrieben hatte und dessen Todesurteil als "juristisch gerechtfertigt" darstellte. In Bonn läuft deshalb ein Gerichtsverfahren, es geht um ein Strafgeld in vierstelliger Höhe.

 

"Ansatzpunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen"

 

Das Stuttgarter Sondertreffen ist zudem durch einen Revolutionsaufruf des Historikers Michael Friedrich Vogt belastet, den Weidner in den Burschenschaftlichen Blättern abdruckte. Auf vier Seiten verlangt Vogt dort unter anderem die Kündigung sämtlicher europäischer Verträge und den Austritt Deutschlands aus der Nato. Weiter räsoniert Vogt über die "Abschaffung des Parteienstaates", zugunsten einer "wirklichen Volksherrschaft" und flankiert dies mit der umstürzlerischen Behauptung, dass Burschenschafter heute "im Widerstand gegen ein Unrechtssystem und die Parteiendiktatur" stünden. Es sei "zunehmend normal, daß ein Burschenschafter als freiheitsliebender Mensch mit den Unterdrückungsorganen in Konflikt gerät" (alte Rechtschreibung im Original). Wer sich davon beeindrucken lasse, "hat übersehen, daß wir in einer vorrevolutionären Zeit leben". Vogts Fazit: "An der tatsächlichen Neuordnung Deutschlands zu arbeiten, wäre vornehmste Pflicht der Deutschen Burschenschaft."

 

Derart rüttelt nicht einmal die NPD an der verfassungsmäßigen Grundordnung, die sich auf Parteien stützt. Von der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke alarmiert, prüfte die Bundesregierung Vogts Einlassungen und stellte fest, sie könnten "einen Ansatzpunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen" darstellen. In Stuttgart werden nun an diesem Wochenende zwei Burschenschaften Weidners sofortige Amtsenthebung fordern, weil der abgedruckte Aufsatz geeignet sei, die Burschenschaften weiter in den Schmutz zu ziehen und ihr "den Ruch eines außerhalb der demokratischen Gesellschaft stehenden, rechtsextremen Sektiererverbandes" zu verleihen.

 

Weidner selbst verteidigt Vogts Artikel gegenüber ZEIT ONLINE als Meinungsbeitrag, der lange vor dem Abdruck verbandsintern "ausführlich, mitunter auch kritisch, aber genauso auch zustimmend" diskutiert worden sei.

 

Doch derart extremistische Äußerungen schrammen an der Grenze von Meinungsfreiheit und Volksverhetzung. Dabei hatte Weidner nach seinem Beinahe-Rauswurf im Frühjahr in Eisenach um eine zweite Chance gebeten. Er wollte die Spaltung der Burschenschaft stoppen. Auch persönlich hatte er sich – unter anderem im Gespräch mit ZEIT ONLINE – von seiner rechtsextremistischen Vergangenheit distanziert.

 

Ob er nun eine dritte Chance erhält, ist offen: Weidner habe das Ansehen der Burschenschaft nicht nur durch den umstrittenen Artikel, sondern auch durch einen Auftritt vor dem Bonner Amtsgericht weiter beschädigt, sagt Michael Schmidt, Sprecher der im Frühjahr gegründeten Reform-Initiative Burschenschaftliche Zukunft. Weidner hatte nämlich im Verfahren um seine Äußerungen über Bonhoeffer sein Gesicht im Gerichtssaal mit einer Druckausgabe der geschichtsrevisionistischen Wochenzeitung Der Schlesier abgeschirmt, statt sich der Öffentlichkeit zu stellen. In einem anderen Verfahren war er als Kläger gegen einen liberalen Verbandsbruder aufgetreten, weil dieser ihn  als "höchstwahrscheinlich einer der Köpfe der rechtsextremistischen Bewegung, die aus Burschenschaften, NPD und Kameradschaften besteht" bezeichnet hatte. Weidner verlor den Prozess, er darf weiterhin so genannt werden.

 

Dem ultrakonservativen Flügel der Burschenschaften hat Weidner jedoch einen Gefallen getan. Der Historiker Vogt stößt dort mit seinen rechtsextremistischen Thesen auf Resonanz: Weil politischer Medienpluralismus nicht existiere, "ist es unser Ziel, den Ausbau von Alternativmedien (den medialen "David") zu fördern, sagte ein junger Konservativer aus NRW zu ZEIT ONLINE.

 

Rückkehr des Arier-Antrages von 2011

 

Der Konflikt zwischen Revisionisten und Reformern wird das Dachverbandstreffen in Stuttgart dominieren. In vielen der 35 "sonstigen Anträge" fordern liberale Mitgliedsbünde den Ausschluss von verfassungsfeindlich oder rechtsextremistisch aufgefallenen Burschenschaften, etwa der Münchner Danubia. Die Münchner Franco Bavaria, der auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer angehört, will Weidners Burschenschaft Raczeks rauswerfen.

 

Denn ausgerechnet eine Initiative der Bonner Raczeks von 2011 ist in Stuttgart erneut Thema: Diesmal fordern die Redaria-Allemannia Rostock und die Marburger Burschenschaft Rheinfranken, die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft von der deutsche Abstammung abhängig zu machen.

 

Am weitesten geht ein Antrag der Stuttgarter Vereinigung Hilaritas: Sie stellt die Auflösung des Verbandes Deutsche Burschenschaft zur Abstimmung, um eine "Vertiefung der Gräben" durch interne Debatten zu beenden und ein neues Miteinander zu ermöglichen. Das Verbandsvermögen solle dem Bund der Vertriebenen und dem Denkmalerhaltungsverband Eisenach zugute kommen – dort steht das 1902 eingeweihte Burschenschaftsdenkmal.

 


 

Dachverband

 

Burschenschaften sehen sich als Netzwerk Studierender (diese Mitglieder heißen Aktivitas) und ehemaliger Studierenden (der Alten Herren). Sie verstehen sich aber auch als politische Organisationen und äußern sich entsprechend. Der Dachverband Deutsche Burschenschaft vereint eigenen Angaben nach etwa 120 Burschenschaften. Zwischen 2001 und 2009 sank die Zahl der Einzelmitglieder um etwa 3.000 auf 10.600. Das Haushaltsvolumen schrumpfte von 249.000 Euro auf 193.000 Euro.

 

Verschiedene Lager

 

Die meisten der im Dachverband organisierten Burschenschaften gehören weiteren Verbänden an: Stark konservativ ausgerichtete Burschenschaften schlossen sich zur Burschenschaftlichen Gemeinschaft zusammen, mit derzeit 42 Mitgliedsbünden. Eher liberale Bünde (derzeit 25) organisieren sich seit Frühjahr 2012 in der Initiative Burschenschaftliche Zukunft. Weitere etwa 20 lassen sich trotz fehlender formeller Mitgliedschaft einem der beiden Lager zuordnen. So ist der konservative Flügel etwa 55 Burschenschaften stark, der liberale umfasst schätzungsweise 33.

Ein weiterer, unabhängiger Zusammenschluss ist die 1996 gegründete Neue Deutsche Burschenschaft mit derzeit 22 Mitgliedsburschenschaften. Hier gibt es kaum Verbindungen zum Dachverband Deutsche Burschenschaft.