Adornos Leninismus. Vortrag von Lars Quadfasel (Hamburg)

Initiative Sozialistisches Forum - Jour fixe - Herbst / Winter 2012 / 2013

Der Einleitungstext „Drum Linkspartei?“
sowie das Kommentierte Programm unter: www.isf-freiburg.org

 

Mittwoch, 5. Dezember - Adornos Leninismus

 

„Sentimental und falsch unmittelbar, eine Mischung von Sozialdemokratie und Anarchismus“, urteilte Adorno einmal über Arbeiten des Institutskollegen Erich Fromm: „Ich würde ihm dringend raten, Lenin zu lesen.“ Dessen Staat und Revolution zählte er Walter Benjamin gegenüber „zu dem tiefsten und mächtigsten an politischer Theorie“; und noch 1956 kokettierte er im Gespräch mit Horkheimer mit der Idee eines neuen, „streng leninistischen Manifests“. Diese bolschewistische Emphase, die so gar nicht zum dezidierten Kritiker der sowjetischen „Fronvögte“ zu passen scheint, läßt sich leicht als biographisches Kuriosum abtun. Nur steht in Adornos Aufzeichnungen und Briefen der Name Lenin gerade nicht für ‚Marxismus-Leninismus’, nicht also für Diamat, Proletkult und den Glauben an ‚historische Gesetzmäßigkeiten’ – sondern, wie in den Debatten der Jahre nach 1917 üblich, für das genau Entgegengesetzte: für den Bruch mit dem sozialdemokratischen Determinismus und für das Mißtrauen gegenüber einem sich aus den Verhältnissen naturwüchsig entwickelnden proletarischen Klassenbewußtsein. Seinen programmatischsten Ausdruck findet das in der Kritik an Benjamins Aufsatz über „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, in der Adorno, mit Lenin als Gewährsmann, gegen dessen „anarchistische“ Züge zu Felde zieht. Was in dieser Kontroverse verhandelt wird, ist alles andere als bloß theoriegeschichtlich von Bedeutung: das Verhältnis von Kunst, Erkenntnis und Produktivkraftentwicklung; das Verhältnis der Intellektuellen zu den proletarischen Massen wie das der proletarischen Massen zur geschichtlichen Wahrheit; kurz: wie Kritische Theorie es vermag, „den gesellschaftlichen Hebelpunkt zu entdecken und zu nutzen“, um „mit minimaler Kraft die unermeßliche Last des Staates zu heben“ (Adorno).

 

Es spricht Lars Quadfasel (Hamburg), assoziiert der Hamburger Studienbibliothek [http://studienbibliothek.org] und der Gruppe Les Madeleines [http://lesmadeleines.wordpress.com]. Seine Texte zu Buffy the Vampire Slayer sind erschienen in: Annika Beckmann u.a. (Hg.), Horror als Alltag (Verbrecher Verlag 2010).

 

Um 20°° im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).