Amtsgericht weist Räumungsklage der Stadtbau zurück / Mieter bleibt in seiner Wohnung, während um ihn rum alles abgerissen ist.
Im Streit zwischen der Freiburger Stadtbau (FSB) und einem Mieter in der Johann-Sebastian-Bach-Straße ist keine Einigung in Sicht: Eine Räumungsklage der FSB hat das Amtsgericht abgewiesen. Die Begründung: Eine Sanierung der 97 "Kleinrentnerwohnungen" wäre keineswegs so unrentabel gewesen, dass eine Neubebauung wirtschaftlich zwingend gewesen wäre. Der 66-jährige Mieter, der in dem letzten verblieben Haus auf 22 Quadratmetern lebt, will nicht ausziehen, solange ihm die Stadtbau nicht einen ähnlichen preisgünstigen Ersatz in Herdern anbietet.
Ob er hier noch gerne wohne? Hermann Josef P. lacht. "Schauen
Sie sich um. Die Antwort erübrigt sich", sagt der Theologe. In Haus
Nummer 32 mit seinen acht Wohnungen wohnt er seit langem allein in einer
Ein-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss. Rechts und links des Hauses haben
die Abrissbagger ganze Arbeit geleistet. Von der Häuserzeile Nummer
26-36 ist fast nichts mehr übrig, von den direkt drangebauten Häusern 30
und 34 stehen nur noch Mauerreste. Da die Außenwände des einstigen
Häuserriegels fehlen und die anderen Wohnungen alle seit langem leer
stehen, muss P. mehr heizen als früher. Das Haus ist ausgekühlt, sagt
er.
Links vom Häuschen heben Bagger derzeit die Grube für eine Tiefgarage
aus. Darüber ist eine Häuserzeile mit 27 Mietwohnungen geplant. Direkt
vor dem Fenster des Rentnres führt ein Bauzaun entlang, ein Kran
verdunkelt die Wohnung. Gegenüber errichtet die Stadtbau derzeit 14
Reihenhäuser, die sie für insgesamt 8,2 Millionen Euro verkaufen will.
Sie sollen im Frühjahr 2014 fertig sein. Eigentlich, sagt P., nu tze er
seine Wohnung nur noch zum Schlafen. Tagsüber hält er sich gern in der
Unibibliothek auf.
Die 97 Wohnungen in den beiden Häuserzeilen wurden 1951/52 errichtet. In
ihnen lebten ältere Menschen mit niedrigem Einkommen oder niedriger
Rente. Seit dem Ausstieg der Arbeiterwohlfahrt (AWO) als
Generalvermieter im Jahr 2009 tritt die FSB als Eigentümerin der
Immobilien auch als Vermieterin auf; das Grundstück gehört der
Stiftungsverwaltung, die von der FSB eine Erbpacht bekommt. Laut
Stadtbauchef Ralf Klausmann wäre eine Sanierung riskant und unrentabel
gewesen: Keine der Wohnungen war barrierefrei. Die Bausubstanz war
schlecht und nicht nachhaltig, die Grundrisse waren wegen der
Durchgangszimmer problematisch.
P. findet seine Wohnung keineswegs problematisch; das Dach war mal
undicht, das Haus sei hellhörig. Aber sonst? Er wohnt dort seit 2002.
Seine Rente sei gering, aber ausreichend. Für die Unterkunft zahlt er
140 Euro warm. Gekündigt wurde ihm zum 30. April 2012; sein Anwalt
Christian Kuhn-Régnier legte Widerspruch ein. Zu einer Einigung kam es
nicht. Vier Wohnungen hat die Stadtbau ihrem Mieter zunächst angeboten,
keine kam für ihn in Frage. Bis zu 300 Euro Warmmiete kann er bezahlen,
und er will in Herden bleiben. "Dort wohne ich die längste Zeit meines
Lebens."
Nun steht eine alte Stadtbauwohnung in der nahen Richard-Wagner-Straße
zur Debatte. Das Problem: Sie ist zu groß und müsste hergerichtet
werden. Ein Problem für die FSB: In P.s mit der AWO geschlossenem
Mietvertrag von 2002 heißt es: "Das Wohnungsunternehmen wird von sich
aus das Mietverhältnis grundsätzlich nicht auflösen"; allerdings werden
auch besondere Ausnahmefälle für eine Kündigung erwähnt. Für
Kuhn-Régnier ist der Passus Anlass, von der Stadtbau einen Mietvertrag
auf Lebenszeit zu fordern. "Mein Mandant muss abgesichert sein." Der
Anwalt hat der Stadtbau nun schriftlich die Bedingungen für einen Umzug
fixiert. Doch Stadtbau-Geschäftsführer Klausmann will in die Berufung
vors Landgericht: "Wir werden alle Rechtsmittel ausschöpfen."
Rechtsmittel aus."
Stadtbauchef Ralf Klausmann
Bei seinem Urteil bezog sich das Amtsgericht auf ein Gutachten des
Sachverständigen Frank Pfaff. Der kalkulierte für eine Sanierung der
alten Gebäude mit 2,2 Millionen Euro, für Abriss und Neubau mit 5,17
Millionen. Die Mieteinnahmen für den sanierten Altbau taxierte er auf 87
000 Euro pro Jahr, für die Neubauwohnungen auf 231 000. Berechnet man
beim Altbau eine Nutzungsdauer von 40 und beim Neubau von 70 Jahren,
würde die Stadtbau mit den Neubauten Mehreinnahmen von vier Millionen
Euro erzielen. Amortisieren werde sich der Neubau nach 20 Jahren, sagt
Pfaff. Das Gericht findet eine Differenz von vier Millionen zu gering,
um einen Abriss zu rechtfertigen. Dies reiche nicht für eine Kündigung.
"Dass der Abriss des Altbestands verbunden mit einer Neubebauung des
Grundstücks wirtschaftlich vernünftig, weil rentabler als eine Sanierung
ist, bedeutet nicht, dass diese Variante auch die einzig zumutbare
ist", heißt es im Urteil.
Laut Klausmann steht die Stadtbau zeitlich noch nicht unter Druck. Mit
dem Bau der Mietwohnungen sei man drei bis vier Monate im Rückstand. Die
Neubauten um das verbliebene Haus drum herumzubauen, hält er für
schwierig. "Wir müssen das schon bei Gericht zu Ende bringen." Anwalt
Kuhn-Régnier gibt sich derweil gelassen: "Wir können bis vor den
Bundesgerichtshof gehen."