Im November 1987 stand Hamburg kopf: Um die Hafenstraße wurden nachts Barrikaden errichtet, bürgerkriegsähnliche Zustände drohten. Volker G. (48), heute Familienvater, Bautechniker und Hostel-Betreiber auf St. Pauli, war damals einer der Hausbesetzer. Erstmals schildert ein Ex-Bewohner die Ereignisse aus seiner Sicht – ein subjektives Interview.
Plötzlich standen Laster und Container quer über die Hafenstraße, Feuer brannten. Wieso hat die Polizei das zugelassen?
Volker G.: Die
waren völlig überrascht. Wir haben ja sogar Zugmaschinen von der
Englandfähre kurzgeschlossen und hochgefahren. Und über ein paar Ecken
hatten wir acht große Schuttcontainer geordert – angeblich für den Abbau
der Befestigungen an den Häusern ...
Was heißt „befestigt“?
Wir hatten rund 30
Stahltüren eingebaut, die Fenster im ersten Stock verbarrikadiert und
verschweißt, die Treppenhäuser versperrt und die Dächer mit Nato-Draht
gegen Angriffe aus der Luft gesichert. Die wichtigste Befestigung waren
aber wir selber. Wir hätten die Häuser aktiv verteidigt.
Heute ist das kaum vorstellbar. Wie kam es zu dieser Situation?
Dafür
muss man die 1,5 Jahre vorher präsent haben. Ich bin 1986 mit meiner WG
geräumt worden – trotz Mietvertrag. „Tabula rasa“ hieß die Aktion
behördenintern. Die haben unsere Möbel und Klamotten einfach aus den
Fenstern geworfen, alles war Schrott. Polizisten haben damals sogar
Katzenbabys totgetreten. Bewohner mit Kindern sind danach gegangen. Das
war nicht mehr witzig.
Wie sah das Besetzer-Leben aus?
Zeitweise
gab es keinen Strom, selbst viele Öfen hatte die Polizei zerstört. Und
1986 war ein richtig kalter Winter. Damals gab es hier alle zwei Wochen,
immer dienstags, einen großen Polizeieinsatz, um bereits geräumte
Wohnungen erneut zu räumen. Es war eine extrem zermürbende Situation.
Hoffnungslosigkeit und Endzeitstimmung machten sich breit – aber auch
grimmige Entschlossenheit.
Wer ordnete die Räumungen an?
Formal die SAGA, wir waren ja deren „Mieter“.
Was war der Wendepunkt?
Ende 1986
organisierte ein breites Bündnis eine große Demo. Das war für viele ein
Wendepunkt: Bis dahin wurde jede Demo eingekesselt wie ein
Gefangenentransport, nie kamen wir bis zu den Häusern. Unsere Ansage
war: Das machen wir nicht mehr mit. Und plötzlich waren da 13.000, auch
aus Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, die gesagt haben: Die Straße
gehört uns – Hafen bleibt!
Mit Erfolg?
Ja,
unter anderem weil unser schwarzer Block aus 4000 Leuten bestand, die
Hälfte davon mit Helmen. Zusammen haben wir das Polizeispalier
aufgebrochen. Danach dachten wir: Okay, da geht noch was.