Stuttgarter Zeitung Printausgabe

Erstveröffentlicht: 
08.10.2012

Göppingen erlebt einen Tag der Gewalt

 

Demonstration Am Rande eines Aufmarschs von Rechtsextremisten randalieren linke Gewalttäter. Rund 30 Polizisten werden verletzt.


Rund 2000 Polizisten sind am Samstag in Göppingen im Einsatz gewesen, um während eines Aufmarsches rechtsextremer Gruppen ein Aufeinandertreffen mit Linksextremisten zu verhindern. Allerdings kam es zu Ausschreitungen zwischen linken Demon­s­tranten und der Polizei, als diese versuchten Straßensperren zu durchbrechen. Mehr als 100 Ingewahrsamnahmen, alle aus dem linken Spektrum, und 28 verletzte Polizisten sind die Bilanz des Einsatzes.

Zuvor hatte der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim am Freitag ein Demonstrationsverbot der Stadt aufgehoben. Daraufhin marschierten am Samstag rund 150 Rechtsextremisten durch Göppingen - angekündigt waren bis zu 400. Während die Rechtsextremen hermetisch abgeschirmt von der Polizei ihre Parolen verbreiteten, kam es zwischen Gegendemonstranten und der Polizei zu heftigen Zusammenstößen. Linke Gewalttäter attackierten die Beamten an den Absperrungen mit Tränengas und Wurfgeschossen. Unmittelbar vor der Demonstration brach zwischen Stuttgart und Ulm zeitweise der Zugverkehr zusammen. Als Ursache nannte die Polizei einen Kabelschaden, der möglicherweise auf Sabotage zurückzuführen sei. Ob ein Zusammenhang zu den Auseinandersetzungen besteht, ist noch unklar.

Bereits am Vormittag bekräftigten vor dem Rathaus der Göppinger OB Guido Till und Vertreter des Gemeinderats, dass die Neonazis in der Stadt nicht willkommen seien. An einer Kundgebung des Bündnisses Kreis Göppingen Nazifrei nahmen anschließend 1000 Menschen teil. rik/cas

 


 

Die Polizei spricht von rund 400 linken Störern, die gewalttätig werden.

 

Göppingen im Ausnahmezustand

 

Neonaziaufmarsch 2000 Polizeibeamte verhindern, dass Rechts- und Linksextremisten aufeinandertreffen. Während die Nationalen Sozialisten abgeschirmt von der Polizei demonstrieren, kommt es auf der anderen Seite des Zauns zu Ausschreitungen linker Störer. Sabine Riker

 

Göppingen Das Areal um den Göppinger Bahnhof gleicht einer Geisterstadt. Passanten dürfen nicht durch. Hunderte Polizeibeamte haben sich auf dem gesamten Gelände postiert und warten. 400 Rechtsextremisten wollen in Göppingen aufmarschieren, doch der Versammlungsleiter spricht dann nur noch von 250. Am Ende sind es 152.

Nachdem der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim am Freitag ein Demonstrationsverbot der Stadt aufgehoben hat, ist Göppingen am Samstag erneut zum Schauplatz einer Demonstration von Rechtsex­tremisten geworden. Während die sogenannten nationalen Sozialisten hermetisch abgeschirmt von der Polizei mit bellender Stimme wüste Parolen verbreiten und 'Kameraden und Volksgenossen' zum 'Straßenkampf' aufrufen, kracht es auf der anderen Seite des Zauns. Linke Gewalttäter attackieren die Beamten an den Absperrungen mit Tränengas und verschiedenen Gegenständen. Die Bilanz am Abend : 28 verletzte Polizisten, 101 Gewahrsamnahmen und neun Festnahmen - alles Personen aus dem linken Spektrum. Um 17 Uhr ist der Spuk vorüber. Nach einer Abschlusskundgebung am Bahnhof reisen die Rechten mit dem Zug ab, in der Stadt werden die Absperrungen abgebaut, die Störer der linken Szene verziehen sich.

Trotz der verletzten Beamten spricht die Polizei von einem Erfolg. Die Taktik, die Rechts- und die Linksextremisten auseinanderzuhalten, sei durch das konsequente Durchgreifen der Einsatzkräfte aufgegangen, zog der Göppinger Polizeichef Martin Feigl, der den Einsatz leitete, am Abend Bilanz. Um ein Aufeinandertreffen der beiden Lager zu verhindern, waren mehr als 1500 Beamte aus ganz Baden-Württemberg im Einsatz. Unterstützt wurden sie von 500 Bundespolizisten.

Bereits Stunden vor dem Eintreffen der Rechten war die Polizei in der Stadt präsent. In der Nacht hatten Beamte die Route für den Aufmarsch gesichert. Vom frühen Morgen an kreiste ein Polizeihubschrauber über der Stadt, während des Demonstrationszugs waren es dann drei. Beamte in Kampfanzügen beherrschten das Bild. Der Bahnhof und die Oststadt waren hermetisch abgeriegelt.

Doch zunächst hieß es warten. Um 13.30 Uhr sollte die Demonstration eigentlich beginnen, aber ein Kabelschaden an der Bahnlinie bei Gingen brachte den Bahnverkehr zwischen Ulm und Stuttgart vorübergehend zum Erliegen, so dass die Neonazis erst mit Verspätung ankamen. Die Polizei schließt nicht aus, dass es sich um einen Sabotageakt handelt. Im Übrigen hatte beim letzten Neonaziaufmarsch in Göppingen am Karsamstag ebenfalls ein Kabelschaden an der Bahnlinie den Zugverkehr lahmgelegt.

Als die Nationalen Sozialisten ankamen, nahmen die Beamten sie in Empfang und kontrollierten sie einzeln. Erst um 14.45 Uhr setzte sich der Zug in Marsch. Gleichzeitig verschärfte sich die Situation auf der anderen Seite des Zauns. Linke Störer versuchten, die Absperrung in der Schützenstraße zu durchbrechen, wurden aber von Beamten, die Pfefferspray einsetzten, und der berittenen Polizei zurückgedrängt.

Kurz vor dem Ende der Demonstration löste der Versammlungsleiter der Nationalen Sozialisten den Aufmarsch unerwartet auf. Der Zug stockte, die Neonazis wurden von der Polizei zu ihrem eigenen Schutz in Gewahrsam genommen. Nach etwa einer halben Stunde entschieden sich die Neonazis zur Erleichterung der Polizei, wie geplant weiter zum Bahnhof zu marschieren und die Demonstration dann mit einer Kundgebung zu beenden.

Am Vormittag schon war die Stadt unter dem Eindruck des Aufmarschs gestanden. Vor dem Rathaus sprachen der OB Guido Till und Vertreter des Gemeinderats. Sie alle bekräftigten, dass Göppingen eine Stadt der Vielfalt und der Toleranz sei. Eine Stunde später begann die Kundgebung des Bündnisses Kreis Göppingen Nazifrei, an der rund 1000 Menschen teilnahmen und bei der die Landtagsvizepräsidentin Brigitte Lösch, die Verdi-Landesbezirksleiterin Leni Breymaier und der Göppinger Dekan Rolf Ulmer sprachen.

 


 

Kommentar

 

Schluss mit diesem Spuk

 

Neonazis - Die Aufmärsche der Rechtsextremen sind für die Göppinger Bürger unerträglich. Sabine Riker

 

Göppingen Die große Randale ist bei der Neo­nazidemonstration in Göppingen ausgeblieben, aber es bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Einen ganzen Tag lang gehörte die Stadt nicht ihren Bürgern, sondern einem versprengten Haufen von Extremisten. Es ist unerträglich, dass Neonazis - einige von ihnen sind bereits wegen Volksverhetzung verurteilt - in Göppinger Straßen den 'nationalen Sozialismus' fordern dürfen. Doch die Richter des Mannheimer Verwaltungsgerichtshofs haben das Demonstrationsrecht höher bewertet als das Risiko eines Gewaltexzesses. Damit ermuntern sie die Neonazis, ihre Aufmärsche zu wiederholen.

Kein Mensch versteht das: Der Staat wird gezwungen, den größten Aufwand zu betreiben, um den Neonazis ihre Attacken gegen die Gesellschaft zu ermöglichen. Und linksextremistische Krawallmacher nutzen den Aufmarsch. Sie waren es, die gewalttätig wurden - auch das ist massiv zu verurteilen. 2000 Polizisten werden in Marsch gesetzt, drei Polizeihubschrauber kreisen einen ganzen Tag lang , das öffentliche Leben ist außer Kraft gesetzt und 28 Polizisten werden verletzt. Mit diesem Spuk muss Schluss sein. Die Politik ist gefordert zu unterbinden, dass im Namen der Meinungsfreiheit Neonazis Volksverhetzung betreiben und Linksextremisten gewalttätig werden dürfen.