Die Rezeption von Critical Whiteness hat eine Richtung eingeschlagen, die die antirassistischen Politiken sabotiert
Die Debatte um Whiteness (Weißsein) wird seit einigen Jahren auch in Deutschland rezipiert (1) und firmiert hier zumeist unter dem Begriff Critical Whiteness. Critical Whiteness ist seit einiger Zeit ein wichtiger Bezugspunkt innerhalb der (akademischen) antirassistischen und queerpolitischen Linken, eine schier unübersehbare Zahl an Veranstaltungen, Workshops und Seminaren beschäftigt sich mit dem Konzept. Allerdings hat die Rezeption eine Richtung eingeschlagen, die die antirassistischen Politiken geradezu sabotiert. Die Ambivalenzen der vom Rassismus durchdrungenen Politiken der Identität haben die aberwitzige Gestalt einer Identitätsolympiade angenommen.
Die Whiteness Studies entwickelten sich in den USA im Gefolge der schwarzen Bürgerrechtsbewegungen und der damit verbundenen Theorieproduktion zu Rassismus. Als Schlüsselwerk gilt Toni Morrissons Buch »Playing in the dark« (1992), in dem sie zeigt, dass Konzepte wie Freiheit oder Männlichkeit, die in der westeuropäischen bzw. nordamerikanischen Literatur so präsent sind, an die Unfreiheit schwarzer SklavInnen gebunden sind.
Dies leitete einen Perspektivwechsel ein. Im Fokus standen nicht mehr die von Rassismus marginalisierten Subjekte, sondern die durch den Rassismus Privilegierten. Schwarze TheoretikerInnen und AktivistInnen (People of Color, PoC) kritisierten so die bis dahin vorherrschende Praxis, rassistisch Diskriminierte zu Objekten von Forschung und politischem Handeln zu machen. Vielmehr sollten mit dem Whiteness-Konzept die Strukturen und Mechanismen untersucht werden, die dazu führen, dass Weiße vom Rassismus profitierten. Dies ermöglichte, Rassismus als etwas zu thematisieren, an dem alle beteiligt sind. Die Beteiligung »aller«, so wurde argumentiert, war vermittelt über Institutionen, Räume und Diskurse und deren inhärente Rassismen. Forderungen nach der Abschaffung weißer Privilegien richteten sich gegen solche Strukturen.
Critical Whiteness dreht sich von Anfang an im KreisWas wir gegenwärtig in den Diskussionen zum Beispiel anlässlich des No Border Camps in Köln erleben, ist vielleicht eine Spätfolge einer doppelten Struktur, die den Antirassismus des Whiteness-Ansatzes auszeichnet: Einerseits geht es um eine Ausweitung, die alle Weißen zu Privilegierten macht; andererseits wird ein eher entpersonalisierender Fokus auf Institutionen gerichtet. In diesem Konzept sind die »weißen« Institutionen und Diskurse so mächtig, dass sie die Individuen, die darin als »Weiße« konstruiert werden, vollständig entmündigen. Gleich, wie diese sich verhalten, sie sind »Profiteure«. Anstatt eine Rassismustheorie in Angriff zu nehmen, deren Fluchtpunkt die ideologische und praktische Abschaffung von Kategorien wie »Race« ist, dreht sich das Whiteness-Konzept von Anfang an im Kreis. (2)
Als die Debatte vor einigen Jahren in Deutschland begann, bestimmten schnell knifflige Probleme der Identitätszuweisung die Diskussion. Sind Menschen, deren Eltern aus Ländern einwanderten, die inzwischen der EU beigetreten sind, PoC? Oder sind sie es nur, wenn diese Eltern als GastarbeiterInnen nach Deutschland kamen? Ab welchem Einkommen oder Bildungsgrad werden PoC weiß? Kann man RussInnen in Deutschland PoC nennen oder sind sie Teil der globalen weißen Dominanzkultur? Funktioniert die Bezeichnung »of Color« also in Hinblick auf alle rassistischen Ausschlüsse oder sind damit doch letztlich Hautpigmentierungen gemeint? Der Verdacht liegt in der derzeitigen Debatte nahe und damit auch die Frage: restabilisiert die Grenzziehung zwischen »of Color« und »weiß« damit nicht rassistische Klassifizierungen?
An diesen Fragen kristallisiert sich ein zentrales Problem des Whiteness-Konzepts: Differenz und rassistische Hierarchie müssen im Sprechen über Rassismus immer sichtbar gemacht werden, die Einteilungen in »white« und »of Color« allerdings werden schnell zu Etiketten, die als Labels stabiler Kategorien erscheinen. Spätestens wenn ein Nachweis über die Herkunft der Eltern verlangt wird, zeigt sich, wo das Whiteness-Konzept aufhört, kritisch zu sein. Rassismus als gesellschaftliches Verhältnis, das Konjunkturen und Kämpfen unterliegt, wird so unsichtbar.
Der postkoloniale Theoretiker Paul Gilroy (2004) hat nachgezeichnet, wie die Zerteilung von Bevölkerungen entlang rassistischer Hierarchien immer wieder gewaltvoll durchgesetzt werden musste, weil der Rassismus sich nie natürlicherweise gegen bestimmte Gruppen von Menschen richtet. Denn selbst die biologistische Begründung der »White Supremacy« (weißen Vorherrschaft) stellt nur eine Rationalisierungslinie rassistischer Bevölkerungspolitik dar.
Rassismus ist Produkt von Sklaverei - nicht umgekehrtIn seiner Arbeit zum Verhältnis von Staatlichkeit und Rassismus argumentiert David Theo Goldberg (2002), dass seit dem 19. Jahrhundert mindestens eine Position die der biologistischen Auffassung der Minderwertigkeit streitig machte: der Historismus, der eine Art Pädagogisierung der »historischen Unreife« von minorisierten einheimischen Bevölkerungen anvisierte. Obwohl Schwarze marxistische Intellektuelle wie W. E. B. Du Bois (1935), Eric Willams (1944) und C. L. R. James (1938) längst auf den Charakter der Sklaverei und der Plantage als genuin moderne kapitalistische Ausbeutungsform (und als solche umkämpfte) hingewiesen hatten, hat diese epochale Einsicht erst mit den Studien von Theodore W. Allen (1998) und Robert J. Steinfeld (2001) zur Sklaverei und unfreier Arbeitskraft Eingang in die Theoriebildung der kritischen Rassismusforschung gefunden.
Generalversammlung eines Minderheiten-MainstreamsAllen und Steinfeld verweisen darauf, dass die »Erfindung der weißen Rasse« der Geschichte der gewaltvollen Durchsetzung einer rassistischen Segregation der Arbeitskräfte folgte, und kommen auf eine für die historisch fundierte Rassismustheorie entscheidende, »farbenfreie« Entdeckung: Sklaverei ist nicht das Produkt des Rassismus (einer unhinterfragten Ideologie der White Supremacy), sondern Rassismus eine Folge der Sklaverei. Mit den Etiketten, die in der Critical-Whiteness-Debatte munter verteilt werden, werden (die Geschichten) diese(r) rassistischen Teilungen in dem Versuch, mit ihnen Rassismuserfahrungen abbilden zu können, affirmiert und zum zentralen Bezugspunkt politischer Subjektivität gemacht.
Die gegenwärtige Debatte um Critical Whiteness zeigt, dass diese Etikettierungen die Analyse von und den Kampf gegen Rassismus kein Stück weiter bringen. Im Gegenteil scheinen sie von dem abzulenken, worum es in einer linken Gesellschaftsanalyse und Bewegung gehen müsste: um die Aufdeckung und Bekämpfung von Verhältnissen, Institutionen und Mechanismen, die den Rassismus stabilisieren und die es bestimmten Individuen ermöglichen, davon zu profitieren.
Für den Antirassismus ist indes essenziell, dass die Kategorisierungen und Zuschreibungen, die alle Menschen - mit unterschiedlichen Effekten und in unterschiedlichen Dimensionen - betreffen, von diesen zurückgewiesen werden können. Ein Antirassismus, in dem nur diejenigen zu Wort kommen sollen, die als »Opfer« davon betroffen sind, reduziert den ganzen emanzipatorischen Inhalt eines solchen Projekts auf eine Art Interessenvertretung oder sogar Generalversammlung eines Mainstreams der Minderheiten.
Aufgrund dieser Reduktion wird nun in Critical-Whiteness-Kreisen heftig debattiert, ob »Weiße« überhaupt antirassistisch sein können, wenn sie doch vom Rassismus profitieren. Kann das Engagement von Männern feministisch sein, wenn sie doch vom Geschlechterverhältnis profitieren? Dürfen sich Heterosexuelle für queere Rechte einsetzen, wenn sie doch vom Heterosexismus profitieren?
Diese Frage selbst scheint kaum mit einer kritischen Gesellschaftsanalyse, die immer die Möglichkeit von Veränderung, Dynamik und Antagonismus einschließt, kompatibel zu sein. Und so wird die Debatte auch komplett unpolitisch geführt: Wenn es um Critical Whiteness geht, findet garantiert keine Auseinandersetzung mit Fragen von Dominanz, Privilegien, Ausschlüssen und möglichen politischen Strategien dagegen statt, sondern nahezu ausschließlich Moralisierung und Denunziation.
Nicht politische Standpunkte und Strategien werden diskutiert, sondern die Personen, die sie äußern, stehen zur Diskussion. Daraus resultiert auch mit Rekurs auf das falsch verstandene bzw. naiv »übersetzte« Selbstermächtigungskonzept der »Definitionsmacht« die derzeit gängige Positionierungspraxis: In Uni-Seminaren und auf Veranstaltungen erfolgt - oft unabhängig vom konkreten Thema - eine quälend lange »Selbstpositionierung« der sprechenden Person, in der diese detailliert Auskunft gibt über ihren Pass, ihre Hautfarbe, ihre sexuelle Orientierung, den Zustand ihrer körperlichen Verfassung, ihren familiären Bildungshintergrund sowie ihre Einkommensverhältnisse.
Diese Einordnung der eigenen Person in ein komplexes Raster gesellschaftlicher Machtverhältnisse erfolgt zumeist, um die Legitimität des zu Sagenden im Vorhinein abzusichern, und/oder um die Limitierung der eigenen subjektiven Perspektive zu erläutern: Ich als weißer, deutscher, heterosexueller Mann aus dem Bildungsbürgertum kann hier nicht über die Erfahrungen von Queers of Color sprechen. In diesem Selbstpositionierungsritual drückt sich die fatale Gleichsetzung von Subjektivität und Politik in der Critical-Whiteness-Rezeption aus.
Ohne Subjektivität gibt es keine Politik. Subjektive Erfahrungen und politische Positionen sind aber nicht das Gleiche. Weder folgt aus bestimmten Erfahrungen zwingend eine bestimmte politische Haltung noch ist die Einnahme einer politischen Haltung durch die eigenen Erfahrungen limitiert. Nicht alle, die durch Rassismus marginalisiert werden, sind antirassistisch und nicht alle Frauen sind feministisch. Es ist völlig legitim, um ein inzwischen historisches Beispiel heranzuziehen, sich an Kampagnen gegen Schlecker zu beteiligen, ohne je selbst bei Schlecker gearbeitet zu haben - es ist auch nicht paternalistisch. Eine politische Position ist nicht die logische Folge spezifischer persönlicher Erfahrungen, sondern entwickelt sich durch die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen.
Ableitung politischer Position aus subjektiver ErfahrungAuch Subjektivität resultiert nicht einfach aus der »Position«, die ich vermeintlich aufgrund von Hautfarbe oder Geschlecht im Raster gesellschaftlicher Machtverhältnisse einnehme. (3) Zu behaupten, dass eine politische Haltung unveränderbar an die »Position« innerhalb der Gesellschaft gebunden ist, bedeutet, einen statischen Begriff von Gesellschaft zu vertreten, der die Möglichkeit politischer Veränderung letztlich ausschließt. Die Gleichsetzung von subjektiver Erfahrung mit politischer Haltung führt dazu, dass am Ende jedeR nur für sich selbst sprechen kann - entweder für sich als Individuum oder aber als VertreterIn einer irgendwie gearteten »Hauptkategorie«.
Denkt man diese Position konsequent zu Ende, so kommt man zu dem Schluss, den eine Debattenteilnehmerin auf einer Mailingliste zum Thema zog: Sie sei es leid, zwischen bösen »Weißen« (NSU, NPD) und guten »Weißen« (Antifa, Antira) unterscheiden zu sollen - weiß und damit rassistisch seien die schließlich alle.
Verbunden mit der oben genannten Gleichsetzung von subjektiver Erfahrung und politischer Position sind auch Fragen der Repräsentation bzw. die Frage, wer spricht oder wer - über Rassismus - sprechen darf. Lange Zeit fanden die rassistischen Ausgrenzungserfahrungen z.B. migrantischer AktivistInnen kaum Gehör in der Linken in Deutschland - man denke nur an die Ignoranz, mit der die IG Metall den Kampf der migrantischen ArbeiterInnen gegen die für sie besonders schlechten Arbeitsbedingungen im Ford Streik 1973 delegitimierte oder an die feministische Kulturalisierung der vermeintlichen »Emanzipationsdefizite« der südeuropäischen Gastarbeiterinnnen in den 1970er Jahren. (4) Ähnlich wie in der Gesamtgesellschaft wurde häufig nicht der Rassismus, sondern die vermeintliche kulturelle Andersartigkeit fokussiert.
Die Analyse von Rassismus als gesellschaftlichem Verhältnis, das sich in allen gesellschaftlichen Teilbereichen materialisiert, hat sich in der Linken in Deutschland erst in den letzten Jahren durchgesetzt, womit auch die Aufgabe der Konstruktion von MigrantInnen als Opfer verbunden war. Dennoch gibt es nach wie vor unendlich viele Beispiele dafür, dass diese Perspektive nicht in allen linken Zusammenhängen geteilt wird. Ignorante Debattenbeiträge, die jede Beschäftigung mit Rassismus als Zumutung zurückweisen; Podien zum Thema Rassismus, auf denen sich keine RednerInnen mit negativen Rassismuserfahrungen finden; aber z.B. auch die geringe Beteiligung linker Gruppen an Aktivitäten rund um die Aufarbeitung der NSU-Morde verweisen darauf.
Die alltägliche Erfahrung rassistischer Ausgrenzung in der Schule, an der Clubtür, auf dem Arbeitsmarkt, in der Ausländerbehörde und bei der Wohnungssuche und die häufige Nicht-Anerkennung oder Nicht-Einbeziehung dieser Erfahrungen durch GenossInnen, die diese Erfahrungen nicht machen, macht misstrauisch. Insofern erscheint Critcal Whiteness als ein attraktives Angebot, wenigstens im eigenen politischen Umfeld weiteren rassistischen Angriffen zu entgehen.
Machtverhältnisse hinterfragen und bekämpfenEine antirassistische Linke muss mit diesem gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnis umgehen, wozu auch gehört, das sich Linke ohne negative Rassismuserfahrungen mit möglichen Vorwürfen auseinandersetzen müssen, die Perspektive des Rassismus nicht ausreichend zu bedenken oder rassistische Positionen zu stabilisieren. Dies ist also auch ein Plädoyer dafür, mit und in Widersprüchen und Spannungsverhältnissen Politik zu machen. Und es ist ein Plädoyer gegen die simple Rechnung, dass wer sich einmal unkritisch zum Rassismus geäußert hat, unsensibel war oder gar »objektiv« vom Rassismus profitiert, deshalb zum »Gegner« gehört.
Rassismus ist keine Angelegenheit von Individuen oder Gruppen, er geht durch Individuen und Gruppen (und durch Institutionen, Diskurse, etc.) hindurch! Deswegen ist es aberwitzig, den Rassismus säuberlich auf zwei gesellschaftliche Großgruppen zu verteilen, von denen die eine Täter, die andere Opfer sind.
In der Critical-Whiteness-Debatte kommt eine produktive Form der Auseinandersetzung nicht mehr vor, stattdessen wird jede Person, die sich zu Wort meldet und sich nicht als PoC positioniert, verdächtigt, entweder ihren eigenen Rassismus verschleiern zu wollen oder paternalistisch Menschen mit negativen Rassismuserfahrungen ihre Subjektivität absprechen zu wollen. Ein klassischer Doublebind, d.h. eine Kommunikationssituation, in der zwei widersprüchliche Botschaften gleichzeitig im Raum stehen.
Diese Haltung weisen wir zurück. Menschen können sehr unterschiedliche Motive haben, gegen Rassismus zu kämpfen. Zum Beispiel weil sie nicht wollen, dass Menschen - FreundInnen, ArbeitskollegInnen, GenossInnen - aufgrund von Rassismus ermordet, von Jobmöglichkeiten ausgeschlossen oder ausgewiesen werden. Oder weil man sich nicht in die Idee eines nationalen Kollektivs eingespeist sehen möchte, wie die Redaktion der Zeitschrift Hinterland in ihrem letzten Editorial bemerkte. Und weil es ein essenzieller Bestandteil emanzipatorischer Politik ist, sich durch gesellschaftliche Machtverhältnisse nicht festlegen zu lassen, sondern diese zu hinterfragen und zu bekämpfen.
Längst gibt es eine Geschichte der Kämpfe gegen Rassismus, die von vielen, sehr unterschiedlichen Menschen gemeinsam getragen wurden. Die Black Panther Party, eine der bedeutendsten schwarzen Bürgerrechtsbewegungen, akzeptierte durchaus Menschen in ihren Reihen, die nicht durch Rassismus marginalisiert waren, sofern sie den Kampf gegen Rassismus und Kapitalismus mittrugen. Und das Netzwerk kanak attak hat sich Anfang der 1990er Jahre dezidiert als Zusammenschluss von Menschen begriffen, in dem nicht nach Pass und Herkunft gefragt wurde, sondern die Haltung zum Rassismus entscheidend war.
Die moralisierende Kritik lähmt die politische DebatteOhne einen solidarischen, gesellschaftlichen Antirassismus, ohne das Engagement vieler Menschen, die heute als »Weiße« diffamiert werden, gäbe es eine Vielzahl von Netzwerken, Institutionen, Zeitschriften und politischen Kampagnen nicht. Aber vor allem: An wen richtet sich der antirassistische Diskurs? Nur noch an die vom Rassismus Unterdrückten? Und wenn ja, mit welchem Ziel, dem Separatismus?
Kurzum: Wir halten die Art wie diese Debatte geführt wird, für unpolitisch, moralisierend und in höchstem Grade destruktiv. Sie lähmt sowohl die wissenschaftliche Debatte um, als auch den Kampf gegen Rassismus. Wir wollen dagegen einen Umgang mit Fragen von Rassismus, der es ermöglicht, politische Subjekte nicht nach ihrer Herkunft oder Hautfarbe einzuteilen - wie es auch der Rassismus tut - sondern danach fragt, wie antirassistische Kämpfe das Leben von uns allen verbessern können.
Wir wehren uns gegen eine Identitätspolitik, die dazu führt, dass jedeR nur noch ExpertIn seiner/ihrer selbst ist. Unsere mehr oder weniger gemeinsame postnationale Lebensrealität spielt sich nicht in solchen Containern ab. Paul Gilroy und sein Konzept der Konvivialität scheinen uns hier vielversprechender: Eine Perspektive, die die längst bestehenden »gewöhnlichen Erfahrungen in Umgang, Kooperation und Konflikt über die vermeintlich undurchlässigen Grenzen von Rasse, Kultur, Identität und Ethnizität« anerkennt. (5)
Die Behauptung, »Weiße« handelten paternalistisch, wenn sie sich antirassistisch engagieren, tut so, als wären unsere Freundeskreise, WGs, Familien, unsere Nachbarschaften, unsere Arbeitsstellen und unsere politischen Zusammenhänge ethnisch segregiert. Sie untergräbt jeden Begriff des Politischen, der gerade darin besteht, nicht auf das festgelegt zu werden, was oder »wo« man vermeintlich ist. Und sie zeugt von einer unendlichen Ignoranz gegenüber den tausendfach verschachtelten und komplizierten Geschichten von vielen von uns, die sich der schnöden Opposition »weiß« versus »color« entziehen.
Die AutorInnen sind Mitglieder des Netzwerks kritische Migrations- und Grenzregimeforschung.
Anmerkungen:
1) Vgl. Eggers u.a. 2005 sowie Ha u.a.2007.
2) Für einen sehr überzeugenden Umgang mit der falschen Alternative des antirassistischen Diskurses (kritische Rassismustheorie versus Critical Whiteness), steht der Okzidentalismus-Ansatz von Gabriele Dietze (2009).
3) Schon die Vorstellung von Gesellschaft als einem Schachbrett, auf dem Menschen je nach Geschlecht, Rassismuserfahrungen etc. ein Kästchen zugewiesen werden kann, ist falsch. Gesellschaft ist dynamisch und wandelt sich durch soziale Kämpfe - man denke nur an die Errungenschaften der Frauen- , Schwulen- und Lesbenbewegung der letzten 30 Jahre oder die Abschaffung des rassistischen Apartheidsystems in Südafrika.
4) Vgl. Bojadzijev 2007 und Chin 2011.
5) Paul Gilroy 2004, S. viii.
Literatur:
Theodore W. Allen: Die Erfindung der weißen Rasse. Berlin 1998.
Manuela Bojadzijev: Die windige Internationale. Münster 2007.
Rita Chin: Türkische Frauen und westdeutsche Feministinnen. In: Springerin 2/2011.
Gabriele Dietze: Okzidentalismuskritik. Möglichkeiten und Grenzen einer Forschungsperspektivierung. In: Gebriele Dietze u.a. (Hg.): Kritik des Okzidentalismus, Transdisziplinäre Beiträge zu (Neo-)Orientalismus und Geschlecht. Bielefeld 2009.
W. E. B. Du Bois: Black Reconstruction in America (1935), Piscataway/NJ 2012.
Maisha Eggers u.a. (Hg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster 2005.
Paul Gilroy: After Empire. London 2004.
David Theo Goldberg: The Racial State. Massachusetts 2002.
Kien Nghi Ha u.a. (Hg.): Re/visionen. Postkoloniale Perspektiven auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland. Münster 2007.
Toni Morrisson: Playing in the dark. Whiteness and Literary Imagination. London 1992.
C. L. R. James: Die schwarzen Jakobiner (1938). Berlin/DDR.
Robert J. Steinfeld: Coercion, Contract and Free Labor in the Nineteenth Century. Cambridge 2001.
Eric Williams: Capitalism and Slavery. Chapel Hill/NC 1944.