Die Initiative für die vergessenen Opfer rassistischer Gewalt ruft unter dem Motto „Nichts und niemand ist vergessen!“ zu einer Demo am 22.09.2012 in Magdeburg auf und fordert u.a. die Anerkennung von Farid Boukhit als Opfer rechter Gewalt. Farid Boukhit starb am 27.09.1994 an den Folgen seiner Verletzungen, welche ihm bei den Magdeburger Himmelfahrtskrawallen im Mai 1994 durch rassistische Schläger zugefügt wurden. Treffpunkt für die antifaschistische Demo ist 13 Uhr am Hauptbahnhof!
Warum multikulturelle Begegnungen nur einen unzureichenden Beitrag gegen Rassismus leisten können
Anlass für diesen Beitrag leistet das jährlich stattfindende Magdeburger „Fest der Begegnung“. Es ist einer der multikulturellen Events des Jahres und wird von zahlreichen Vereinen und Verbänden unterstützt. Organisiert wird das Fest unter anderem von der Polizei. Damit reagiert sie auf die Ereignisse rund um den 12. Mai 1994. Ebenfalls ein Himmelfahrtstag.
Wir erinnern uns: Es ist der traurige Höhepunkt einer Reihe von rassistischen Übergriffen, die sich in dieser Zeit immer öfter in Magdeburg ereigneten. Dutzende Menschen veranstalteten vor den Augen der Polizei eine rassistisch motivierte Hetzjagd gegen eine Gruppe von Menschen, die sie als ausländisch wahrgenommen hatten. Vor den Augen der Polizei wurden diese Übergriffe geduldet, offen Sympathien ausgesprochen. Täter wurden laufen gelassen, Betroffene festgenommen. Strafrechtliche Konsequenzen gab es für die Einsatzkräfte nicht. Das in der Folgezeit entstandene Misstrauen gegenüber Polizist_innen wurde als Anlass genommen um das „Fest der Begegnung“ zu initiieren. Es soll nicht nur eine Wiedergutmachung für ihr Verhalten sein, sondern auch Vertrauen aufbauen und einen klaren Beitrag gegen Rassismus leisten. Das klingt vielversprechend und überall in Deutschland finden solche Begegnungen statt. Sieht man allerdings etwas genauer hin, offenbart sich ein etwas anderes Bild.
Begegnung fördern aber von „Fremden“ sprechen
Bei interkulturellen Begegnungen, wie dem „Fest der Begegnung“ wird stets versucht Anerkennung und Respekt für kulturelle Vielfalt zu fördern, indem man sich mit der „fremden Kultur“ vertraut machen kann, was wiederum Rassismus und Vorurteile abbauen soll. Dabei wird übersehen, dass rassistisches Verhalten weitaus früher beginnt. Nämlich bereits bei den typischen Zuweisungen in sogenannte „Deutsche“ und „Fremde“, die in der Öffentlichkeit als selbstverständlich wahrgenommen werden. „Wir“ sind dann die Deutschen, während Menschen mit einem scheinbar sichtbaren Migrationshintergrund zu „Fremden“ oder „Ausländern“ degradiert werden, ohne sich der Komplexität von Migration bewusst zu sein. Der Zweck dieser Zuordnung ist so einfach wie verheerend: Migranten gehören eigentlich nicht nach Deutschland und stehen in der Pflicht sich als „Fremde“ und „Ausländer“ erst zu integrieren. Menschen, die nichts mit Migration zu tun haben, bleiben Fremde. Auch auf dem „Fest der Begegnung“ will man Begegnungen fördern, obwohl sprachlich immer wieder eine klare Grenze zwischen fremden Ausländern und Deutschen gezogen wird, dies zeigen die Ankündigungstexte zu diesem Fest.
Was gerade beim Magdeburger Fest der Begegnung besonders auffällt, ist der Umgang mit Migrantions“anderen“, die immer wieder als Repräsentant_innen ihrer „anderen“ Kulturen zur Schau gestellt werden. Tänze und kulinarische Leckerbissen sollen bei diesen Festen stellvertretend für die türkische oder indische Kultur stehen und starre ethnisierende Bilder werden schnell bestätigt. In der Öffentlichkeit verstärkt es das Verhalten vieler Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund ausschließlich durch die Kulturbrille wahrzunehmen und Migranten müssen sich immer wieder für Verhaltensweisen rechtfertigen, die nicht typisch für ihre Kultur sind oder ihre Fähigkeiten werden einzig auf vermeintlich typische Merkmale reduziert. Dabei wird oft unterschätzt, dass die Betroffenen auch damit Rassisumserfahrungen machen, weil ihre Individualität dadurch in der Öffentlichkeit vernachlässigt wird und damit ein Gefühl der Ohnmacht erzeugt werden kann, weil sie eben „nur“ als Teil einer kulturellen Gruppe gesehen werden. Die Erscheinungsformen von Rassismus äußern sich in diesem Zusammenhang nur versteckt und subtil und werden damit in der Öffentlichkeit als solche nicht wahrgenommen.
Die Polizei als Rassismuskritiker?
Rassistisches Denken und Verhalten ist demnach auch kein Randproblem orientierungsloser Jugendlicher, sondern als soziale Praxis fest in der Gesellschaft verankert. Innerhalb aller Einrichtungen sind rassistische Praktiken allgegenwärtig und werden durch die Gesetzgebung sogar legitimiert, um bestehende Machtverhältnisse zwischen sogenannten Deutschen und Ausländern klar aufrechtzuerhalten. Dies betrifft nicht nur das Vorgehen von Ausländerbehörden, sondern auch staatlich verordnete Praktiken innerhalb der Polizei. So sollen verdachtsunabhängige Kontrollen bei Zuwanderern nicht nur den Eindruck erwecken, es gäbe einen eindeutigen Zusammenhang zwischen kultureller Zugehörigkeit und Kriminalität, was ein Gefühl der Bedrohung durch Migranten nach sich zieht, sondern es hält die bestehenden Machtverhältnisse und die Überprivilegierung gegenüber sogenannten Zuwanderern aufrecht. Innerhalb der Gesellschaft wird dieses Verhalten kaum als diskriminierend eingestuft, weil es staatlich abgesichert und statistisch (falsch) begründet wird. Die Veranstaltung von Festen der Begegnung durch die Polizei lenkt zusätzlich davon ab. Ihr rassismuskritischer Beitrag ist in diesem Zusammenhang also nicht nur fraglich sondern absolut unzureichend, denn innerhalb dieser Organisation gibt es keine Bemühungen um die Thematisierung ihrer eigenen rassistischen Vorgehensweisen.
Perspektiven
Interkulturelle Feste der Begegnung sollten verstärkt dafür sensibilisiert werden eine rassismuskritische Sprachweise zu wählen. Die Bezeichnung „Fremde“ als Synonym für Migranten oder der Begriff „Ausländer“ sowie „Fremdenfeindlichkeit“ wirkt kontraproduktiv und verstärkt typische Zugehörigkeiten, die Grenzen festigen. Da die Menschen heute auf einen vereinfachten Kulturbegriff zurückgreifen, muss es auf diesen Festen auch die Möglichkeit geben, außerhalb von typischen Tänzen oder kulinarischen Gewohnheiten neue, widersprüchliche Erfahrungen mit Kultur und ihrer Komplexität machen zu können. Damit können bestehende Vorurteile abgebaut werden. Auch Aufklärungsarbeit in Form von Informationsständen über Kultur, Ethnie oder Nation, sowie deren Entstehungsgeschichte kann dazu beitragen, ein starres, vereinfachtes Kulturverständnis zu hinterfragen. Außerdem muss sich die Polizei bewusst werden, durch ihr staatlich legitimiertes Verhalten zu rassistischen Verhalten innerhalb der Bevölkerung beizutragen. Diskriminierung muss also auch innerhalb staatlicher Einrichtungen sichtbar gemacht werden. Interkulturelle Feste können dies nicht umsetzen, trotzdem können sie einen Beitrag leisten, indem sie eine Plattform geben, solche Probleme zu thematisieren. Leider verbirgt sich unter dem multikulturellen Schleier ein sehr reduziertes Verständnis über Rassismus. Trotz dessen sollte auch das Magdeburger „Fest der Begegnung“ für die 19. Auflage genutzt werden, um rassismuskritische Ansätze in die breite Öffentlichkeit zu tragen, denn Rassismus war schließlich der Grund für die Entstehung dieses Festes.
Weiterführende Literatur:
Melter, Claus/Mecheril, Paul (2009) (Hg.): Rassismuskritik (Band I): Rassismustheorie und –forschung. Schwalbach/ Ts: WochenschauVerlag.
Quellen:
http://septemberdemo.blogsport.de/
http://www.jungewelt.de/2012/09-12/046.php
http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/2012/09/17/nichts-niemand-ist-vergessen-demo-22-09-magdeburg/
http://de.wikipedia.org/wiki/Magdeburger_Himmelfahrtskrawalle