Am 14. September versammelten sich rund 130 Antifaschist_innen auf dem Georg-Lechleiter-Platz in Mannheim, um den 14 Mitgliedern der Lechleiter-Gruppe zu gedenken. Am 15.09.2012 wiederholt sich der Jahrestag ihrer Hinrichtung zum 70. Mal.
Die Gruppe war Teil des Widerstands gegen das NS-Regime in Mannheim. Sie bestand aus Kommunist_innen und Sozialdemokrat_innen. Aktiv zeigten sie sich unter anderem durch die Veröffentlichung des "Vorboten" – einer Zeitung, die die Menschen in der Region zum Widerstand gegen den Faschismus bewegen sollte. Ebenfalls versuchte sie die Gründung von Widerstandszellen in Großbetrieben anzuregen.
Nach dem Redebeitrag vom Bundesvorsitzenden der VVN-BdA Heinrich Fink wurden Grußworte durch den DGB, eine Vertreterin des Oberbürgermeisters und des AK Antifa verlesen. Musikalisch wurde die Veranstaltung mit Arbeiter_innenliedern untermalt, vorgetragen vom ALSTOM-Chor. Vor dem Denkmal wurden Kränze verschiedener Organisationen niedergelegt.
Viele Informationen über die Lechleiter-Gruppe findet man hier und hier.
Im Anschluss dokumentieren wir die Rede des AK Antifa Mannheim:
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,
in diesen Tagen jährt sich die Ermordung der Widerstandsgruppe um Georg Lechleiter zum 70. mal. Wir haben uns – wie jedes Jahr – hier versammelt um den 14 ermordeten Antifaschistinnen und Antifashisten zu gedenken.
Ihr Widerstand gegen den alltäglichen Terror des Nationalsozialismus ist für uns auch heute noch leuchtendes Vorbild. So schwer für uns die Bedingungen des Kampfes der Lechleiter-Gruppe auch nachzuvollziehen sind; eines steht fest: Die Widerstandsgruppe stand für einen konsequenten Antifaschismus. Ihre Perspektive war schon in der Zeit der Weimarer Republik auf eine fundamentale gesellschaftliche Umwälzung hin zu einer befreiten Gesellschaft gerichtet.
Auch wenn wir uns heute unter der befreiten Gesellschaft sicher etwas anderes vorstellen, so muss dennoch das Gedenken an die Lechleiter-Gruppe wachgehalten und ihr Beispiel weitergegeben werden. Der Kampf gegen Faschismus macht auch heute nur Sinn, wenn er ein Kampf gegen dessen Wurzeln ist.
Für usn – als heute aktive Antifaschistinnen und Antifaschisten – heißt das, dass wir in unseren Analysen den Faschismus nicht kritisieren können, ohne auch Nationalismus – oder Patriotismus – zu kritisieren.
Es heißt auch, dass an eine tatsächliche Befreiung vom Faschismus ohne die Abschaffung des Kapitalismus nicht zu denken ist. Ebenso bedeutet für uns konsequenter Antifaschismus auch praktisch, sich den Nazis hier und heute, mit allen Mitteln in den Weg zu stellen und sich dabei nciht aufhalten zu lassen.
Der Kampf gegen faschistische, rassistische und antisemitische Strukturen – das hat sich im vergangenen Jahr wieder einmal gezeigt – ist ein Kampf, der auf den unterschiedlichsten Ebenen geführt werden muss.
Das sieht man deutlich, wenn man betrachtet, wo sich in der letzten Zeit faschistische und rassistische Ereignisse abgespielt haben. Zu aller erst ist hier die Mordserie der "Nationalsozialistischen Untergrunds" zu nennen, die in diesem Jahr bekannt geworden ist. Über 10 Jahre lang konnte das Nazi-Trio morden, über 10 Jahre lang haben die Behörden die Schuld für die Morde bei den Opfern selbst gesucht. Über 10 Jahre waren 40 V-Männer des Verfassungsschutzes im "Thüringer Heimatschutz" nicht Willens oder in der Lage den NSU aufzudecken und die Mordserie zu stoppen. Auch in dieser Woche sind wieder fast täglich neue Skandale um den NSU ans Licht gekommen.
Für uns bedeutet das ganz klar: Gerade der Verfassungsschutz hatte nicht einfach nur Probleme bei der Bekämpfung von Nazis – Er ist viel mehr selber Teil des Problems! Eine Behörde, die jahrzehntelang gewalttätige Neonazis nicht nur deckt und beschützt, sondern auch noch finanziell unterstützt, muss nicht reformiert werden, sondern gehört abgeschafft!
Auch hier in Mannheim sind die Nazis in diesem Jahr wieder verstärkt aufgetreten. Gleich zwei mal war Mannheim-Neckarau Ort des Geschehens: Zuerst versuchten knapp 300 Nazis am 1. Mai durch den Stadtteil zu laufen und wurden nach wenigen Metern von 3000 Menschen durch eine Blockade auf der Route gestoppt. Auch als am 27.08. das so genannte NPD-Flaggschiff in Neckarau halt machte, kamen einige Hundert Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten um die Propaganda der Nazis deutlich zu übertönen.
Im August dann führten einige regionale Nazis unter Führung der NPD und des "Aktionsbüro Rhein-Neckar" eine Spontandemonstration in der Innenstadt durch. Hier kam es nur zu kleineren spontanen Gegenprotesten. Besonders fatal erschien im letzten Fall die Strategie der Mannheimer Ordnungsbehörden, die den geplanten Naziaufmarsch zuvor geheim hielten. Polizei und Ordnungsamt ließen wissen, man habe die Nazis durch Nichtbeachten ins leere laufen lassen wollen. Eine solche Strategie – und das müsste bekannt sein – hat aber wo immer sie angewendet wurde den Nazis nicht geschadet, sondern sie im Gegenteil gestärkt. Die Entscheidung für diese "Strategie" ist wohl eher auch Bequemlichkeit und Desinteresse seitens der Ordnungsbehörden zurückzuführen, als auf den Wunsch, Nazis in Mannheim keine Plattform zu bieten.
Den Unwille, aktiv gegen Nationalismus vorzugehen findet man allerdings nciht nur auf der Ebene von Stadtverwaltungen. Anlässlich der offiziellen Gedenkveranstaltung zum 20sten Jahrestag der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen hat Joachim Gauck versucht die Ursache für die rassistischen Ausschreitungen der DDR zuzuschieben. Die Menschen in Rostock hätten eben nie die Chance gehabt sich zu demokratischen und friedliebenden Bürgern zu entwickeln. Das ist zum einen widersprüchlich – waren es doch dieselben Menschen, die in den Jahren zuvor in der Bürgerbewegung gegen die DDR protestiert haben – es ist auch der Versuch, den massiven Nationalismus, der im Zuge der Angliederung der DDR an die BRD aufkam, unsichtbar zu machen. Das aber für eine ernthafte Erklärung der Pogrome genau dieser Nationalismus in den Mittelpunkt zu setzen ist, das zeigen auch die pogromartigen Ausschreitungen, die es 1992 in Mannheim-Schönau gab. Auch heir entlud sich der Rassismus der Bevölkerung, angeheizt vom nationalistischen Klima der so genannten Wiedervereinigung. Bis heute allerdings wird dieser Ausbruch des Alltagsrassismus in Mannheim von allen Seiten – uns insbesondere auch von der Stadt – verharmlost oder totgeschwiegen.
Was also verbindet alle diese größeren und kleineren Vorfälle? Der Rassismus, den die Nazis mit teilweise tödlcihen Folgen auf die Straße bringen, wird nach wie vor gedeckt, verschwiegen und gefördert durch den Rassismus breiter Bevölkerungsschichten und den Rassismus in Behörden und Ministerien. Und das ist auch nicht verwudnerlich, wenn vom Familienministerium bis zum Bundespräsidenten Einigkeit darüber herrscht, dass Rassismus lediglich ein Problem wäre, dass am "extremistischen" Rand der Gesellschaft zu suchen sei. Das Problem allerdings heißt nicht Extremismus, sondern Rassimus. Wer meint, die vermeintliche Mitte der Gesellscahft wäre frei davon, wird weder in der Lage sein das Problem zu verstehen, noch es wirklich zu bekämpfen.
Wir – als heute aktive Antifaschistinnen und Antifaschisten – werden also auch in zukunft auf unser eigenes Engagement bauen müssen. Das Handeln der Lechleichter-Gruppe, die trotz der immensen Gefahr, in der sie sich befand, aktiv wurde, ist uns dabei Vorbild und Motivation. Den Kampf gegen Nazis – ob auf der Straße oder in den Köpfen – und den Kampf für eine befreite Gesellschaft, werden wir daher weiterhin führen. Auf allen Ebenen und mit allen dafür notwendigen Mitteln.