"Vier Wochen Asyl" Sie sind es uns nicht wert

Erstveröffentlicht: 
13.09.2012

Zu Gast im Asylbewerberheim: Die ARD-Doku "Vier Wochen Asyl" hätte ein oberflächlicher Versuch werden können, sich in das Elend der Heimbewohner einzufühlen. Tatsächlich ist den Reportern jedoch ein bewegender Einblick ins Leben der Geduldeten gelungen - schonungslos, auch gegen sich selbst.

 

Wer für einen Selbstversuch mal schnell seine Hände im Elend baden will, der darf sich nicht wundern, wenn das Ergebnis schmierig wird. Wie soll das auch gehen, besuchsweise Unglück zu erleben? Was soll es nützen? Zumal auf die Reporter, wie übel die Zustände vor Ort auch sein mögen, anders als für die echten Asylbewerber am Ende des Ausflugs eben doch wieder das eigene Leben mit seiner gediegenen Gutbürgerlichkeit in der sanierten Altbauwohnung wartet. Dennoch hat ein zweiköpfiges Reporterteam des RBB-Politikmagazins "Kontraste" das Dilemma nicht gescheut und sich offenen Auges in die Falle begeben, für einen Monat in einem Asylbewerberheim in der hessischen Provinz zu leben.

Zu Beginn scheint "Vier Wochen Asyl - Ein Selbstversuch mit Rückkehrrecht" die Befürchtungen zu bestätigen. Die Kamera inspiziert gerade den Schimmel an der Decke, als es aus dem Off heißt: "Das Gemeinschaftsbad ist nicht gerade einladend", was womöglich in der Natur eines Gemeinschaftsbads liegen könnte. Und kaum hat Reporterin Caroline Walter ihr neues Zimmerchen bezogen, das sie sich auch noch mit anderen Menschen teilen muss, barmt sie in die Kamera: "Ich sitze jetzt auf meiner neuen Matratze. Die ist superweich. Ob ich da schlafen kann, weiß ich noch nicht." Ach Gottchen. Erst später sehen wir, dass auch andere Insassen lieber auf ausgehängten Türen vom Sperrmüll schlafen, statt sich weiter dem rückenschädigenden Lager auszusetzen.

100 Menschen aus 13 Ländern sind in der Bruchbude im Industriegebiet eingepfercht, viel mehr als Ställe sind die überfüllten Zimmer wirklich nicht. Manchmal kommt der Hausmeister und kümmert sich, manchmal hält der Kontaktbeamte zu den Obrigkeiten Hof und verkündet, wessen Antrag abgelehnt, angenommen oder noch immer nicht bearbeitet ist. Menschen gibt es hier, die hängen seit zwei Jahren hilflos in einem Limbus aus Langeweile oder, wie Hamid aus Afghanistan sagt: "Ich fühle mich immer müde hier, immer. Ich habe keine Arbeit und nichts zu tun. Immer das Gleiche, was du machst, immer essen und trinken und schlafen, immer Fernsehen, jeden Tag." Die Reporterin fragt: Was macht das mit einem? "Also, wenn Sie noch bleiben einen Monat hier, Sie verstehen es selbst."

Mit 196 Euro im Monat auskommen


Wir lernen Leute kennen wie die kleine Sara aus Iran, die noch zur Schule geht und stolz ihr Zeugnis vorzeigt: Deutsch: mangelhaft. Kunst: sehr gut. Ein Buch über Picasso hat sie gelesen und sich daraufhin selbst kubistisch porträtiert. Sie findet es im Heim "warm, zu eng, zu laut" und kann nicht schlafen. Später sehen wir die Reporterin im Dunkeln liegen, sich erst den Arm, dann die Bettdecke über den Kopf ziehend - aber die Geräuschkulisse aus plärrenden Fernsehern und lautstarken Gesprächen will einfach nicht verschwinden. Als nach zwei Wochen eine sichtlich gezeichnete Caroline Walter ihrer Kamera gesteht: "Mir geht's im Moment nicht so gut", da glaubt man es ihr sofort und versteht auch, warum.

Auch sie muss mit 196 Euro im Monat auskommen. Weil Fahrräder verboten sind, wird der weite Weg zum Supermarkt oft über Bahngleise abgekürzt, auf denen D-Züge daherrauschen. Und als berge das Beisammensein von teilweise schwer traumatisierten Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen nicht schon genug Konfliktpotential, werden im Heim auch noch deutsche Obdachlose untergebracht, die ihre ausgewachsenen Alkoholprobleme mitbringen.

"Die passen nicht in unser System"


Niemand sorgt sich in Vollzeit um das Haus oder seine Bewohner, an Wochenenden sind sie völlig auf sich allein gestellt. Die Struktur- und Perspektivlosigkeit hat Methode, wie auch die patente Deutschlehrerin irgendwann resigniert feststellt: "Das sind uns die Leute einfach nicht wert, die hier Bewohner sind". Kontakt mit den Einheimischen gibt es kaum, wohl aber Meinungen der Einheimischen zu den Asylsuchenden: "Die haben halt nicht dieses Niveau, wie wir's eben haben, diese Ausbildung und so weiter", sagt ein Passant: "Es sind zwar gesunde Menschen, wenn man sie so laufen sieht, es ist aber, wie man so sagt … die passen nicht in unser System."

Ins System passt dann schon eher der Arbeitslose vor der Trinkhalle nebenan, der sich ganz klassisch darüber beschwert, dass "die da" es ja wohl "in den Arsch geschoben" bekämen, während "wir Deutsche" für unser Geld arbeiten müssten. Dabei hat erst jüngst das Bundesverfassungsgericht eine Erhöhung der staatlichen Hilfen angeordnet, weil die gewährte Unterstützung für ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht ausreicht. Und dabei wollen ausnahmslos alle Insassen arbeiten, Steuern zahlen, sich nützlich machen in einem Staat, der ihnen wenigstens ein Dach über dem Kopf gewährt: "Ich bin hergekommen wegen Problemen", sagt Hamid aus Afghanistan: "Wenn ich keine Probleme hätte, ich wäre in Afghanistan mit meinen Leuten, meiner Familie. In meinem Haus."

Große journalistische und menschliche Leistung


Kurz vor dem Ende des Experiments bemerkt Caroline Walter einen juckenden Ausschlag an ihrem Körper. Der Arzt stellt fest: Milben sind unter ihre Haut gelangt, es ist die Krätze. Weil sie unter den herrschenden Bedingungen unmöglich die erforderlichen hygienischen Maßnahmen ergreifen kann, behilft sich die Reporterin mit einer Creme - und stellt bald fest, dass fast alle Bewohner mit dem gleichen nutzlosen Mittelchen versuchen, die plagende Krankheit loszuwerden. In jeder anderen öffentlichen Einrichtung wäre das ein Fall fürs Gesundheitsamt. Hier werden die Milben geduldet, wie auch die Menschen nur geduldet werden.

Was Caroline Walter und ihr Team in nur knapp 30 Minuten zeigen, ist weitaus mehr, als man erwarten durfte. Eine detaillierte Miniatur staatlicher Teilnahmslosigkeit. Eine große journalistische, eine noch größere menschliche Leistung. Als die Reporterin am Ende auf ihren gepackten Koffern sitzt und gefragt wird, ob sie denn nun fertig sei, ist es, als würde ihr plötzlich die Doppeldeutigkeit der Frage bewusst. Sie wendet sich ab - und weint.