Der am 27. Juni in Mexiko-Stadt bei einer Explosion verletzte Mario Lopez ("Tripa") wurde inzwischen in den Knast überführt, wo er sich zur Zeit noch im Krankentrakt befindet. Er hat sich Ende Juli mit einem zweiten Kommunique zu Wort gemeldet, hier die deutsche Übersetzung, das Original findet sich auf der Soliwebsite http://solidaridadmario.espivblogs.net/
Companerxs, ich werde versuchen, mich so kurz wie möglich zu fassen, da
ich in Zukunft genügend Zeit haben werde, um meine Stellungnahmen und
meine Reflexionen deutlich zu machen.
Meine Positionierung bleibt die gleiche: mein absolutes Bekenntnis,
Anarchist zu sein und als einziger verantwortlich für meine Taten zu
sein. Vorerst werde ich mich darauf beschränken, allen mir nahestehenden
companerxs für ihre Solidarität zu danken und einige Dinge über diesen
verdrehten Prozess zu "denunzieren", welcher mit meinem Bekenntnis zum
Anarchismus begonnen hat, das ich nicht bereue, niemals bereue!
1. Ich möchte die totale Mittäterschaft der Ärzte des Krankenhauses
"General Ruben Lenero" in Mexiko-Stadt mit der Staatsanwaltschaft
anprangern, und zwar bezüglich der Abänderung der Gutachten dahingehend,
dass sie mit der Anklage übereinstimmen. Damit beziehe ich mich
insbesondere auf die Aussage, die mir zwei, drei Stunden nach dem
chirurgischen Eingriff, noch narkotisiert, mit starkem Erbrechen und
Schwindel, abgenommen wurde. In diesem Rahmen der feigen Komplizenschaft
ist auch die die Handlung des medizinischen Gutachters zu betrachten,
der bestätigt hat, dass ich fähig sei, eine Aussage zu machen, wobei er
nicht einmal eine geeignete Untersuchung durchgeführt hat und nie auch
nur eine Frage an mich gerichtet hat, um meinen physischen und
psychischen Gesundheitszustand zu erkennen.
2. Wie ich von Anfang an gesagt habe, akzeptiere ich in gewisser Weise
meine absolute Verantwortung. Als Individuum bin ich mir und nur mir
gegenüber verantwortlich für meine Handlungen. Deswegen habe ich mich
seit dem Zeitpunkt meiner Festnahme als Anarchist bekannt, aber nach
gründlicher Analyse der Aussagen habe ich etliche Sachen gefunden, die
ich nicht gesagt habe, die sie aber, das war in dieser Situation
offensichtlich, verfälscht hatten. Hier zeigt sich deutlich die Beihilfe
des Pflichtverteidigers, der sich, ganz auf der Seite der
Staatsanwaltschaft stehend, für diese Farce hergegeben hat.
3. Genauso verurteile ich, dass der Richter, der meinen Fall bearbeitet,
mit der Staatsanwaltschaft gemeinsames Spiel macht. Seit dem Moment, in
dem ich die Verteidigung wechselte und die Pflicht"verteidigung"
ablehnte, setzten sie uns etlichen Schikanen aus - mit dem einzigen
Zweck, unter allen Umständen die Übernahme des Falls durch meine
Anwältinnen zu verhindern.
Das zynischste an diesen Versuchen ist die Weigerung des Richters, die
Beweise meiner Anwältinnen anzunehmen, dass ich die erste Aussage - wie
vom Richter und der Staatsanwaltschaft behauptet - nicht "eigenhändig"
geschrieben habe - zu einem Zeitpunkt, als ich mich auf Grund der
Narkose in einem Zustand befand, der es mir weder erlaubte, zu lesen
(kaum hatte ich zwei Zeilen ihrer Aussage gelesen, kotzte ich vom
Schwindel), geschweige denn zu schreiben; weswegen sie mich gezwungen
haben, die Aussage zu unterschreiben.
Zudem muss betont werden, dass der Richter auch nicht die Beweise
akzeptierte, die bestätigten, dass ich nicht der Autor dieser Aussage
bin - und zwar basierend auf graphologischen Gutachten, die klar
aussagen, dass besagtes Schriftstück nicht mit meiner Handschrift
übereinstimmt.
4. Seit meiner Einlieferung ins Gefängnis (und auch schon während meines
Krankenhausaufenthaltes) hat die Staatsanwaltschaft mit allen Mitteln
versucht, mich zu isolieren. Sie verhinderten Besuche und ließen mich
nur meine Mutter ein Mal pro Woche sehen. Des Weiteren haben sie
versucht, mich in einen für meine Genesung ungeeigneten, septischen Raum
zu verlegen, was ihnen dank der Gefängnisärzte nicht gelang; ich
befinde mich weiterhin in einer einigermaßen sauberen Umgebung.
Während meiner Gefangenschaft im Krankenhaus war ich - mit der
Mittäterschaft des Direktors und der Ärzte - in einer für meine
Verletzungen inadäquaten Umgebung untergebracht; mit ständiger Bewachung
rund um mein Bett und den Verhören ausgeliefert. Zynischerweise wiesen
genau diese Polizisten mich drohend darauf hin, dass ich mir auf Grund
der mangelnden Hygiene in meinem Umfeld ernsthafte Infektionen zuziehen
könnte.
5. Auch möchte ich die ständige Verfolgung meiner Anwältinnen öffentlich
machen, derer sie sich ausgesetzt sehen, seit sie meinen Fall
übernommen haben. Dies beinhaltet unter anderem "Besuche" in ihren
Häusern und die Einschüchterung ihrer Familien, Verspottungen und
Drohungen. Dies alles reiht sich in die lange Liste der Handlungen und
Aktionen gegen meinen Prozess ein.
6. Ich möchte mich öffentlich bei den anderen Gefangenen hier bedanken,
dass sie mir mit Medizin, Nahrungsmitteln und Körperpflege geholfen
haben und damit, den Raum halbwegs sauber zu halten, was meine baldige
Genesung ermöglicht.
Companerxs, zuletzt möchte ich klarstellen, dass ich all diese Anklagen
und Erklärungen weder mache, um mich zu viktimisieren, noch mit dem
Zweck, dass unsere ewigen Feinde - die Richter, Polizist_innen und alle
anderen Söldner des Systems der Unterdrückung - mich bemitleiden. Sie
bitte ich um gar nichts. Niemals werde ich um meine Freiheit betteln.
Diesen ganzen "juristischen Prozess" führe ich aus reiner Strategie
weiter, mehr nicht.
Ich schreibe diese Zeilen nur, um die Situation, in der ich mich
befinde, bekanntzugeben - meinen Freund_innen, meiner Familie und dem
ganzen Netz von soldarischen compas, welches sich Tag für Tag um die
ganze Welt spannt.
Nach gründlicher Reflexion in diesen Tagen ist es sehr wahrscheinlich,
dass ich ab jetzt beginne, die Zusammenarbeit mit den Verhören und den
Gutachten der Anklageseite zu verweigern, etwas, das ich von Anfang an
hätte machen sollen. Obwohl das, wie mir von einigen Personen geraten
wurde, rechtlich keine günstige Strategie ist, steht diese Entscheidung
doch in Zusammenhang mit meine Überzeugungen und stellt die Konsequenz
meiner Positionierung gegenüber der Autorität und jedweder Macht dar.
Diese Erfahrung war schwierig, aber mit Kraft, viel Mut und Wut und der
Hilfe mir Vertrauter ist sie gewachsen.
Danke für all eure Unterstützung!
Dass ich von Anfang an die Verantwortung für meine Taten übernommen
habe, geschah zum Teil auch, weil ich nicht wollte, dass weitere
Gleichgesinnte in meine Einzelaktionen verwickelt werden. Aufs Neue
danke ich all eurer Solidarität und begrüße alle Soli-Aktionen für mich
und Felicity ohne eine gering zu schätzen, denn alle haben ihren eigenen
Wert und ihre gebührende Wichtigkeit. Ich danke den compas der
CCF-Griechenland für ihre Grußkarte, eure Worte geben mir Kraft, um
weiterzumachen.
Die Solidarität ist unsere stärkste Waffe.
Niemals geschlagen, niemals bereuend!
Es lebe die Anarchie!!!
Mario Lopez, "Tripa"
Anarchistischer Gefangener der Regierung Mexiko-Stadts,
Mexiko, Juli 2012