Moslembrüder und SCAF Arm in Arm / Angehörige der Verschwundenen fordern Aufklärung

Morsi and SCAF

Der ägyptische Präsident Mohamed Morsi hat gestern bei einer Rede vor Armeeangehörigen in Ismailia am Suezkanal der Armee für ihre Rolle bei der Sicherung Ägyptens und insbesondere für ihre Rolle bei der "Revolution des 25. Januar" gedankt. Auch bei der Absicherung der Parlamentswahlen habe sie eine wichtige Rolle gespielt.


Morsi wandte sich gegen "all jene", die das "wundervolle Bild" der "Einheit von Armee und Volk" zerstören wollten.

Er erklärte, er werde es diesen Kräften nicht gestatten, Hindernisse auf dem "Pfad der Demokratie" zu errichten.
Um dies sicherzustellen, werde er "notfalls wieder auf die Strasse gehen".

Aus seiner Sicht gäbe es derzeit für die Streitkräfte zwei Dinge zu beherzigen: Sie müssten weiterhin die Sicherheit des Landes gewährleisten und sich ihren Langmut bewahren.
Ganz besonders wolle er dem Vorsitzenden des Militärates, Hussein Tantawi, danken, der Ägypten durch eine historisch schwierige Phase geleitet habe.

Diese demonstrative Rede Morsis, dessen neu gebildete Regierung viele Kabinettsposten mit Technokraten besetzt und etliche noch vom Miltärrat ernannte Figuren auf Leitungsebene übernommen hat (alleine sechs Minister waren schon unter dem Militärrat in gleicher Funktion tätig, darunter die wichtigen Ressortchefs für Finanzen und Aussenpolitik), dürfte den Burgfrieden zwischen den Moslembrüdern und dem Militär besiegeln.
Tantawi selber, der seit 1991 auch Verteidigungsminister ist, behält diesen Posten auch in der neuen Regierung der Moslembrüder.

Die derzeitige Linie Morsis scheint vielen ehemaligen Verbündeten der Moslembrüder nicht zu gefallen.

Die Salafisten der "Licht-Partei", die bei den Parlamentswahlen zweitstärktste Kraft geworden waren, seitdem aber erheblich an politischer Bedeutung verloren haben, verzichteten auf eine Regierungsbeteiligung, nachdem ihnen nach eigenen Angaben nur der Posten des bedeutungslosen Umweltministers angeboten wurde.
Sie hatten u.a auf den Posten des aus ihrer Sicht wichtigen Ministeriums für religiöse Stiftungen spekuliert, die Moslembrüder entschieden sich jedoch bewusst dafür , dieses Position mit Osama el-Abd, einen Gelehrten der Azhar-Universität zu besetzen.

Unter anderen die "Nationale Front zur Verteidigung der Revolution", die Morsi im Wahlkampf gegen Ahmed Shafiq, den letzten Ministerpräsidentens Mubaraks, unterstützt hatte, kritisierte die Zusammensetzung der neuen Regierung scharf.
Morsi hatte die Unterstützung von vielen linken und eigentlich fortschrittlichen Figuren und Gruppen erhalten, dafür zahlreiche Versprechen , u.a. eine direkte Beteiligung an der Macht abgegeben.
Die "Nationale Front zur Verteidigung der Revolution", die etliche prominente Mitglieder hat, bildete sogar eine eigene Kommision, um Vorschläg zur Bildung des Kabinetts zu erarbeiten. Diese Anstrengungen dürften jetzt Makulatur geworden sein, die Moslembrüder scheinen sich in der Allianz mit dem Militär mittlerweile so sicher zu fühlen, dass glauben, es sich leisten zu können, alle ehemaligen Mitstreiter zu verprellen.

Immerhin einen wesentlichen "Erfolg" können die Moslembrüder schon auf der Habenseite verbuchen. Bei den anhaltenden sozialen Kämpfen in Ägypten haben sie (vorerst) eine weitere Zuspitzung verhindert. Nachdem die Moslembrüder hochrangig besetzte Kommisionen zur Schlichtung der Arbeitskämpfe ins Rennen geschickt haben und bei den direkten Gesprächen mit Vertretern der Belegschaft diesen Unterstützung signalisiert haben, wurden die Streiks in der wirtschaftlich bedeutende Textilindustrie, bei denen ein Arbeiter von bezahlten Schlägern ermordet worden war, vorerst ausgesetzt.

Doch die wirklichen Herausforderungen, was die soziale Situation in Ägypten angeht, warten noch auf die Moslembrüder.
Die Verhandlungen mit dem IWF über einen Kreditrahmen von über 3 Milliarden sind praktisch abgeschlossen, weitere Programme der Golfstaaten werden folgen. Im September kommt eine hochrangige US Wirtschaftdelegation nach Kairo, im Gepäck Optionen für Investionen in Höhe von mehreren hundert Millionen Dollar.

Gleichzeitig wird von der ägyptischen Regierung erwartet, dass sie ihren Staatshaushalt "saniert", zu grosse Anteile fliessen in einen aufgeblähten öffentlichen Apperat und staatliche Subventionen für Nahrungsmittel und Heizöl/gas und Treibstoffe.
Die Erwartung der internationlen Geldgeber dürfte sein, dass die neue Machtachse aus Militär und Moslembüder diese Probleme endlich angeht.
Was sich dann an neuem Widerstand in Ägypten entwickeln wird, könnte die Ereignisse der letzten 12 Monate in den Schatten stellen.

Schon jetzt formiert sich weiterer politischer Widerstand im Lande

 
Eine neugegründete Kampagne "Wir werden sie finden", kündigte an, die Regierung und das Militär für die Aufklärung des Schicksals von über 1000 verschwundenen Menschen verantwortlich zu machen.

 
Seit Beginn des Aufstandes gegen Mubarak seien 1200 namentlich bekannte Menschen spurlos verschwunden.

Viele der Verschwundenen hätten sich an den Protesten beteiligt, etliche seinen vermutlich dabei festgenommen worden, für das Verschwinden von Anderen gäbe es keine plausiblen Erklärungen.

 
Auf einer Pressekonferenz berichtete die Mutter eines Verschwundenen, die Angehörigen, die sich mittlerweile organiseert und vernetzt haben, hätten ihre Liebsten in Gefängnissen, Krankenhäusern und Leichhallen gesucht. Überall habe man ihnen gesagt, dass ihre Angehörigen dort nicht seien.


Die Mutter von Mohamed Sediq, einem der Verschwundenen berichtete, ihr Sohn sei am 28. Januar 2011 verschwunden, habe sie dann aber am 11. Februar angerufen und ihr mitgeteilt, dass er festgenommen worden sei. Dann sei die Telefonverbindung unterbrochen worden und seitdem habe sie nichts mehr von ihm gehört.


Die Initiatoren der Kampagne "Wir werden sie finden" berichteten auch von Festgenommenen, deren Inhaftierung nie offiziell bekannt gemacht wurden und die dann später tot in ihren Zellen aufgefunden wurden.

Im Juni 2011 gab die damalige Regierung bekannt, dass 19 unidentifizierte Leichen seit Beginn des Aufstandes aufgefunden worden seien, davon hätten 10 Gefängnisbekleidung getragen.
Auch wurde auf der Pressekonferenz berichtet, Angehörigen sei es nicht gestattet worden , ihre inhaftierten Familienangehörigen im Gefängnis zu besuchen, dann sei ihnen überraschend der Tod der Inhaftierten mitgeteilt worden.

Zu zwei Gefängnisssen in Ägypten werde Rechtsanwälten generell kein Zugang gestattet, diese unterstünden dem Geheimdienst, berichtete ein bekannter Strafverteidiger.  

Die Angehörigen forderten auf der Pressekonferenz endlich über das Schicksal ihrer verschwundenen Liebsten aufgeklärt zu werden, wenn diese mittlerweile tot seien, wolle man diese traurige Gewissheit erhalten.

 
Sie erinnerten Morsi daran, dass prominente Moslembrüder ebenfalls teilweise über viele Jahre als politische Gefangenen unter Mubarak inhaftiert waren.
Dieser kündigte unterdessen die Bildung einer Kommision zur Untersuchung des Verschwindens der weit über eintausend Menschen an.