Politische Akteure nutzen ökonomische Krisen regelmäßig, um den Grad der Öffnung von Grenzen in Frage zu stellen. Eine Konferenz vom 13. - 15. Juli an der Uni Kassel fragt nach den Ursachen, Motiven und Handlungsmustern dieser Veränderungen.
Im Sommer 2011 stellte Dänemark an der Grenze zu Deutschland medienwirksam erneut Grenzhäuschen auf. Dieser Bruch des Schengenabkommens, welches die Grundlage der Abschaffung allgemeiner Personenkontrollen zwischen Mitgliedsstaaten der EU bzw. des Schengenraumes vorsieht, wurde von der dänischen Regierung als Sicherheitsmaßnahme gegen grenzüberschreitende Solidarität verkauft.
Im Mai 2012 kündigte der Rat der Europäischen Union an, dass zwischen Griechenland und den anderen europäischen Ländern Grenzkontrollen wieder aufgenommen werden, falls Griechenland in Folge der Eurokrise die Migrationskontrollen an der EU-Außengrenze nicht mehr wie vorgesehen sichern kann. Somit soll verhindert werden, dass Migrant_innen aus Afghanistan, Pakistan und anderswo undokumentiert in die EU gelangen.
Diese beiden Reaktionen stellen im globalen Vergleich keineswegs eine Ausnahme dar. Politische Akteure nutzen ökonomische Krisen regelmäßig, um den Grad der Öffnung von Grenzen in Frage zu stellen. In den letzten Jahren zeichnet sich vielerorts auf der Welt eine Verschärfung von Grenzkontrollen ab. Die oben genannten Beispiele von „Grenzverschiebungen“ im gemeinsamen europäischen Grenzregime weisen zudem auf die soziale Konstruiertheit von Grenzen hin. Diese Entwicklungen sind Gegenstand einer internationalen Konferenz von Aktivist_innen, Künstler_innen und Wissenschaftler_innen. Die Konferenz des „Netzwerkes für kritische Migrations und Grenzregimeforschung“ (kurz: kritnet) findet vom 13.-15. Juli an der Universität Kassel statt. Ein Augenmerk liegt dabei auch auf der Frage von Rassismus und Grenzen.
Den Auftakt bildet am Freitagabend eine öffentliche Podiumsdiskussion mit Berichten von Veränderungen an Grenzverläufen und dem Zusammenhang von Krisen und Migration in Zentralamerika (José Luis Rocha), Israel (Yonatan Berman), der Türkei (Begum Özdem Firat) und Griechenland (Olga Lafazani).
Samstagvormittag wird in einem ebenfalls öffentlichen Panel der Anthropologe Ibán Trapaga aus Mexiko von den Stigmatisierungen und Grenzerfahrungen ehemaliger Gangmitglieder berichten. Die US-amerikanische Soziologin Robyn Rodriguez spricht zu den Folgen der verlagerten Zuständigkeiten von lokalen und bundesweiten Polizeieinheiten in Einwanderungsfragen. Gerda Heck hat die Etappen der Migration von Subsahara-Afrika über Marokko nach Spanien beobachtet.
In einem Panel zu „Activist Citizenship and Struggles of Migration“ diskutieren Samstagnachmittag Nicholas De Genova, Vicky Squire und Kim Rygiel neue Konzepte von Zugehörigkeit/ citizenship und Migration. Parellel dazu befassen sich international tätige Kunstproduzent_innen und Filmtheoretiker_innen in einem weiteren Panel mit der zentralen Thematik der Repräsentation von Migration. Sie analysieren nicht nur kritisch die dominanten Bilder von überfüllten Booten oder verschleierter Frau, sondern stellen ihre eigenen Kunst- und Filmproduktionen zur Diskussion.
Samstagabend zeigen verschiedene Künstler_innen im Kulturzentrum karoshi ihre Arbeiten rund um die Themen Migration und Grenzen. Am Sonntagvormittag werden schließlich in mehreren Workshops Bedingungen und Strategien einer kritischen Wissens- und Kulturproduktion diskutiert.
Veranstaltet wird die 8. internationale Konferenz des „Netzwerks für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung“ vom Kasseler Fachgebiet „Politik der Arbeitsmigration“ (Prof. Dr. Helen Schwenken, FB05) gemeinsam mit Prof. Dr. Sabine Hess vom Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Georg-August-Universität Göttingen.
Kritnet hat sich 2008 mit dem Ziel gegründet, eine Wissensproduktion zu Migration und Grenzpolitiken am Schnittpunkt von Universität und außer-universitärer Praxis zu fördern. Mittlerweile sind dem Netzwerk über 200 Wissenschaftler_innen, Künstler_innen und Aktivist_innen beigetreten. Das Netzwerk hat u.a. mit breit publizierten Stellungnahmen zu Sarrazins Thesen und der europäischen Grenzschutzagentur „Frontex“ einen gewissen Wirkungsradius über akademische Kreise hinaus erzielt. Mehr Infos unter: http://kritnet.org/
Folgende Veranstaltungen sind öffentlich zugänglich und kostenfrei:
- Freitag, 13.07.2012, 19-21:30 Uhr, Ort: K19: „Die Internationalisierung des Grenzregimes“ mit Berichten von den Grenzen in Zentralamerika (José Luis Rocha), Israel (Yonatan Berman), der Türkei (Begum Özdem Firat) und Griechenland (Olga Lafazani)
- Samstag, 14.07.2012, 10-12:30 Uhr, Ort: Hörsaal 1: „Rassismus & Grenzen“ mit Analysen zu den USA (Robyn Rodriguez), Marokko (Gerda Heck) und Mexiko (Ibán Trapaga)
- Samstag, 14.07.2012, 20-22 Uhr, Ort: karoshi, Gießbergstr. 47-47: Filmprogramm mit Beiträgen zu Grenzspringern, inszenierten Grenzen, Kunst & Migration in Mali, Papierfliegern und flexiblen Nationalflaggen (kuratiert von Raúl Gschrey)
Mehr Informationen zum ganzen Programm unter: http://kritnet.org/symposium-2012/