Nach ca. dreistündiger Verhandlung wurde das Verfahren gegen Karl-Philipp wegen angeblicher versuchter Körperverletzung, Widerstand, Beleidigung und Diebstahl heute in Braunschweig ausgesetzt. Wegen unvollständiger Akteneinsicht des Angeklagten kann das Verfahren frühestens im Oktober neu aufgerollt werden. Nach Sitzungsende kam es zur gewaltsamen Räumung durch Justizbeamt_innen und Polizist_innen. Karl-Philipp war im letzten Jahr wie mehrere andere Aktivist_innen von der Polizei in Gewahrsam genommen und dort fixiert, bedroht und verprügelt worden. Außerdem waren Polizist_innen ohne richterlichen Beschluss in der gleichen Nacht in eine Wohnung eingebrochen, die sie für seinen Wohnsitz hielten. Jetzt ist er dafür angeklagt.
Mit deutlicher Verspätung aufgrund massiver, zu Beginn doppelter Einlasskontrollen der Prozessbeobachtenden begann heute Vormittag das Verfahren gegen Karl-Philipp. Während Erste unter anderem genauestens abgetastet und untersucht wurden, kamen beobachtende Polizist_innen auch nicht-uniformiert ohne derartige Kontrollen in den Verhandlungssaal. Nach der Personalienfeststellung beantragte der Verteidiger den Prozess auszusetzen, bis der Verteidigung sämtliche fallbezogenen Aktenbestandteile zur Einsicht bereitgestellt würden. Die vollständige Einsichtnahme war, trotz dahingehendem Antrag im Vorfeld des Prozesses, von der Staatsanwaltschaft erschwert worden.
Die Unvollständigkeit der Akteneinsicht war im weiteren Verlauf der Verhandlung auch ausschlaggebend für deren Aussetzung. Obwohl es angeblich zu den Grundpfeilern der prozessualen Rechte von Angeklagten gehört, sich zuerst möglichst umfassend über die Aktenlage informieren zu können, wurde dies erst durch den beharrlichen Einsatz von Angeklagtem und seinem Verteidger möglich gemacht. Auch der Angeklagte stellte mehrere Anträge, die anwesende Staatsanwältin war schnell damit, deren Ablehnung wegen angeblicher Prozessverschleppung vorzuschlagen. Teilweise zog sie es vor, Gespräche mit der vorsitzenden Richterin zu führen, anstatt den verlesenen Anträgen zu folgen. Die Zuschauer_innen sellten teilweise kritische Nachfragen zu den Wirrungen und Scheinheiligkeiten der dubiosen Veranstaltung und ihrer Protagonist_innen. Nach Verlesung der Anklageschrift wurde das Verfahren schließlich ausgesetzt. Daraufhin konnten die zahlreich erschienenen Prozessbeobachter_innen die von ihren Personalausweisen im Rahmen der Eingangskontrollen angefertigten Kopien bei Richterin Junker abholen. Ohne ersichtlichen Grund wurden unter Einsatz von körperlicher Gewalt mehrere Personen aus dieser Runde von Justizwachtmeister_innen aus dem Saal und teilweise aus dem Gerichtsgebäude geschleift. Mehrere Autoladungen an Polizist_innen wurden zu diesem Zweck zum Amtsgericht gekarrt, ließen aber letztlich ihren schlechterbezahlten Kolleg_innen von der Justizwachtmeisterei den Vortritt bei dem Gezerre und den wie üblich hohlen Phrasen bei dem Versuch, eine Erklärung für dieses Vorgehen zu formulieren.
Karl- Philipp resümiert zur Verhandlung: „Das Aufgebot von Polizei und Staatsschutz für den heutigen Prozesstag war außerordentlich groß. Es scheint sehr brisant zu sein, wenn ein Opfer von Polizeigewalt die ihm angetane Gewalt öffentlich thematisiert. Tatsächlich werden andauernd Menschen von Staatsdiener_innen misshandelt - angeblich zum Schutz der Allgemeinheit, eigentlich für den Erhalt lebensverneinender Verhältnisse. Doch kaum einer traut sich, sich zu wehren. Der heutige Prozesstag bestärkt mich darin, dass es richtig und wichtig ist, dies zu tun.“
Einer der vielen bemerkenswerten Dialogausschnitte diese Prozesstags fand bereits bei den Informationseinholungen zur Person des Angeklagten zu Beginn statt.
Richterin: Wovon leben Sie?
Karl-Philipp: Vom Müll der Gesellschaft.
Richerin: Also Harz4.
Unterstüzer_innen sind auch bei der Neuauflage des Prozesses, noch ohne Termin, gerne gesehen.
Artikel zum Polizeiübergriff 2011: http://de.indymedia.org/2011/06/310525.shtml
und hier, inkl. weiterführender Links: http://de.indymedia.org/2011/06/311056.shtml
Seite zu Selbst- und Laienverteidigung vor Gericht: http://laienverteidigung.de.vu/
Widerstand? Ganz bestimmt!