Bruderkampf der Burschenschafter

Erstveröffentlicht: 
20.04.2012

Aufstand gegen Rechtsextreme

 

Von Florian Diekmann

 

Liberale Burschenschafter brechen das Gesetz des Schweigens - und attackieren ihre rechtsextremen Verbandsbrüder in bislang ungekannter Offenheit. Der Machtkampf in der Deutschen Burschenschaft steht vor der Entscheidung.

Die Zeit des Burgfriedens ist vorbei, liberal-konservative und rechtsextreme Burschenschafter bekämpfen sich jetzt offen - und mit bislang ungekannter Härte. Es ist weit mehr als ein gewöhnlicher Richtungskampf, der da in der Deutschen Burschenschaft tobt, jenem Dachverband mit seinen rund 120 Bünden und knapp 10.000 Burschenschaftern. Die liberaleren Burschenschafter scheinen diesmal fest entschlossen, den rechtsextremen Auswüchsen im Verband Einhalt zu gebieten. Und sie kämpfen mit offenem Visier.

 

Mehr als 300 meist angesehene Burschenschafter - darunter auch frühere Spitzenpolitiker - haben sich zu einer beispiellosen Aktion entschlossen: Öffentlich greifen sie in einem Aufruf einen führenden rechtsextremen Funktionär des Dachverbands scharf an und verlangen dessen Rücktritt.

 

Der Aufruf ist ohne Beispiel: Denn kaum etwas ist Burschenschaftern so wichtig wie Verschwiegenheit und Geschlossenheit nach außen. Zwar beschwören die fechtenden Akademiker eine offene Streitkultur, doch ihre Konflikte tragen sie sonst intern aus.

 

Warum die liberaleren Burschenschafter ihr Schweigen brachen

 

Anlass für den aktuellen Affront war die Hetze eines hohen Funktionärs im Dachverband, über die SPIEGEL ONLINE berichtete: Der Chefredakteur der Verbandszeitung "Burschenschaftliche Blätter", Norbert Weidner, hatte den evangelischen Theologen und Widerstandskämpfer gegen die NS-Diktatur, Dietrich Bonhoeffer, öffentlich als Landesverräter bezeichnet - sowie dessen Verurteilung "rein juristisch" als "gerechtfertigt". Die Bonner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Weidners Verbindung "Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn" war es auch, die schon im vergangenen Jahr mit ihren rassistischen sogenannten "Ariernachweis"-Anträgen für einen Eklat gesorgt hatten.

 

Diesem Treiben wollten die liberaleren Burschenschafter nicht länger schweigend zusehen. In ihrem Aufruf (hier als pdf) verurteilen sie die Äußerungen Weidners "auf das Schärfste". Weidner habe nicht nur das Ansehen Bonhoeffers, sondern auch das der damals im Widerstand befindlichen Burschenschafter geschädigt. "Diese Äußerungen eines hohen Funktionsträgers der Deutschen Burschenschaft sind inakzeptabel und unanständig."

 

Auch auf die Vergangenheit Weidners als "langjähriger Funktionär und Aktivist der später verbotenen Neonazi-Partei FAP" wird in dem Aufruf hingewiesen. Zwar brauche sich niemand der "Politischen Korrektheit" zu unterwerfen, und der Dachverband sei "auch offen für demokratische Rechte". Aber Weidner habe "die politischen und moralischen Grenzen klar überschritten, die der burschenschaftliche Grundsatz der Ehre setzt".

 

Die Unterzeichner wollen Weidner nicht länger in einer einflussreichen Position dulden - und die Leitung der Verbandszeitschrift dürfte das wirkungsmächtigste Amt sein, das die Deutsche Burschenschaft zu vergeben hat. Wenn Weidner nicht freiwillig zurücktrete, müsse er unverzüglich vom Verbandsrat entlassen werden, fordern die Liberaleren.

 

Der Streit tobt seit Jahren, jetzt eskaliert er

 

Selbst Experten können sich nicht an eine derartige Auseinandersetzung erinnern. "Dass Burschenschafter öffentlich so vehement gegen einen anderen Burschenschafter Stellung beziehen, ist außergewöhnlich, wenn nicht gar ein Novum", sagt etwa Alexandra Kurth, Politologin von der Uni Gießen.

 

Dabei ist der Dachverband schon seit Jahrzehnten tief gespalten. Auf der einen Seite steht die Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG), ein Zusammenschluss von mehr als 40 deutschen und österreichischen Bünden. Er gründete sich vor mehr als 50 Jahren, um völkische und damit offen rassistische Positionen durchzusetzen. Mittlerweile besetzt die BG wichtige Schlüsselstellen im Dachverband. Ihre Stärke bezieht sie aus ihrer inneren Geschlossenheit.

 

Auf der anderen Seite stehen die liberaleren Bünde, die noch die Mehrheit in der Deutschen Burschenschaft stellen dürften. Sie haben es bislang nicht geschafft, die Rechtsextremen in Schach zu halten. Stattdessen haben viele Dutzend Bünde den Dachverband aus Abscheu verlassen. Denn eigentlich liegt einem Burschenschafter nur der eigene Bund wirklich am Herzen. Der Dachverband hat für viele nur Bedeutung, weil er etwa die historisch wichtigen Liegenschaften an der Wartburg im thüringischen Eisenach unterhält.

 

Zu den Liberaleren gehört auch Friedrich Engelke, Alter Herr der Rostocker Obotritia. Auch er hat den Aufruf unterschrieben. Er spricht über seine Freude darüber, dass die "konservativ-liberale Seite des Verbandes schnell und substantiell zu einem massiven Protest zusammengefunden hat". Die Äußerungen Weidners nennt Engelke eine "Ungeheuerlichkeit", die Konsequenzen nach sich ziehen müsse. Er hält Weidner für "untragbar". Und der 62-Jährige macht klar, dass ein harter Kampf droht: "Ich rechne damit, dass Weidner nahestehende Funktionäre versuchen werden, die verbandsinterne Verfolgung der Angelegenheit zu unterbinden."

 

Wie die Rechtsextremen sich formieren

 

In der Tat sammeln nun auch die Rechtsextremen im Dachverband ihre Truppen. So zirkuliert unter Burschenschaftern ein offenes Schreiben eines Weidner-Unterstützers, dessen Sprache und Inhalt stark an die Methoden der militanten Rechten erinnert. In dem Brief "an alle ehrenfesten deutschen Burschenschafter" ist von einer "niederträchtigen Hetzkampagne" gegen Weidner die Rede, ein "feiger Angriff", der auch noch von "Intriganten" und "im Windschatten der Feindpresse" geführt werde.

 

"Norbert Weidner hat sich nichts vorzuwerfen!", schreibt der Autor. Die Aktion der Liberalen bezeichnet der Verfasser als "widerdemokratische Zusammenrottung". Prominente Vertreter des liberalen Flügels werden namentlich angegriffen, teils ihre Arbeitgeber genannt. Der Brief endet mit einer Drohung: "Gebt den Lumpen die burschenschaftliche Antwort!"

 

Auch der eigentlich dafür zuständige Pressereferent der Deutschen Burschenschaft will die derart aufgeheizte Atmosphäre nicht dementieren. Er kann ihr sogar etwas Positives abgewinnen. "Wir freuen uns, dass wir nach mehreren Jahren nicht mehr nur als monolithischer Block wahrgenommen werden", sagt Michael Schmidt. Die Äußerungen über Bonhoeffer entsprächen nicht der Meinung der Verbandsspitze. Zwar lehne der Verband den "weitverbreiteten Versuch der Errichtung von Denkverboten im Rahmen politischer Korrektheit" ab, die Meinungsfreiheit ende jedoch dort, wo das Strafrecht den Rahmen setze.

 

Wie sich der scharfe Konflikt zwischen den verfeindeten Lagern lösen ließe, vermag Schmidt nicht zu sagen. Zwar könne der Burschentag in Eisenach - das Parlament der Deutschen Burschenschaft - Ende Mai über die Absetzung eines Funktionsträgers entscheiden. Doch angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse sei die weitere Entwicklung schwer vorherzusehen.

 

Nun deutet alles auf einen großen Showdown auf dem Burschentag hin. Dort könnte sich entscheiden, ob die Deutsche Burschenschaft endgültig zum Zirkel rechtsextremer Sektierer wird - oder diese in den Griff bekommt. Die Zeiten, in denen in Eisenach unter dem medialen Druck von außen mühsam Kompromisse zwischen Liberalen und Rechtsextremen gefunden wurden, scheinen jedenfalls vorüber.