Machtkampf und Massendemo in Kairo

Ägypten

Für heute hatten die Moslembrüder in Ägypten zu einem „march of million man“ zum Tahrir Platz aufgerufen. Auch die wesentlichen Teile der Salafisten und andere, noch radikalere islamistische Gruppierungen hatten sich dem Aufruf angeschlossen. In zwei grossen Demonstrationszügen zogen die Massen zum Tahrir Platz, viele kamen direkt nach den Freitagsgebeten direkt zum Platz. Wie schon bei dem grossen Aufmarsch der Islamisten im letzten Jahr waren viele Demonstranten auch aus der Provinz in Bussen nach Kairo gekommen. Selbst die den säkularen Gruppen nahestehenden blogs und Zeitungen sprechen von weit über 100.000 TeilnehmerInnen an den heutigen Protesten.

 

Hintergrund der heutigen Grosskundgebung sind die zunehmenden Spannungen zwischen den islamistischen Gruppen und dem Militärrat (SCAF).

 

Nachdem die USA nach dem Sturz von Mubarak zur Kenntnis nehmen mussten, dass Versuche, einen westlich orientierten Politiker wie Mohammed el-Baradei als neue Führungsfigur aufzubauen, aussichtslos waren, hatten sie schnell umgeschaltet und frühzeitig Gespräche mit den Moslembrüdern aufgenommen und einen Burgfrieden zwischen diesen und dem SCAF arangiert.

 

Die Moslembrüder hatten sich daraufhin aus den immer wieder aufflammenden Protesten nach Mubaraks Sturz zurückgezogen. Auch während der mit massiven Auseinandersetzungen und vielen toten Demonstranten einhergehenden Proteste Ende letzten und Anfang diese Jahres hatten sich führende Repräsentanten der Moslembrüder öffentlich gegen die neuen Proteste positioniert, diese würden dem Wohl Ägyptens schaden, war ihre uniforme Begründung.


Teilweise folgte ihnen dabei Teile ihrer eigenen Basis nicht, die Jugend der Moslembrüder beteiligte sich wesentlich an den Protesten und Auseinandersetzungen, einige Abgeordnete und Funktionsträger folgten ebenfalls nicht dieser Linie.

 

Nach dem grandiosen Wahlerfolg der Islamisten bei den Parlamentswahlen , der nicht nur die Moslembüder als Wahlsieger, sondern auch die Salafisten als zweitstärkste Fraktion als Ergebnis hervorbrachte, kam es allerdings zu ersten Rissen im Bündnis mit dem SCAF.


Die Moslembrüder, die immer angekündigt hatten, keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten ins Rennen zuschicken, änderten ihre Linie und präsentierten Chairat al-Schater, stellvertretender Vorsitzender der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, als ihren Bewerber.

 

Auch um die Besetzung in der verfassungsgebenen Versammlung, die eine neue Konstitution erarbeiten soll, die die noch aus der Mubarak Ära stammende Verfassung ersetzen soll, gibt es heftige Auseinandersetzungen.


Die Hälfte der Deputierten in dieser Versammmlung wird alleine aus dem von den Islamisten dominierten Parlament entsandt. Aus Protest gegen das fast völlige Fehlen von Repräsentanten aus der Zivilgesellschaft erklärten alle säkularen und linken Gruppen, dass sie die Arbeit dieser Versammlung boykottieren würden.


Als neuster Schachzug erklärte nun vor wenigen Tagen ein ägyptisches Gericht die Zusammensetzung der verfassungsgebenen Versammlung für unrechtsmäßig.


Das Kairoer Verwaltungsgericht erklärte auch zur Freude der säkularen Gruppen, dass Frauen, Minderheiten und junge Ägypterinnen nicht ausreichend in der verfassungsgebenen Versammlung repräsentiert seien.

 

Das Militär, des nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 30 und 50 Prozent der ägyptischen Wirtschaft direkt oder indirekt kontrolliert, schickt nun mit Omar Suleiman eine besonders brisante und in Teilen der Bevölkerung besonders verhasste Figur ins Rennen. Nachdem Omar Suleiman schon vor einiger Zeit erklärt hatte, er beabsichtige nicht weiter, als Präsidentschaftskandidat ins Rennen zu gehen, änderte er nun schlagartig seine Meinung, angeblich weil einige hundert Anhänger vor seinem Haus demonstriert hatten um ihn doch zur Kandidatur zu drängen. Sozusagen über Nacht präsentierte er nicht nur die notwendigen 30.000 Unterstützungsunterschriften, sondern gleich derer 100.000.

 

Omar Suleiman ist ein langjähriger Vertrauter von Mubarak.


Seine Offizierslaufbahn begann er an der Kairoer Militärakademie, dem folgte eine Ausbildung erst in Moskau und nach der Umorientierung der ägyptischen Ausenpolitik eine Ausbildung in Fort Bragg, einem Ort der schon viele Aufstandsbekämfungsexperten und Folterspezialisten aus aller Welt gesehen hat.


Mitte der 80iger übernahm er die Leitung des militärischen Geheimdienstes, später führte er den direkt Mubarak unterstellten DMG, dessen Arbeitsschwerpunkt die „Terrorrismusbekämpfung“ war und ist.


Omar Suleiman begnügte sich nicht damit, Folterungen anzuordnen, sondern legte in mehreren dokumentierten Fällen, ungeachten seines hohem Ranges, selbst Hand an seine Opfer an.


Den erzwungenen Rücktritt von Mubarak verkündete er, als von diesem noch selbst ernannten Vizepräsidenten, persönlich im TV, danach verschwand er vorübergehend aus dem Scheinwerferlicht und zog erfolgreich in bewährter Manier seine Fäden im Hintergrund.


Er sagte auch während des Prozesses gegen seinen früheren Förderer hinter verschlossenen Türen aus, gegen ihn selber kam es allerdings nie auch nur ansatzweise zu offiziellen Ermittlungen.

 

Omar Suleiman dürfte aufgrund seiner gnadenlosen Verfolgung von islamistischen und radikalislamistischen Gruppen in der Vergangenheit und aufgrund seiner Schlüsselfunktion im Mubarakregime in der Gefolgschaft dieser Gruppen, die heute das Bild auf dem Tahrir Platz prägte, extrem verhasst sein.


Seine Kandidatur stellt auch eine Kampfansage an die Führer der Moslembrüder und Salafisten dar.


Da es außer den Kandidaten dieser beiden Gruppierungen keinen ernstzunehmenden Kandidaten gibt, könnte er Stimmmen bei der verängstigten koptischen Minderheit, den Anhängern des alten Regimes sowie unter all denen sammeln, die sich in ihrem Wahlverhalten von den Ängsten „vor dem Chaos“ leiten lassen. Der SCAF hatte mit einer Strategie der Spannung diese „Angst vor dem Chaos“ immer wieder geschürt, das Massaker im Fussballstadion von Port Said z.B. wird von vielen als Teil dieser Strategie interpretiert.


Auch muss, anders als bei den Parlamentswahlen, damit gerechnet werden, dass es bei den Präsidentschaftswahlen zu massiven Wahlfälschungen zugunsten des Kandidaten des Militärs kommen könnte.

 

Heute nun war auf dem Tahrir Platz kein Platz mehr für Zurückhaltung der Anhänger der islamistischen Gruppierungen gegenüber dem SCAF.


In lauten Sprechchören wurde „Nieder mit dem Militärrat“ gerufen, Omar Suleiman, der in den letzten Jahren als erfogreicher Vermittler zwischen Israel, palästinensischen Organisationen und den USA tätig geworden war, wurde als „Agent Israels“ und „Agent der USA“ beschimpft.

 

Die verschiedenen Gruppen der „Revolutionären Allianz“, in der sich Ende letzten Jahres über 50 verschiedene säkulare Organisationen, die massgeblich den Sturz Mubarks betrieben hatten, zusammengeschlossen haben, erklärten in öffentlichen Stellungnahmen ihren Dissenz zu den heutigen Protesten.


Teile der Allianz mobilisieren für den kommenden Freitag zu eigenen, landesweiten Protesten.


Inwieweit diese Gruppen noch in der Lage sind, relevante Teile der Gesellschaft auf die Strasse zu mobilisieren, muss aus unserer Sicht derzeit eher skeptisch beurteilt werden.


Zwar gelingt es immer wieder in Kairo, Alexandria und Suez Tausende auf die Strasse zu bringen und gibt es innerhalb dieser AktivistInnen eine Bereitschaft zu kämpfen, die Pedram Shahyar in einem seiner Artikel vom „Tahrir und die Rückkehr des Heroischen in die Politik “ sprechen liess, aber die Resonanz auf den Aufruf zum Generalstreik im Februar dieses Jahres durch diese Gruppen war ein Fiasko. Zu den letzten Protesten anlässlich der Konstituierung der verfassungsgebenden Versammlung kamen nur noch einige hundert Demonstranten.

 

Auch ist es diesen Gruppen nicht gelungen, sich in ein produktives, solidarische Verhälnis zu den sozialen Kämpfen im Lande zu setzen.


Die Wirtschaft in Ägypten steht ohne neue Kredite vor dem Kollaps. Das Wachstum liegt nur unwesentlich über Null, die Inflation dürfte mittlerweile bei über 10 Prozent liegen.


Um den Kurs der eigenen Währung zu stärken und gegen die Tendenz zur Kapitalflucht hatten die regierenden Militärs massiv Geld Geld in die Märkte gepumpt. Finanziert über weitere Verschuldung und Auflösung der Divisenvorräte.


Um die Akzeptanz neuer IWF Kredite, ohne die weitere private Anleihen unmöglich erscheinen, hatte es bis zuletzt heftige Auseinandersetzungen zwischen den Moslembrüdern und dem SCAF gegeben, weil die anvisierten 3,2 Milliarden Dollar vom IWF noch vor der Präsidentschaftswahl ausgezahlt werden sollen.

 

Es sind mittlerweile in Ägypten zahllose Einzelgewerkschaften entstanden, die sich der Kontrolle der alten Gewerkschaftspitze entziehen. Streikwellen jagen immer wieder durchs Land, spontane, wilde und von den neuen Gewerkschaften organisierte Arbeitsniederlegungen sind an der Tagesordnung, besonders in der Industrieregion am Suezkanal.


Die Protagonisten dieser Streiks sind mittlerweile ins Kreuzfeuer von SCAF und Moslembruderschaft geraten, erkämpfte Rechte sollen mit neuen Gesetzen beschnitten werden, das Militär stösst wilde Drohungen aus oder übernimmt mit eigenen Fahrzeugen die Rolle eines Streikbrechers.

 

Die „Revolutionäre des Tahrir“ scheinen leider so mit der politischen Sphäre beschäftigt zu sein, dass sie nicht aktiv diese Kämpfe unterstützen, oder sich sogar teilweise aus „patriotischer Sorge“ in der Vergangenheit gegen konkrete Klassenkämpfe positioniert haben.

 

Ein Beitrag von recherchegruppe aufstand

 

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