Fünf der zehn Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ wurden in Bayern begangen. Bereits 2006 erkundigten sich die damals ermittelnden Beamten der Soko Bosporus nach den führenden Neonazis im „Großraum Nürnberg“. Doch die Spuren verliefen im Sande.
Von Andrea Röpke
Matthias Fischer ist ein umtriebiger Neonazi. Der Anführer der 2005 verbotenen „Fränkischen Aktionsfront“ (FAF), zeitweiliger NPD-Aktivist, genießt auch in der thüringischen Szene seit Jahren einen besonderen Ruf. Inzwischen führt Fischer das radikale „Freie Netz Süd“ mit an. Dem verstorbenen NSU-Terroristen Uwe Mundlos soll der Fürther bereits seit den 90er Jahren bekannt gewesen sein. Das belegen Unterlagen, die den Behörden bereits vor dem Abtauchen der drei Bombenbastler 1998 vorlagen.
Über Jahre hinweg baute Fischer gemeinsam mit Norman Kempken Kameradschaftsstrukturen in Franken auf. Militanz und „Anti-Antifa“-Arbeit standen im Vordergrund. Kempken zählte zur Macherriege des „Einblicks“, einer 40-seitigen Broschüre mit 250 Namen von politischen Gegnern, die in den 90er Jahren für Empörung sorgte. Immerhin war die Veröffentlichung der Namensliste verbunden mit dem Aufruf, den Genannten „unruhige Nächte“ zu bereiten und sie gar „endgültig auszuschalten“.
Zum Kameradschaftsabend nach Nürnberg
Ein weiterer Kamerad, der Franke Kai Dalek aus der Nähe von Kronach, galt zudem als Betreiber des 1993 initiierten neonazistischen Thule-Netzes, welches mit in der Szene kursierenden Bombenbauanleitungen in Verbindung gebracht wurde. Auch zu ihm könnte Mundlos Kontakt gehabt haben, wie ein internes Papier immerhin vermuten lässt.
Mitte der 90er Jahre reiste die frühe Kerntruppe der „Kameradschaft Jena“, zu der auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zählten, zu einem Kameradschaftsabend nach Nürnberg. Mit dabei waren nach Zeugenaussagen auch der wegen Unterstützung der NSU inhaftierte Ralf Wohlleben sowie Andre Kapke. Unter „Polizeischutz“ sei die thüringische Neonazi-Truppe noch am selben Abend zurückgefahren. Der Franke Fischer hielt den Neonazis aus Jena die Treue. Bei fast allen von Ralf Wohlleben organisierten „Festen der Völker“ oder anderen Events war der mehrfach verurteilte Franke in den kommenden Jahren anwesend, auch als Redner.
Kontakte zur „Blood&Honour“-Sektion
Die ehemalige rechte Clique um Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe, Wohlleben und Kapke aus dem Jenaer Stadtteil Winzerla formierte sich Anfang der 90er Jahre. Zunächst nannten sie sich „Nationaler Widerstand Jena“, danach „Kameradschaft Jena“. Wohlleben war der Anführer, Böhnhardt und Mundlos seine Stellvertreter. Beate Zschäpe war einfaches Mitglied, dennoch gleichberechtigt. Sie galt schon damals als „durchsetzungsfähig“ und auch gewaltbereit. Die Truppe schloss sich dem „Thüringer Heimatschutz“ unter VS-Spitzel Tino Brandt an. Gleichzeitig streckten sie aber ihre Fühler in Richtung weitaus radikalerer Gruppen aus. Kontakte zur „Nationalistischen Front“ von Meinolf Schönborn soll es gegeben haben. Vor allem aber zur „Blood&Honour“-Sektion in Sachsen um Thomas S. und Jan W. gab es enge Drähte. Auch das Landesamt für Verfassungsschutz soll Mundlos’ frühzeitiges Interesse erkannt haben. Seit 1997 rekrutierte das gefährliche internationale Netzwerk über ihre Jugendorganisation „White Youth“ auch den thüringischen Nachwuchs.
De facto taucht der Name des „White Youth“-Anführers in Gera in 1998 beschlagnahmten persönlichen Unterlagen des Trios auf. Auch die Namen weiterer Personen aus Nürnberg, Regensburg und Straubing finden sich in den Unterlagen der Jenaer Bombenbastler. Dabei sind ebenso Matthias Fischers Daten. Auch Fischer wird im Laufe der Jahre immer wieder mit „Blood&Honour“-Konzerten in Verbindung gebracht. Doch die Ermittlungsbehörden scheinen sich auf der Suche nach den Flüchtigen wenig intensiv mit den im Jahr 2000 verbotenen Strukturen beschäftigt zu haben.
Ihre Zielgruppe ist eher der „Thüringer Heimatschutz“ mit seinem VS-nahen Anführer Tino Brandt. Über den erfahren die Schlapphüte bis 2001 auch viel über die Jenaer Wortführer Ralf Wohlleben und Andre Kapke. Doch sie unterschätzen auch den Szene-Laden Medleys, denn deren Besitzer sollen sich später an der gemeinsamen Waffenbeschaffung für den NSU beteiligt haben.
Längst wurde in Jenaer Neonazi-Kreisen die Gewaltfrage diskutiert. Während sich Wohlleben zögerlich gegenüber einer Bewaffnung gezeigt haben soll, tendierte das Trio offen dorthin. Sie befanden sich früh auf der Stufe zu „Rechtsterroristen“, sagt ein ehemaliger Weggefährte später. Spätestens in der zweiten Hälfte der 90er Jahre setzen sie ihre ersten Pläne in die Tat um. Mehrere Kofferbomben wurden im Raum Jena zwischen 1997 und 1998 verteilt.
Unter den Augen der thüringischen Behörden verradikalisiert
Wie sich jetzt offenbart, soll Zeugenaussagen zufolge das führende sächsische „Blood&Honour“-Mitglied Thomas S. damals bei der Sprengstoff-Beschaffung für die ersten Bomben geholfen haben. Eine Tatbeteiligung wäre inzwischen verjährt.
Doch tatsächlich verradikalisierten sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe unter den Augen der thüringischen Behörden. Sie verfügten über politische Drähte nach Bayern und Sachsen. Weil bei den Hausdurchsuchungen im Januar 1998 nicht rechtzeitig Haftbefehle vorlagen, konnte das bereits hochgefährliche Trio abtauchen. Der spätere stellvertretende NPD-Landeschef Ralf Wohlleben lieh ihnen sein Auto. Hinter der Landesgrenze übernahmen die Kameraden in Sachsen. Wie fast zu erwarten, wandten sich die Drei zunächst an die Kameraden mit der militantesten Erfahrung: an die „Blood&Honour“-Sektion Sachsen in Chemnitz, gleich hinter der Landesgrenze. Auch deren Namen tauchen in den 1998 beschlagnahmten Unterlagen der Bombenbastler auf.
S. ist ihre erste Anlaufadresse. Der Mann, mit dem Zschäpe zeitweise liiert gewesen sein soll, und dem die Jenaer während dessen Haftzeit beigestanden hatten –Mundlos hatte ihm sogar Briefe ins Gefängnis geschrieben, – war jedoch nicht bereit, sie bei sich aufzunehmen. Das Trio war enttäuscht. Zwei Chemnitzer Brüder brachten sie beim Neonazi-Pärchen Mandy S. und Max Florian B. in Chemnitz unter. Wenige Tage vor der spektakulären Flucht Ende Januar 1998 sollen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt noch gemeinsam mit der aus dem Erzgebirge stammenden Mandy S. eine Fahne bei der Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung in Dresden getragen haben. Auf den Fotos ist Zschäpe mit langen dunklen Haaren zu sehen, die Frau mit Feathercut neben ihr, wurde als S. identifiziert.
Dritte Phase der braunen Untergrundhelfer
In den über 13 Jahren auf der Flucht verwendete Beate Zschäpe dann immer wieder die Identität der ebenfalls dunkelhaarigen Friseurin. Doch S. war keine harmlose Mitläuferin, sie verfügte über beste Szene-Kontakte. Während der als Terrorhelfer der NSU verdächtigte Steinmetz B. zeitweilig einen engen Draht zum heutigen mecklenburgischen Neu-Siedler und ehemaligen NPD-Mitglied Ilja G. gehabt haben soll, orientierte sich Mandy S. frühzeitig an militanten Kameradschaftsstrukturen. In Chemnitz schloss sich die Jungaktivistin dem inzwischen verbotenen Kreis von „Blood&Honour“ sowie den „CC 88“-Strukturen an, auch zu ihrem Umfeld gehörte demnach Henrik Lasch, Betreiber von Backstreet Noise.
Aus ihrer Heimatstadt im Erzgebirge Johanngeorgenstadt kannte Mandy S. die mutmaßlichen engen NSU-Komplizen Andre E. und Matthias D. Sie zählen zur dritten Phase der braunen Untergrundhelfer. Nach dem Jenaer Kreis um Wohlleben und den Sachsen um S., sorgen die ehemaligen Anhänger der „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“ die längste Zeit für das Wohlergehen des mörderischen Trios. Thomas S., Anführer der Szene in Chemnitz, bringt Mandy S. zur „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene“ (HNG). Fortan schreibt die junge Frau einem inhaftierten rechten Gewaltverbrecher in der Justizvollzugsanstalt Straubing.
Während ab 2000 die ersten Morde der NSU begangen wurden, orientierte sich Mandy S. immer mehr Richtung Franken. 2001 zog sie zu ihrem Freund nach Büchenbach nahe Roth. Sie beschrieb ihn als „Satanisten“, gemeinsam gingen sie schießen im örtlichen Schützenverein, berichtete sie später. Bei einem Hardcore-Konzert will S. dann Matthias Fischer kennengelernt haben, den fränkischen Anführer, der Mundlos und Co doch längst bekannt schien. S. hatte jetzt häufiger mit ihm zu tun. Sie besuchte eine Demo in Fürth, nahm an einer Schulung „Grundbausteine nationaler Politik“ teil. Mitte Juli 2001 verteilte sie gemeinsam mit dem später ebenfalls geflohenen fränkischen Neonazi Gerd Ittner Flugblätter beim Schlesier-Treffen in Nürnberg. Gegenüber der Polizei gab S. später an, Ittner nicht zu kennen.
Plakate der „Fränkischen Aktionsfront“ im Gepäck
Mandy S. war jetzt im Umfeld der Fränkischen Aktionsfront (FAF) tätig, die stand unter Beobachtung der bayerischen Behörden. Die Neonazistin erfuhr dort einiges über den „Rechtsschutz“ und den nationalen Märtyrer Rudolf Heß, beteiligte sich an Kranzniederlegung und Sonnenwendfeier. Den Kontakt nach Chemnitz hielt sie weiterhin. Als sie kurze Zeit darauf wieder nach Sachsen zurückkehrte, hatte sie sogar Plakate der FAF im Gepäck, die sie dort gemeinsam mit Kameraden zur „Sächsischen Aktionsfront“ umfunktionierte und verbreitete.
Im Brandschutt der von der NSU-Truppe genutzten Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße fanden sich Anfang November 2011 diverse Bonuskarten, Ausweise und Krankenkassenkarten. Auch ein „Mitgliedsausweis“ des Tennis-Clubs Großgründlach nahe Nürnberg war darunter, ausgestellt auf den Namen Mandy S., einen der etwa neun Alias-Namen von Beate Zschäpe. Das Landeskriminalamt Bayern ermittelte daraufhin und die Beamten wunderten sich, weil der bekannte fränkische Neonazi Matthias Fischer scheinbar nur wenige Kilometer entfernt von Großgründlach in Stadeln seinen Wohnsitz hatte.
Auch Bücher vom ehemaligen rechtsextremen Coburger Nation und Europa-Verlag fanden sich im Zwickauer Schutt. Für den hatte der thüringische V-Mann Tino Brandt einst gearbeitet. Heute hat sich in Coburg eine Gruppe mit dem Titel „Fränkischer Heimatschutz“ neu formiert. Eng verbunden mit dem „Freien Netz“. Alte Bezüge werden offensichtlich.
Feindbilder waren „stinkende Araber und Juden“
Obwohl sich die mordenden NSU-Neonazis nicht nur in Thüringen, sondern vor allem seit ihrer Aufnahme bei Kameraden in Sachsen noch weiter verradikalisierten, obschon geradezu mahnende Parallelen zwischen „Blood&Honour“-Strategien und dem Vorgehen der Zwickauer Terrorzelle erkennbar werden, weigerte sich das Innenministerium des Freistaates Sachsen vergangene Woche, auf eine Anfrage der Linken hin, sich intensiver mit dem 2000 verbotenen B&H-Netzwerk und dessen Strukturen zu beschäftigen.
Wurde dieses militante Netzwerk bereits in der Vergangenheit vom Verfassungsschutz als bloße Musikorganisation vernachlässigt, so wird es auch jetzt als nicht interessant genug abgetan und der „immense Aufwand“ beklagt, der nötig wäre, um sich intensiver damit zu beschäftigen.
Dabei könnte so eine Recherche Handlungsstränge aufzeigen und Parallelen zur NSU offenbaren. Immerhin ähnelte das Vorgehen von Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe sowie deren Unterstützerkreis dem historischen Werwolfkonzept aus den 90er Jahren: Eine scheinbar bürgerliche Existenz sollte die Basis bilden, um aus dem Verborgenen heraus operieren zu können. Waffen sollten im Ausland beschafft werden und zellenartige Widerstandsgruppen das Land überziehen.
Auch Geldbeschaffung per Banküberfälle war in den terroristischen rechten Gruppen der 80er und 90er Jahre keine Seltenheit. Aus der „Blood&Honour“-Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums gingen deren Feindbilder während dieser hochexplosiven Zeit klar hervor: „Stinkende Araber“ und Juden. Wenn sich die NSU-Anhänger tatsächlich im „Rassenkrieg“ wähnten, dann werden Parolen und Lieder von militanten Gruppen wie „Blood&Honour“ sie mit dorthin geführt haben.
Nur ein Punkt widerspricht deren White Power- und Elitegebaren: Beate Zschäpes Vater war Rumäne.