Nach dem Naziüberfall in Delitzsch am letzten Wochenende auf den Veranstalter und Gäste eines Konzerts mit den Tornados, Johnny Wolga und Skarface, bei dem einer der Angegriffenen immer noch schwerverletzt im Krankenhaus liegt, wo er wiederholt operiert werden musste und mit hoher Wahrscheinlichkeit einseitig erblinden wird. Verdrehen die Verantwortlichen in Delitzsch die Tatsachen und machen die Betroffenen zu Schuldigen des Übergriffs. Anstatt dem Opfer des Überfalls, bei welchem auch seine Lebensgefährtin geschlagen und verletzt wurde, Rückendeckung und Unterstützung zuzusichern, wird in Delitzsch nunmehr das Opfer zum Täter gemacht.
Der Veranstalter des Ska-Konzertes, wurde am gestrigen Donnerstag in die Räume der Stadt geladen und sah sich dort Vertretern des Ordnungsamtes, der Polizei sowie dem Bürgermeister und dem Oberbürgermeister der Stadt Delitzsch, Herrn Dr. Manfred Wilde gegenüber. Dem 26jährigen wurde mitgeteilt, dass er zukünftig keine Konzerte mehr in der Stadt veranstalten solle, bei denen Neonazis ausgeschlossen werden. Zudem sei er an dem Überfall „selbst Schuld“ und stelle mit seinem Bekenntnis, dass Nazis auf von ihm veranstalteten Konzerten unerwünscht seien, eine „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ und des "sozialen Friedens" in Delitzsch dar.
Damit spielt Delitzsch den sogenannten "freien Kräften" und der im Kreistag durch Herrn Maik Scheffler vertretenen NPD in die Hände und stützt das von Neonazis propagierte Konzept der "national befreiten Zonen", in dem sie alternative bzw. nicht-rechte Jugendkultur unmöglich macht. Der vermeintliche Lösungsansatz ist so einfach wie skandalös: Ohne existierende "Feindbilder" gebe es folglich auch keine rechte Gewalt. Weiterhin wird seitens der Behörden versucht, eine für Sonntag angemeldete antifaschistische Demonstration in Delitzsch im Sinne der "Wahrung des sozialen Friedens" zu verhindern. Besonders anschaulich wird die Absurdität mit den Auflagen, die das Landratsamt für die Demonstration verfügt hat. So wurde für die antifaschistische Demonstration eine "Verfügung" zusammengestellt, wie sie nur für Nazi-Demonstrationen bekannt ist. Der Betroffene sitzt derweil zwischen allen Stühlen, fühlt sich allein gelassen und wird in in Delitzsch zum "Freiwild".
Delitzsch hat seit vielen Jahre ein Nazi-Problem (noch ältere Informationen hier) und auch der Umgang mit diesem hat in der sächsischen Kleinstadt Tradition. Im Jahr 2000 wollte der delitzscher Jugendverein "Die Anderen e.V." eine Veranstaltung im örtlichen Jugendhaus YOZ durchführen. Das Konzert sollte unter dem dem Motto "Gegen Faschismus" stattfinden, was von der Stadtverwaltung mit der Begründung, es handele sich um eine "politische Agitationsveranstaltung" verboten wurde. Nach einer Klage des Vereins gegen dieses Veranstaltungsverbot wurde vom Leipziger Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Kurs der Verwaltung rechtswidrig ist und in Folge des Urteils mußte die Stadt Delitzsch die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen.
So alt dieses Beispiel auch sein mag, an der Anaylse aus jener Zeit ist selbst heute nicht viel zu kritisieren, hieß es doch auch 2000:
Die unzähligen Pöbeleien, Übergriffe und Diskriminierungen scheinen nur dann im Alltag aufzuhören, wenn die Nazis ihre ausgemachten “undeutschen” Feinde vertrieben haben oder so eingeschüchtert, daß diese nicht mal mehr Mucks zu sagen sich getrauen, ihnen also die realen konkreten Feinbilder getreu ihrem rassistisch-völkischem Weltbild so abhanden gekommen sind. Insofern ist jede vermeintliche Ruhe in einer Gemeinde, in einer Stadt, in einer Region, wo noch vor kurzem eine starke Naziszene zu Werke ging, genau unter diesem Aspekt zu betrachten. Nach dem Motto: Ist die angebliche Ruhe nicht gerade deshalb eine, weil den Nazis die ‚Feinde‘ ausgegangen sind?
Und alle zusammen: Die Linke, Delitzsch und wir
Wenn in Delitzsch demonstriert werden soll, dann nicht zuletzt deshalb, weil es trotz deutscher Anti-Nazi-Stimmung von Oben bitter nötig ist, sich mit den wenigen vor Ort Aktiven solidarisch zu erklären, die den Nazis und der dortigen Situation die Stirn bieten. Damit soll jenen der Rücken gestärkt werden, die auch in Delitzsch eine kleine Minderheit darstellen. Ihnen soll verdeutlichet werden, daß sie im Kampf gegen Nazis, Rassismus und Antisemitismus nicht auf sich allein gestellt sein müssen.
Uns als linke und linksradikale Antifaschistinnen und Antifaschisten geht es immer auch um das Aufzeigen des Zusammenhanges zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Faschismus. Es ist der bürgerlichen Gesellschaft eigen, das hat die Geschichte gezeigt, daß sie den Faschismus als Option zur Bewältigung einer hausgemachten Krise benötigen kann, in dem der Ausweg in der Barbarei des Faschismus enden soll.
Wir wissen, daß all jene, die für eine couragierte Zivilgesellschaft eintreten, diesen Zusammenhang negieren oder im Glauben an die Allmacht der bürgerlichen Demokratie nicht sehen können. Das heißt aber absolut nicht, daß wir nicht jedes Engagement gegen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus unterstützen und akzeptieren würden.
Die Perspektive einer zeitgemäßen radikalen Linken ist derzeit eine der spannendsten Fragen für uns. Dabei müssen wir die Frage klären, ob Links-Sein weltweit mehr ist als ein zivilgesellschaftliches Feigenblatt der sogenannten Globalisierung, das dazu verdammt ist, Mißstände aufzuzeigen, damit der Kapitalismus diese in seinem Sinne zwar ausmerzen oder wegbügeln kann, sie aber nicht grundlegend beseitigen muß. Nach zehn Jahren weltweitem Siegeszug des Kapitalismus und nach zehn Jahren neuer Großmacht Deutschland ist die radikale Linke kaum noch wahrnehmbar. Am ehesten noch im Anti-Nazi-Kampf, wo sie seit Jahren jene Lücke an fehlender Zivilcourage ausfüllt, die der deutschen Gesellschaft mit dem Ende der linksliberalen Öffenlichkeit anfang der 90er abhanden gekommen zu sein scheint. Und dieser kräftezehrende Anti-Nazi-Kampf hat uns gerade in letzter Zeit klar gemacht, daß wir neue radikale linke Akzente setzen müssen, um nicht an eigener Profillosigkeit einzugehen.
Deshalb bedeutet uns der Kampf gegen die Nazis und ihre Duldung auch mehr. Denn unser Kampf ist kein Kampf für ein besseres Deutschland. Wir treten ein für eine Gesellschaft ohne nationale Grenzen, ohne Kapitalismus, dessen Charakter immer von Ausbeutung, Unterdrückung und Profitgier gekennzeichnet war und sein wird.