Info- + Diskussionsveranstaltung mit dem italienischen Journalisten Saverio Ferrari + einem Antifaschisten aus Rom, Donnerstag 29 . März 2012, 20.00 Uhr, Kino in der Reitschule Bern
Am 29. März besucht der italienische Journalist und Autor Saverio Ferrari die Reitschule, um über "Casa Pound" und den modernen Neofaschismus in Italien zu berichten.
Vom Modell "Casa Pound" - einem neofaschistischen Netzwerk von besetzen Häusern - und dessen national-chauvinistischen sozialrevolutionären Programm sind mittlerweile auch deutsche, schweizerische und andere europäische Neonazi-Kreise fasziniert und inspiriert.
Saverio Ferrari setzt sich seit Jahren für den Antifaschismus ein und studiert das Phänomen Rechtsextremismus in Italien und Europa . Seit 1999 leitet er das " Osservatorio democratico sulle nuove destre", eine der wichtigsten und informativsten Homepages über Faschismus in Italien.
Seine Analyse wird auch die Entwicklung des historischen Rechtsextremismus in Italien aufzeigen, wobei er spezifisch über Mailand und die Lombardei berichten
wird.
Unterstützt werden Ferraris Ausführungen von einem Antifaschisten aus Rom, der uns über das Leben mit "Casa Pound" und den alltäglichen Folgen des modernen italienischen Neofaschismus erzählen wird.
Die Veranstaltung ist auf italienisch , für Übersetzung ins Deutsche ist gesorgt.
Weiterführende Infos:
Megafon Nr. 365 März 2012
http://www.antifa.ch (bald)
http://www.osservatoriodemocratico.org
Artikel im Megafon Nr. 365 März 2012:
Infoveranstaltung im Kino der Reitschule mit dem italienischen Journalisten Saverio Ferrari
"Il metodo italiano" - Moderner militanter Neofaschismus in Italien am Beispiel von "Casa Pound"
Am 29. März besucht der italienische Journalist und Autor Saverio Ferrari die Reitschule, um über "Casa Pound" - ein neofaschistisches Netzwerk von besetzten Häusern - und den Neofaschismus in Italien zu berichten. Im Folgenden einige Betrachtungen über diese gefährliche sowie sozial, kulturell und politisch gut organisierte Strömung innerhalb der extremen Rechten in Italien.
Florenz, 13. Dezember 2011: Der 50-jährige "Casa Pound"-Sympathisant Gianluca Casseri schiesst in der Innenstadt um sich, ermordet die senegalesischen Migranten Samb Modou und Diop Mor und verletzt drei weitere Personen. Als die Polizei ihn auf einem Parkplatz umstellt, erschiesst er sich selbst.
Casa Pound: soziale Kämpfe nur für Italiener_innen
Der Verein Casa Pound (C.P.) mitsamt seinem Schildkröten-Symbol ist in Italien vor allem für seine besetzten Häuser bekannt. Es ist kompliziert, sich der vielförmigen Ideologie anzunähern, welche dem "Verein für soziokulturelle Promotion" (Associazione di promozione socio-culturale Casa Pound) zugrunde liegt. Der Name verweist auf den amerikanischen, antisemitischen und dem Faschismus nahestehenden Dichter Ezra Pound - einer kontroversen Referenzfigur, nicht nur für die historische Rechte, und Inspiration für soziale Kämpfe. Die Selbstbezeichnung einiger C.P.-Aktivist_innen als "Faschisten des Dritten Jahrtausends" spricht eigentlich für sich.
Der Hauptsitz von C.P. liegt in Rom. Das 40 Jahre leerstehende Gebäude wurde zuerst besetzt, dann von der Gemeinde gekauft, die es schlussendlich dem Verein schenkte. In den städtischen Quartieren, wo er es schafft sich anzusiedeln, werden seine Mitglieder allgemein von der Bevölkerung geschätzt, unter anderem weil der Verein sich um die "öffentliche Ordnung" kümmert.
C.P. kontrolliert in Italien ein breites Netz von Centri Sociali , Vereinen und Circoli . Die Besetzungen werden "non conforme" genannt um sie von denen der radikalen Linken zu unterscheiden. C.P. fordert Wohnraum für alle, eine lebenswerte Umwelt, staatliche Kredite für Bedürftige, freien und kostenlosen Zugang zu Kultur und Schulfinanzierung. Er lehnt das Bankensystem (v.a. den "Zinswucher"), die Globalisierung, den Kapitalismus, die USA und die Einwanderung ab. Freilich ist das Programm von C.P. nur und ausschliesslich für italienische Staatsbürger_innen gültig. Auf diese Weise versucht C.P. die diffusen Gebiete des Unbehagens in der Bevölkerung zu erobern: Die Bewohner_innen der angeblich von Immigrant_innen und Nomadencamps "überschwemmten" Agglomerationen, die von der Arbeitslosigkeit bedrohten sozialen Schichten, die Jugendlichen mit Zukunftsängsten.
Rechter Antikapitalismus
Mittels einer neuen und raffinierteren Strategie versucht C.P. traditionell linke Räume zu besetzen. Der scheinbare Verbindungspunkt mit der radikalen Linken, nämlich der Antiamerikanismus antikapitalistischer Prägung, darf nicht täuschen: Die Linke sieht in der Globalisierung den Sieg des Kapitalismus. Die Rechte erkennt in ihr hingegen die alte Idee des sozialistischen Internationalismus, die Vereinheitlichung der Kulturen und Traditionen, die Preisgabe der Idee von "Heimat" und "Vaterland". In der ähnlich der Linken gemeinsamen Verweigerung einer gleichgeschalteten Welt und den "aufgezwungenen Exporten" der Demokratie der USA sucht die extreme Rechte Verbindungspunkte mit der radikalen Linken, dies gerade weil sie ihr die Hegemonie über die ausserparlamentarischen Bewegungen streitig machen will. Verweigert die Linke den Annäherungsversuch, tarnt C.P. Personen und Ideen und versucht die sozialen Räume zu besetzen um sie dem Gegner zu entziehen. Zusammenfassend ist dies die politische Taktik, die im Projekt Casa Pound angewendet wird.
Komplexe Netzwerke
Der rechtsextreme Kontext in dem Casa Pound eingefügt ist, ist komplex, heterogen und verbindet Gruppen und Vereine mit extrem unterschiedlichen Ideologien und politischen Dynamiken. Das Netzwerk erstreckt sich von den Ultras im Fussball über Studentenbewegungen, von Risikozonen für Fremdenfeindlichkeit bis zu Gruppen mit Sozialprotesten. Ihr Vorgehen ist organisiert, gewalttätig, militarisiert. Diese im Territorium verwurzelten und strukturell geschlossenen Bewegungen haben teilweise die faschistische Tradition des Squadrismo überwunden, die anfänglich antiautoritär und wenig ideologisiert war, und brauchen hingegen immer mehr das Modell der Jugend-Eingliederung des Nationalsozialismus, d.h. stark hierarchisch organisiert und der politischen Aktion mit einem klar definierten Ziel verschrieben.
Ein Beispiel für dieses Modell ist die "Hammerskin Nation Italia". Sie ist im gleichnamigen europäischen Netzwerk organisiert, aktiv u.a. in Spanien, Frankreich, Holland, der Schweiz und Deutschland, die der Welt die "Vorherrschaft der weissen Rasse" aufzwingen will. Die Organisation gilt verantwortlich für zahlreiche Aggressionen gegen Immigrant_innen, Homosexuelle, Punks und politische Gegner_innen, die in den letzten Jahren in Italien, v.a. in der Lombardei, im Veneto und in Lazio, Opfer einer Eskalation der Gewalt wurden, die nebst zahlreichen Verletzten auch einige Todesopfer provoziert hat.
Zwickau lässt grüssen: Vorbild für europäische "Sonnenritter"
In der Schweiz hat Gianluca Iannone, Führer und Präsident von Casa Pound, am 25 März 2011 eine von dem Verein "Genève non conforme" organisierte Konferenz abgehalten, mit dem Titel "La methode italienne". Im Grunde eine Wiederholung der von Casa Pound realisierten Veranstaltungen in Madrid, Paris, Anverse und Bruxelles, die über ihr gemeinsames Social Network publik gemacht wurden.
Nicht nur Genfer Rechtsextreme, auch die NS-Szene in Deutschland beschäftigt sich mit dem Phänomen "Casa Pound": Zwar wird C.P. in den Online-Reiseberichten einiger deutscher Kamerad_innen auch mal als ein bisschen zu "sozialrevolutionär" beschrieben, aber die Faszination ist da. Oder wie im "Sonnenritter"-Journal, einem den "Nationale Sozialisten Zwickau" nahestehenden Blog über die "derzeit bekannteste ausserparlamentarische Organisation der politischen "Rechten" in Europa" zu lesen ist: "Die Casa Pound gibt, was außerparlamentarische Opposition betrifft, stilistisch, aktivistisch und inhaltlich in Rom und bald wohl in ganz Italien den Ton an. Sollte es auch dort zu wirtschaftlichen Zusammenbrüchen wie in Griechenland kommen, kann man jetzt schon wetten, was dann das Straßenbild beherrschen wird: Die Schildkröte der Casa Pound! Bildungspolitik, Kapitalismuskritik, soziale Solidarität, ja sogar die Frage der 3. Welt, also linke Stammthemen, werden nach und nach von der Casa Pound dominiert."
Antifaschistische Einblicke mit Saverio Ferrari
Der eingeladene Gast an der Infoveranstaltung ist der Journalist und Schriftsteller Saverio Ferrari. Seit Jahren setzt er sich für den Antifaschismus ein und studiert das Phänomen Rechtsextremismus in Italien und Europa. Nach den rassistischen Vorfällen von Florenz wurde er von der Zeitschrift "Der Spiegel" zum Neofaschismus und unter anderem zu Casa Pound interviewt . Seit 1999 leitet er das "Osservatorio democratico sulle nuove destre", eine der wichtigsten und informativsten Homepages über Antifaschismus in Italien.
Ferrari wird uns unter anderem Einblick in die sonderbaren Verbindungen zwischen rechtsextremen Gruppierungen und der institutionellen Politik geben, denn erstere werden von letzterer teilweise unterstützt, beschützt und finanziert (siehe Kasten). Ferraris Analyse wird auch die Entwicklung des historischen Rechtsextremismus in Italien aufzeigen, wobei er spezifisch über Mailand und der Lombardei berichten wird.
Respekt und kulturelle Interaktion als Waffe der Zivilgesellschaft
Zum Schluss möchten wir an die Worte von Papa Diaw, Präsident der senegalesischen Gemeinschaft von Florenz, erinnern, die er nach dem Doppelmord und den Gewalttaten gegen seine Landsleute, während einer ausserordentlichen Sitzung des Gemeinderats von Florenz ausgedrückt hat. "... Heute schaut uns die ganze Welt zu... Heute ist es nicht die senegalesische Gemeinschaft, die verletzt wurde, es ist die Welt aller ausländischen Bürger. Wir schreien nicht nach Rache, weil wir von einer Gemeinschaft kommen, wo die Rache nicht existiert... In Afrika sagt man, dass der Mensch das Gegenmittel vom Mensch ist, jenseits des politischen oder religiösen Glaubens... Wir müssen aus diesem Schmerz den Dialog wachsen lassen, die kulturelle Interaktion... wir fordern nur dass die Orte wo man den Hass gegen den Andern lehrt, geschlossen werden, weil eine nicht behandelte Wunde zur Brandwunde wird... Wir fordern keine Spezialgesetze oder exemplarische Bestrafungen, wir wollen nur gegenseitigen Respekt um eine Gesellschaft aufzubauen, die endlich auch unsere ist, die besser sein wird für alle unsere Kinder. "
Collettivo L.S.T.
Fussnoten:
Besetzte Häuser die ein kultureller und sozialer Begegnungsort sind.
2 Klubhäuser, Treffpunkte
3 Faschistische Schlägertrupps im historischen italienischen Faschismus
4 http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,803786,00.html
Quellen:
S. Ferrari: "Fascisti a Milano. Da Ordine Nuovo a Cuore Nero". 2011, BFS Edizioni.
S. Ferrari: "Le nuove camicie brune. Il Neofascismo oggi in Italia". 2009, BFS Edizioni.
G. Fasanella; A. Grippo: "L’Orda Nera". 2010, BUR Edizioni.
M. Caprara; G. Semprini: "Destra estrema e criminale". 2009, Newton Compton Editori.
Infoveranstaltung im Kino der Reitschule mit dem italienischen Journalisten Saverio Ferrari
"Il metodo italiano" - Moderner militanter Neofaschismus in Italien am Beispiel von "Casa Pound"
Donnerstag, 29. März, 20 Uhr
Kino in der Reitschule
Ausführliches Dossier auf antifa.ch
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Sinistra radicale:
http://www.ecn.org
http://www.indymedia.org
http://www.osservatoriodemocratico.org
Estrema destra:
http://www.archiviononconforme.blogspot.com
http://www.casapound.org
http://www.forzanuova.org
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Die staatliche Rehabilitierung des Faschismus in Italien
Am 27. März 1994 gewann Silvio Berlusconi mit seinem selbstgeschmiedeten Mitte-Rechts-Bündnis die Parlamentswahlen in Italien und vollbrachte somit den Tabubruch erstmals seit dem zweiten Weltkrieg eine postfaschistische Partei an einer westeuropäischen Regierung zu beteiligen: Die Alleanza Nazionale, Nachfolgepartei des Movimento Sociale Italiano (M.S.I., auch Akronym für Mussolini Sempre Immortale), etablierte sich unter der Führung von Gianfranco Fini zu einer rechtsstaatlichen und sogenannt "antifaschistischen" Partei (2009 Selbstauflösung in Berlusconis PdL). Dem "echten" Faschismus treu gebliebene Mitglieder spalteten sich zwischen 1995 und 2007 in "Movimento sociale - Fiamma tricolore", "Alternativa Sociale" und "La Destra" ab. Weitere neofaschistische Parteien in Italien sind "Forza Nuova", "Azione Sociale", "Fronte sociale nazionale". Nicht zu vergessen, die nicht traditionell faschistische, aber äusserst rassistische "Lega Nord" unter Umberto Bossi, die 1994 zusammen mit M.S.I. Berlusconi an die Macht gebracht hat.