FU Berlin: Exzellenz, Protest und Gesellschaftskritik

Streik heißt die Devise!

Aktionen gegen die EXZELLENZINITIATIVE an der FU – die Bildungsproteste an den Berliner Hochschulen gehen unvermindert weiter und werden zur Gesellschaftskritik!

„Der Staat, der sich in Zeiten der Krise:
- der Wirtschaft, des politischen Systems,
des sozialen Zusammenhangs und Zusammenhalts –
alle Bedingungen des Gesellschaftsprozesses
aneignen möchte, will auch die Sphäre,
in der Bewusstsein produziert wird, steuern,
kontrollieren, erneut ‚ordnen’ und planen.“
(Peter Brückner) (1)

 

 

Bildungsproteste

Mit Freude und Begeisterung verfolgen und begleiten wir die laufenden Protestaktionen an den Berliner Hochschulen, welche seit letztem Herbst mit rebellisch abgehaltenen Vollversammlungen, Besetzungen an FU und HU, Großdemonstration, Solidaritätsaktionen (z.B. mit dem CFM-Streik), kritischen Teach-Ins, Blockadetrainings und generell mit offenkundig gut funktionierender basisdemokratischer Protestkultur aufzuwarten wussten. Nach einem spannenden Spätjahr 2011 schlief diese heterogene Bewegung, von über die Universitäten hinaus aktiven Menschen, auch über die Winterzeit nicht ein und begibt sich scheinbar just mit Einbruch der Minusgrade in eine weitere heiße Phase – was Erwartungen für die mittelbare Zukunft weckt, auch über die vorlesungsfreie Zeit und die kommenden Semester hinaus.

Die kreativen (Stör-)Aktionen aus der Studierenden erfreuen und begeistern deshalb, weil sie sich als Teil des weltweiten Aufbegehrens verstehen lassen und den Anfang eines hier möglichen Weges aufweisen, welchen eine wachsende Bewegung kritischer Menschen mit sozialrevolutionärer Perspektive wird beschreiten können – und müssen!

Umbau der Hochschullandschaft und Exzellenzinitiative
Selbstverständlich war die Hochschullandschaft auch vor dem Bologna-Prozess kein libertäres Schlaraffenland basisdemokratischer Alleinigkeit. Doch der neoliberale Umbau der Bildungseinrichtungen, welcher bereits während des konservativen Rollback der 80er Jahre vorbereitet und spätestens unter Rot-Grün öffentlichkeitswirksam umgesetzt worden ist, schafft durch von Selektion und verschultem Punktewahn geprägten BA/MA-Studiengänge, oder die vehement geförderte Einmischung von Wirtschaftsunternehmen in Belange der Hochschulen, weiter kräftig Fakten. Effizienz, Wirtschaftlichkeit, Erfolg, Markt, Zukunft oder Kompetenz sind die Schlagworte einer Bildungspolitik, welche die kleine Elite als Gegensatz zur breiten Masse benötigt und auch deshalb brachial aufzuräumen versteht mit Lehre, welche über marktrelevante Verwertbarkeit hinausreicht. Denn kritische Inhalte sind Ballast für die zum Unternehmen geformte Universität, in welcher Menschen als Rohstoffe fungieren und Studierende zu Humankapital werden.
Die gestern beendete Exzellenzinitiative an der FU musste unweigerlich Kritik und Wut von politisierten Menschen auf sich ziehen, denn Exzellenz bedeutet Elite, bedeutet Hierarchie, Macht und Ungleichheit, bedeutet Abbau von Mitbestimmung und demokratischer Struktur, bedeutet Forschung statt Lehre und den Eintausch von Freiheit zugunsten von Wirtschaftlichkeit.
Jede Finanzierung durch Fördergelder aus den Exzellenztöpfen, ganz gleich für welche Forschung oder Lehre, müssen wir mit Bestimmtheit ablehnen, denn hierdurch verfestigen sich immer die zu zerstörenden Strukturen von Hierarchie und Herrschaft: Denn eine Exzellenzförderung wird immer nur an ausgewählten Universitäten stattfinden, wird, unter gleich welchen Bedingungen, den einen mehr geben und den anderen nehmen müssen, wodurch sich gesellschaftliche Spaltung vertieft. Durch Exzellenz werden Zugangshürden erhöht, ungerechte Verteilung gestärkt und genau diese Art des Denkens wird folgerichtig überall dort Antrieb und Voraussetzung sein, wo ein Bildungsideal zu reinem Marktinteresse zusammengeschrumpft ist.

Gewaltsames Vorgehen des Präsidiums

Nachdem im Anschluss an eine Vollversammlung vom 16. November 2011 das – weitestgehend privatwirtschaftlich genutzte – Seminarzentrum der „Freien“ Universität von Studierenden zum Zwecke der Auseinandersetzung über universitäre und gesellschaftliche Fragestellungen besetzt worden war und das Präsidium noch am selben Abend fast 150 schwergepanzerte Polizist_innen zur Räumung herbeigerufen hatte, kam es im Zuge der am 02. und 03. Februar 2012 stattgefundenen Exzellenzbegehung zu weiteren militanten Verfehlungen des FU-Präsidiums unter Leitung von Präsident Peter-André Alt.
Denn dutzende Wachleute waren gerufen worden, den Henry-Ford-Bau abzuriegeln. Bereits im Vorfeld waren unter Ausschluss der Öffentlichkeit Konzepte entwickelt worden für die elitär ausgerichtete und Chancengleichheit verhöhnende Exzellenzinitiative, durch welche eine inhaltlich verschlankte und auf wirtschaftsnahe Forschung getrimmte Hochschule Fördergelder zum fortgesetzten Ausbau neoliberaler Strukturen „gewinnen“ möchte. In den vergangenen Tagen wurde der Ort der Begehung der erstellten „Zukunftskonzepte“ nun zu einer Trutzburg umfunktioniert, zugänglich nur für ausgewählte FU-Exzellenzen und Gutachter_innen. Studentischer Protest wurde bereits im Eingangsbereich des Gebäudes verhindert, wobei die eingesetzten Wachleute auch vor direkter Gewalt gegen Studierende nicht zurückzuschrecken brauchten.

Die Gegenseite verweist nun auf zweistellige Millionenbeträge, welche die Hochschule durch die Exzellenzinitiative gewinnen könne. Verweist auf die Notwendigkeit einer Entscheidungsgewalt des Präsidiums über das Hausrecht und damit die Entscheidung, welche der an der FU immatrikulierten Menschen Zugang zu welchen Gebäuden haben dürfen, und welche nicht. Sie verweist auf unklare Forderungen der Studierendenschaft und darauf, dass Protest immer erst am Ende einer verbalen Auseinandersetzung legitim sein könne. Wohlgemerkt einer Auseinandersetzung, welcher sich die Protestierenden verschließen würden, bei gleichzeitig offenen Türen, Ohren und Herzen auf präsidialer Ebene.

Wir fragen uns aber, wie sinnvolle Diskurse geführt werden sollen mit Vertreter_innen von Institutionen, welche – bereits via Amt – über den Abtransport durch Polizist_innen, über den Einsatz von prügelnden Wachschützer_innen und über den Inhalt von Forschung und Lehre, in völlig undemokratischer und intransparenter Art und Weise, entscheiden können? Wir sind der Meinung, dass solch eine Diskussion schon im Ansatz überhaupt nicht gewinnbringend möglich sein kann, denn sie würde in jedem Falle unter völlig verschiedenen Voraussetzungen und niemals auf Augenhöhe stattfinden. Das Präsidium besitzt die Macht, verwaltet das Eigentum, trifft die Entscheidungen und hierin manifestiert sich Gewalt, welcher nicht in der Pose von Bittsteller_innen entgegentreten werden sollte. Das immer wiederkehrende Argument von unklaren Forderungen oder fehlender Programmatik sehen wir in diesem Zusammenhang als ernst gemeintes Kompliment, zeigt sich doch, inwieweit wir bereits die bekannten Mechanismen von „Divide et impera“ (teile und herrsche) zu unterlaufen imstande sind. Unser Ziel ist die Überwindung von Hierarchie und Macht und nicht die Mitarbeit an selbiger. Die so genannte Sozialpartnerschaft hat bereits den Gewerkschaften jede sozialrevolutionäre Basis geraubt und was mittels Gang durch die Institutionen möglich ist, können wir sehen an den bekannten Beispielen von Professor_innen, welche vor etlichen Jahrzehnten voller Veränderungswut an den Universitäten gestartet waren. Warum wir heute noch vor (mindestens) ähnlichen Fragen und Problemen stehen, wie die zur Besserung angetretenen Menschen damals, ist in diesem Zusammenhang sowohl Frage, als zugleich Antwort.

Universität und Gesellschaft

Im Henry-Ford-Bau jedenfalls schmückt sich die FU seit langem mit den fotografischen Konterfeis von mit der Universität in Verbindung stehenden „Berühmtheiten“. Kofi Annan, Anne Will und auch Rudi Dutschke gehören dazu und scheinen auf das Geschehen herabzublicken. Eine schöne Überleitung, denn noch immer stellt sich auch uns hier unten die drängende Frage nach:

„[Der] sozialökonomischen Struktur einer
Gesellschaft, die in sich Gewalt hat. […]
Die Politische Form der Gewalt ist, und dass ist
meine These, in der sozialökonomischen Struktur
das Resultat. […] Um die Wurzel geht es –
wie sind die Verhältnisse? Wie das Erzeugen?
Das Erzeugen ist der Punkt,
an dem wir diskutieren sollten.“(2)


Wer jetzt das studentische Infragestellen von Eigentumsverhältnis, Gesetz und verfassungsschutzkonformem Demokratiebegriff gleichsetzt mit der strukturellen und offenen Gewalt, welche durch hierarchische Bildungsinsitutionen erzeugt und genutzt wird, der/die zeigt nur zu genau, welch konformistisches Wirtschaftsdiktat Grundlage ihrer/seiner Idee von Gesellschaft ist.
Das Präsidium der FU hat sich in den vergangenen Jahren mit einer solchen Fülle von Machtbefugnissen überhäuft, dass fast von absolutistischen Verhältnissen gesprochen werden kann (3). Die professorale Riege ist zum Abnicken geformt und besetzt, kritische Stimmen zum Schweigen gebracht, aus- oder eingegliedert worden. Posten und Gelder werden in gegenseitigem Einvernehmen verwaltet, während sich der akademische Mittelbau weitestgehend als selbst aufstiegswillig oder als resigniert darstellt. Sachzwänge werden als Argument vorgeschoben noch jede Entscheidung gegenüber Kritiker_innen zu rechtfertigen. Dass zusammenhängend jede Form von Protest abgelehnt und kriminalisiert wird, welcher hinausgeht über das vorsichtige Informieren – zu von Obrigkeit vorgegebenen Zeiten und an ausgesuchten Orten –, ist ein Skandal und Grund genug für eine ohnehin notwendige sozialrevolutionäre Radikalisierung:

Die Kritik an der Universität wird zur Kritik an der Gesellschaft.

Polizei, welche gegen friedlich diskutierende Studierende eingesetzt wird, Sicherheitsunternehmen, welche ganze Gebäude absperren und Studierende bedrohen, statt diese zu ihren Veranstaltungen zu lassen: dies ist die Politik eines rechtskonservativen Lagers und dies scheint auch die Politik des Präsidiums der FU zu sein.
Diese Logik setzt sich in nahezu jedem Gremium, in jedem Institut fort und findet selbstverständlich auch in vielfältiger Art und Weise Eingang in die Lehre an der Hochschule. So beispielsweise am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, wo unter Leitung des als Politikwissenschaftler arbeitenden Neocon-Governance-Strategen Thomas Risse der Sonderforschungsbereich 700 an „Globalisierung als Projekt des sozialen Kriegs“(4) arbeitet. Die Ideologie von „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit: Neue Formen des Regierens?“ schlägt sich auch nieder im Ausbau struktureller Gewalt, in Abbau von Demokratie und in Überwachung und Kriminalisierung von Kritik innerhalb der Universität, aber auch in der „wissenschaftlichen“ Vorbereitung und Gestaltung von Krieg und staatlichem Terror weltweit. Wir müssen uns nun die Frage stellen, ob wir anerkennend begreifen lernen müssen, dass diese Entwicklung genau dort ansetzt und auch endet, wo unsere eigenen Forderungen und Aktionen sich entwickeln müssen – in gesamtgesellschaftlicher und umstürzlerischer Perspektive. Auch dieses Beispiel zeigt den Weg der Kritik, wird es doch geradezu Pflicht, über den universitären Rahmen hinaus Veränderung zu schaffen, Freiheit zu propagieren und andere Lebensformen zu gestalten. Nehmen wir uns zurück, was sie uns täglich nehmen, fragen wir nicht, sondern ermächtigen wir uns selbst, denn:

„Bildung kannst Du an der Universität
durchaus erhalten. Sie wird dort aber nicht vermittelt.
Du musst sie Dir selbst aneignen.“
(Kasi) (5)


Eine freie Gesellschaft braucht freie Menschen und eine Analyse der „Bildungslandschaft“ im Allgemeinen, wie der FU im Speziellen, kann und wird nicht der Endpunkt der Kritik sein.

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(1) Brückner, Peter: Über die Gewalt. Sechs Aufsätze zur Rolle der Gewalt in der Entstehung und Zerstörung sozialer Systeme, Berlin 1979, S. 7.
(2) Dutschke, Rudi, aus: Beitrag zum Begriff der Gewalt in der Sendung „club2″, ORF,1978.
(3) Vgl. http://fuwatch.de/?p=367
(4) Vgl. http://www.materialien.org/texte/hartmann/700-2-2.html
(5) warum studieren?, in: fu60: gegendarstellungen, S.138-141, hrsg. vom ASTA der FU Berlin, 2008, S.141.
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Berlin, den 07.02.2012,
Anarchopazifist_in Y.

 

 

 

 

Quelle: www.apb.blogsport.de