Nur ein halbes Jahr nach dem letzten Landesparteitag der sächsischen NPD (GAMMA berichtete) traten deren Delegierte am Sonnabend erneut zusammen. Ein Ergebnis: Mit Mario Löffler hat der Landesverband einen neuen Vorsitzenden. Geplagt wird die Partei aber von alten Sorgen um Geld und Personal. Nicht nur beim “Deutsche Stimme”-Verlag könnten die Lichter bald ausgehen.
Mario Löffler beerbt Apfel und Petzold
Der Parteitag trieb die NPD bis an die polnische Grenze. Im Hotel “Neißeblick” in Ostritz (Landkreis Görlitz) fand das konspirativ vorbereitete Treffen statt, in dem es vor allem um Personalentscheidungen ging. Holger Apfel hat seinen Posten als Landeschef aufgegeben, nachdem er im November vergangenen Jahres zum Bundesvorsitzenden gewählt wurde. Die Delegierten bestätigten nun den von Apfel vorgeschlagenen Nachfolger Mario Löffler. Einen Gegenkandidaten gab es nicht.
Gewählt wurde Löffler durch 53 der 57 Deligierten. Während die sächsische NPD das Wahlergebnis (93 Prozent) als “harmonische Stabübergabe” bezeichnet, ist es doch ein Indiz für das Gegenteil. Da der Landesverband nach nicht überprüfbaren Eigenangaben über mehr als 800 Mitglieder verfügt, hätten laut Satzung (ein Deligierter pro angefangenen zehn Mitgliedern) wesentlich mehr Deligierte Stimmrecht gehabt. Welche Kreisverbände dem Parteitag fern blieben, vermeldet die NPD nicht.
Löffler, Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Erzgebirge und Chef der dortigen Kreistagsfraktion, erbt durch den kürzlichen Tod des Abgeordneten Winfried Petzold außerdem ein Landtagsmandat und ist so in kurzer Zeit zu einem bedeutenden Kopf der sächsischen NPD aufgestiegen. Über Renommee verfügt Löffler, früher CDU-Mitglied, hauptsächlich im national-konservativen Spektrum. Das passt zum einen in Apfels Linie einer “seriösen Radikalität”, zum anderen befriedigt es jene, die desöfteren gegen “Westimporte” an der Landesspitze polemisiert haben.
Bisherige Einschätzungen über Löfflers Eignungen gehen auseinander. In der Presse wurde vermutet, Löffler würde als Funktionär “von Apfels Gnaden” ein “schwacher” Vorsitzender bleiben. Den Eindruck vermittelt der redegewandte Erzgebirgler aber gerade nicht. Und den verstorbenen Petzold, der die Latte nicht sehr hoch gelegt hatte, wird er im Landtag leicht überflügeln können.
Jens Baur wird Löffler-Stellvertreter
Auch das bisherige Stellvertreter-Trio – abgesehen von Löffler sind das weiterhin Maik Scheffler (KV Nordsachsen) und Helmut Herrmann (KV Leipzig) – erhielt Nachwuchs. Löfflers Posten in der zweiten Reihe nimmt fortan Jens Baur ein. Der 32-Jährige ist NPD-Stadtrat in Dresden, Vorsitzender des dortigen Kreisverbandes, außerdem Beisitzer im Landesvorstand sowie nominell Geschäftsführer des Landesverbandes. Baur gilt als ausgesprochen aktiv – und Apfel-hörig. Zwischenzeitlich war er als Apfels “persönlicher Referent” im Landtag angestellt.
Zuletzt kam Baur in die Schlagzeilen wegen einer von ihm im November initiierten rassistischen Kampagne. Unter dem Motto “Eine Stadt sagt NEIN” agitiert sein Kreisverband “gegen die dauerhafte Ansiedlung afrikanischer Wirtschaftsflüchtlinge” in Dresden. Gegen Baur lief daraufhin eine folgenlose Strafanzeige wegen Volksverhetzung. Anfang Dezember stellte die Polizei dennoch hunderte Kampagnen-Postkarten sicher, denn durch ein geklaute Motiv verstieß die NPD gegen das Urheberrecht.
Seitdem ist es um die “breitangelegte Kampagne” ruhig, das Werbematerial ist von verschiedenen NPD-Websites wieder verschwunden. Baurs Rassismus, durch den er wiederholt aufgefallen ist, tut das keinen Abbruch. Notorisch auch seine mehrfache Beteiligung an Neonazi-Übergriffen:
Im Juni 2005 versuchte Baur an der Seite weiterer Kameraden, eine Buchlesung in den Dresdner Neustadt anzugreifen. 2007 beteiligte er sich zunächst im Oktober an einem Störversuch gegen ein Bürgerfrühstück der Initiative „Pieschen gegen Rechts“ und im Dezember desselben Jahres gegen eine Veranstaltung an der TU Dresden. Dabei wurde eine Person durch Baurs Gefolgsleute niedergeschlagen. Berührungsängste mit der gewaltbereiten Neonaziszene gibt es bei Baur augenscheinlich nicht, Kontakte pflegt er auch zu früheren Mitgliedern der “Skinheads Sächsische Schweiz” (SSS).
Baur ist in der Zwischenzeit vom Parteinachwuchs zum Kader geworden. In der Vergangenheit fungierte er beispielswiese als Vorsitzender des NPD-nahen “Nationalen Jugendbündnis” (NJB), das 2004 als “Sammelbecken national gesinnter Jugendlicher in der sächsischen Landeshauptstadt” gegründet worden war und 2007 in der offiziellen Partei-Jugndorganisation “Junge Nationaldemokraten” (JN) aufgegangen ist.
Scheffler bleibt auf der Wartebank
Der Parteitag war zugleich als “Jahresauftaktveranstaltung” der sächsischen NPD angekündigt worden. Zum “kulturellen” Teil waren auch Nicht-Delegierte eingeladen worden. Die Resonanz hielt sich in Grenzen, trotz des Auftritts von Marco Laszcz, dem Sänger der bekannten Szeneband “Sleipnir”. Deutlich zeigte sich in Ostritz, dass die NPD keinen Grund zum Feiern hat, aber gute Miene zum bösen Spiel macht.
Dieses Spiel beherrscht beispielsweise Maik Scheffler. Trotz seiner offenkundigen Rolle als Anführer des militanten “Freien Netzes” (FN) wird er von Apfel protegiert, denn die Partei ist auf tatkräftige Kameradschafter angewiesen. Die wiederum sind sich ihrer Position bewusst: So hatte Scheffler offenbar selbst erwogen, den Landesvorsitz zu übernehmen. Über die geplante Kandidatur hatten erst kürzlich gut informierten Kameraden in einem internen Neonazi-Forum spekuliert. Auf Apfels Gegenliebe scheint dieser Vorschlag nicht gestoßen zu sein. Bezeichnend, dass es Scheffler auch nicht gelungen ist, neben sich einen weiteren FN-Aktivisten auf einen Stellvertreterposten zu hieven.
Das sorgt nun in FN-Kreisen für Verstimmung. Die von Patrick Fischer mitbetriebene Website “Mauerblümchen”, vormals “Freies Netz Chemnitz”, berichtete unmittelbar nach dem Ende des Parteitags zähneknirschend, Scheffler habe “seinerseits auf eine Kandidatur” verzichtet, er “belies es mit dem stellvertretenden Vorsitz”. Offenbar sind die Ambitionen des FN, bis an die Spitze der sächsischen NPD aufzusteigen, damit an eine Grenze gestoßen.
Der Artikel mit dem Überschrift “Wo die Äpfel von den Bäumen fallen” wurde prompt auf der Website des “Freien Netzes Erzgebirge” übernommen – ein weiterer Affront gegen den neuen erzgebirgischen Landeschef. Auch das “Aktionsbündnis Leipzig”, vormals “Freies Netz Leipzig”, hat sich dieser Stellungnahme angeschlossen. Kopf der Leipziger Truppe ist der Scheffler-Gefolgsmann und FN-Aktivist Tommy Naumann, zugleich Vorsitzender der sächsischen “Jungen Nationaldemokraten”. Bereits vor dem Parteitag hatte sich das “Freie Netz Zwickau” von Löffler distanziert.
Schmalhans wird Küchenmeister
Ein weiterer Sorgenfall der Partei ist die prekäre Finanzlage, sie bedroht zentrale Parteiprojekte und zukünftige Wahlkämpfe. So ist es um den “Deutsche Stimme”-Verlag in Riesa schlechter bestellt als bisher gedacht. Wegen tiefroter Zahlen mussten zum zweiten Mal mehrere Mitarbeiter entlassen werden. Derzeit werde das Verlagsgeschäft nur noch “von einer Rumpfmannschaft aufrecht erhalten”. Um das weitere Erscheinen der Parteizeitung “Deutsche Stimme” zu ermöglichen, habe die Verlags-GmbH “unbürokratisch” ein Darlehen erhalten. Nach GAMMA-Informationen handelt es sich dabei um eine höhere fünfstellige Summe aus dem Parteibudget. Die Zahlung hat Apfel in die Wege geleitet, ohne die Delegierten zu fragen.
Der DS-Verlag soll nun durch weitere Einschnitte gerettet werden. So werde erwogen, sich nur noch auf die Produktion der Parteizeitung zu konzentrieren und den Vertrieb von Literatur und Szene-Devotionalien stark einzuschränken oder ganz abzustoßen. Am Rande des Parteitags war zu erfahren, dass dafür Verhandlungen mit mehreren bekannten Neonazi-Vertrieben geführt werden. Deutliches Zeichen für die Untergangsstimmung in Riesa ist auch die seit Wochen brachliegende Website der “Deutsche Stimme”-Zeitung. Das Vertriebsgeschäft ist zudem gebeutelt worden durch Hackerangriffe auf den DS-Onlineshop im Rahmen der “Operation Blitzkrieg”.
Bereits seit 2009 sind die DS-Bilanzen negativ, dabei war das Verlagsgeschäft lange Zeit eine der wichtigsten Einnahmequellen der Partei neben der staatlichen Parteienfinanzierung. Noch Ende 2011 hatte Verlagsgeschäftsführer Eckart “Ecki” Bräuninger gegenüber der Presse dementiert, dass die Insolvenz bevorstehe, zugleich aber “interne Umstrukturierungen” angekündigt. Die wurden erstmals beim Bundesparteitag im November 2011 unter Ausschluss der Öffentlichkeit thematisiert. Die Quasi-Absetzung des Parteichefs Udo Voigts durch Holger Apfel war dagegen eine öffentlichkeitswirksame Folge der Finanzprobleme.
Partei bleibt auf dem absteigenden Ast
Mit diesen Problemen wird Apfel aber auch nicht fertig. Um die Parteimittel zu konsolidieren, erwog er bereits im vergangenen Jahr einen Umzug der NPD-Zentrale von Berlin-Köpenick ins “Stammland” Sachsen. Wie schade: Der Partei steht hier keine geeignete Immobilie zur Verfügung. Und es kommt noch dicker: Nach einer derzeit ausstehenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wird sich noch in diesem Jahr entscheiden, ob die NPD wegen ihres “frisierten” Rechenschaftsberichts von 2007 insgesamt zweieinhalb Millionen Euro – die erschlichene Summe plus eine ebenso hohe Strafe – an den Bundestag erstatten muss. Dann wäre die NPD endgültig pleite. Schon jetzt hat sie eilig eine Spendenkampagne aufgelegt.
Geld fehlt der Partei vor allem für zukünfige Wahlkämpfe. Strategisch und finanziell entscheidend wird der zweite Wiedereinzug in den Sächsischen Landtag 2014 sein, auch daran wurde am Sonnabend nachdrücklich erinnert. Der NPD stehe eine “echte Schicksalswahl” bevor, schon jetzt sollen “zur Sicherheit” entsprechende Rücklagen gebildet werden.
Von der Finanzentwicklung wird auch die Zukunft des NPD-Hauses (“Nationales Zentrum”) im Leipziger Stadtteil Lindenau abhängen. Das Haus war bisher das “Bürgerbüro” Winfried Petzolds und gehört seinem Sohn. Der ist offenbar auch bereit zur weiteren Vermietung an die Landtagsfraktion. Als neue Nutzer kommen beispielsweise die NPD-Abgeordneten Alexander Delle und Jürgen Gansel in Frage, denn der erste hat bisher nur ein “mobiles Bürgerbüro” und der zweite residiert im abgelegenen Verlagsgebäude der “Deutschen Stimme”.
Gegenüber der Presse hatte die NPD in den vergangenen Tagen mehrfach angekündigt, das Leipziger Objekt weiter nutzen zu wollen. In Ostritz fiel dazu aber kein Beschluss.