26. Oktober 2011: Heute ist es auf den Tag 15 Jahre her, seit Überlebende von Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken zum ersten Mal wagten, ihre Peiniger durch gewaltfreie Aktionen öffentlichkeitswirksam mit dem angerichteten Leid zu konfrontieren. Geändert hat sich seither leider herzlich wenig: Auch heute noch wird in Deutschland jeden Tag mindestens ein wehrloses Kind in einer Kinderklinik ohne medizinische Notwendigkeit irreversibel genitalverstümmelt – allein in Berlin jedes Jahr Dutzende, während der Senat bis auf den heutigen Tag jegliche Kenntnis davon öffentlich leugnet.
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org wird am Do 10.11. im Haus der Demokratie und
Menschenrechte über diese andauernden Menschenrechtsverletzungen
informieren – und anschließend drei Tage lang vor der Charité gegen die
uneinsichtigen Verstümmler und ihre Helfershelfer protestieren.
INHALT
1. Chicago, 26.10.1996:
"Zwitter mit Rückgrat nehmen Pädo-Verstümmler ins Visier"
2. Berlin, 27.10.2011:
Deutscher Ethikrat diskutiert Stellungnahme zu "Intersexualität"
3. Genf, 4. + 8.11.2011:
UN-Komitee gegen Folter über "Gonadektomie (Kastration)"
und "feminisierende Operationen" in Kinderkliniken
4. Berlin, 10.-13.11.2011:
Aktionen gegen Genitalabschneidertreffen in der Charité
Chicago, 26.10.1996:
"Zwitter mit Rückgrat nehmen Pädo-Verstümmler ins Visier"
Als Reaktion auf die eiserne Gesprächsverweigerung der US-Genitalabschneider-Standesorganisation "American Academy of Pediatrics" gegenüber der 1993 gegründeten Intersex Society of North America (ISNA) begannen Überlebende nach anderen Wegen zu suchen. Am Pädiater-Jahrestreffen am 26. Oktober 1996 in Chicago protestierten "Hermaphrodites with Attitude" vor den Eingängen gegen die uneinsichtigen Verstümmler, angekündigt durch eine Pressemitteilung mit dem Titel "Hermaphrodites target kiddie docs" – die erste Zwitter-Demo, gefolgt von zahllosen weiteren Protesten bis heute.
Seit 2004 erinnert der 26. Oktober als "Intersex Awareness
Day" an den Beginn des politischen Widerstandes gegen die
Genitalverstümmelungen in unseren Kinderklinken.
Berlin, 27.10.2011:
Deutscher Ethikrat diskutiert Stellungnahme zu
"Intersexualität"
Als 7. Tagungsordnungspunkt steht ein Tag nach dem 8. Intersex Awareness Day beim Deutschen Ethikrat an seiner morgigen Plenarsitzung "Diskussion der Stellungnahme zum Thema 'Intersexualität'" auf der Traktandenliste. Nach Rügen der UNO verfasst der Ethikrat dieses Jahr im Auftrag der Bundesregierung eine mittlerweile auf 2012 angekündigte Stellungnahme.
In einer ersten Einschätzung vom 15. Juni hatte der Deutsche Ethikrat festgehalten: "Ein zentraler Punkt ist das Recht der Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit. [...] Hier findet das Elternrecht seine Grenzen und auch dies spricht dafür, mit solchen Eingriffen so lange wie möglich zu warten, damit die betroffenen Intersexuellen selbst entscheiden können."
Überlebende setzen seit langem große Hoffnung in den Deutschen Ethikrat, das Unrecht der täglichen Verstümmelungen endlich ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.
Genf, 4. + 8.11.2011:
UN-Komitee gegen Folter tagt über "Gonadektomie (Kastration)"
und "feminisierende Operationen" in Kinderkliniken
Ab nächster Woche tagt in Genf das Committee against Torture und untersucht die 47. Session die Einhaltung des UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT). Am 4. November von 10-12 Uhr sowie am 8. November ab 15 Uhr steht Deutschland auf der Tagesordnung. Intersexuelle Menschen e.V. hat erneut einen Schattenbericht eingereicht mit Aufsehen erregenden Fallberichten. Namentlich werden der Reihe nach "Kastration" und "Hormonersatztherapie" sowie "feminisierende Operationen" in deutschen Kinderkliniken als Schutzpflichtverletzungen eingeklagt.
Die immer häufiger vorgenommenen "vermännlichenden Operationen" (z.B. "Hypospadiekorrekur") bleiben im Schattenbericht leider außen vor – obwohl Überlebende diese seit langem öffentlich als medizinisch nicht notwendige Genitalverstümmelungen mit verheerenden Folgen und endlosen "Nachkorrekturen" anklagen.
Tiger
Howard Devore, der sich 1984 in Baltimore als erster Überlebender
überhaupt öffentlich äußerte, berichtet von 16 "Korrekturen" als 40-Jähriger,
davon 10 allein in den ersten ebenso vielen Lebensjahren, und
fordert:
"Wenn sie mich doch nur im Sitzen hätten pinkeln lassen, dann hätten weder ich noch meine Familie all das ertragen müssen – die Kosten, die Schmerzen, die wiederholten Operationen, die Medikamente, die immer wiederkehrenden Transplantatabstoßungen und die Fisteln aus denen der Urin floss. Ich hätte gut damit leben können, aus dem Schaft meines Penis zu pinkeln, statt aus der Spitze, aber dafür nicht in der Empfindsamkeit beeinträchtigt zu sein."
Ernst Bilke, seit 2003 sich
öffentlich äußernder Überlebender von endlosen, medizinisch nicht notwendigen,
"Hypospadiekorrekturen" aus Baden-Württemberg, war seinerzeit zunächst beinah
"zum Mädchen korrigiert" worden – "weil es billiger sei". Auch er wäre lieber
unversehrt geblieben und klagt
an:
"Immer noch wird so früh wie möglich operiert. Die plastischen Chirurgen genießen ihr Experimentierfeld und sind stolz auf ihre Resultate. Die Argumente älterer Intersexueller werden ignoriert."
Berlin, 10.-13.11.2011:
Aktionen gegen Genitalabschneidertreffen in der
Charité
In Berlin versammeln sich in 2 Wochen vom 11.-13. November zur diesjährigen "6. gemeinsamen Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaften für Pädiatrische Endokrinologie (APE) und Pädiatrische Diabetologie (AGPD)" a.k.a. "JA-PED 2011" eine der drei hauptsächlich verantwortlichen Genitalabschneider-Standesorganisationen in der berüchtigten Serienverstümmlerklinik "Charité".
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org wird am 10. November um 19 Uhr im Haus der Demokratie und Menschenrechte öffentlich informieren.
Und während der "6. JA-PED 2011" vor dem Campus Virchow-Klinikum der
Charité gewaltfrei protestieren – gegen die GenitalabschneiderInnen sowie
gegen die Untätigkeit von Politik und Justiz bei diesem fortdauernden
Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von
kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen sowie
"Menschenrechte auch für Zwitter!".
Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie
Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.