Schwarzer Donnerstag: Polizist wieder am Bauzaun

Erstveröffentlicht: 
22.10.2011

Stuttgart - Sein Gesicht galt vielen Demonstranten als hässliches Symbol des Polizeieinsatzes vom 30. September 2010 im Schlossgarten. Tausendfach wurden jene Videosequenzen auf dem Internetportal Youtube angeklickt, die einen Polizeioberkommissar zeigen, wie er am „schwarzen Donnerstag“ auf Demonstranten einschlägt und immer wieder Pfefferspray in die Menschenmenge sprüht.

 

Der Beamte, der an diesem Tag als Zugführer eingesetzt war, wurde gleich mehrfach wegen Körperverletzung im Amt, Nötigung und Beleidigung angezeigt – mehr als ein Jahr später hat die Stuttgarter Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nun aber eingestellt, wie die Pressestaatsanwältin Claudia Krauth am Freitag auf Anfrage der StZ bestätigte.

 

Zudem wurde der Beamte, der nach dem 30. September und der Anzeigenflut gegen ihn zeitweise in den Innendienst versetzt worden war, zwischenzeitlich auch wieder am Bauzaun gesehen – an jenem Ort also, an dem es zur Auseinandersetzung gekommen war. Die Polizei bestätigt grundsätzlich, dass der Beamte der Böblinger Bereitschaftspolizei wieder im Schlossgarten seinen Dienst verrichtet und dort etwa mit Kollegen die Zentrale des Grundwassermanagements sichert. „Wir fordern über das Innenministerium Kräfte zur Unterstützung bei der Bereitschaftspolizei an und bekommen dann ganze Einheiten zugeteilt“, erklärt dazu Polizeisprecher Stefan Keilbach.

 

136 Verfahren gegen Polizisten


Dass unter diesen Einsatzkräften ausgerechnet jener Beamte ist, halten viele der Stuttgart-21-Gegner, denen der Polizist vor einem Jahr gegenüberstand, für einen Affront. Insgesamt 136 Verfahren gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt hat die Staatsanwaltschaft im Zuge der Ermittlungen nach dem „schwarzen Donnerstag“ eingeleitet – verurteilt wurde bisher lediglich ein Beamter. 38 Verfahren wurden von der Strafverfolgungsbehörde eingestellt, der Rest wird derzeit noch bearbeitet.

 

Die Betroffenen des Polizeieinsatzes halten das für einen Skandal und werfen der Staatsanwaltschaft vor, dass diese vor allem die Ermittlungsverfahren gegen die Projektgegner vorantreiben würde. Zum Vergleich: von 78 Verfahren gegen Demonstranten vom 30. September endeten zwischenzeitlich immerhin 23 in einem Strafbefehl.

 

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart weist diese Vorwürfe entschieden zurück und verweist auf ihre Sicht der Faktenlage. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens, die laut Pressestaatsanwältin Claudia Krauth noch nicht rechtskräftig ist, weil Beschwerde dagegen eingelegt wurde, sei unter anderem mit der jeweiligen Notwehrsituation des Beamten begründet worden.

 


 

Die begangenen Körperverletzungen und Nötigungen des Beschuldigten, also der Einsatz von Schlagstock und Pfefferspray gegen Demonstranten, seien demnach rechtmäßig gewesen, so Claudia Krauth. Dies habe die Bewertung der einzelnen Situationen ergeben. Insgesamt hatten vier Geschädigte Anzeige erstattet, dazu waren noch Anzeigen von Menschen gekommen, die sich auf die Bilder in Youtube berufen hatten. Strafbare Handlungen habe man in allen Fällen nicht feststellen können, so Claudia Krauth.

 

Eine der beschriebenen Notwehrsituation sehen die Staatsanwälte unter anderem im Falle eines Anzeigenerstatters gegeben, der mit einem Fotoapparat in der Hand hinter jenem fast zwei Meter großen Beamten stand und diesen dabei leicht touchierte. Dabei sei, so folgert die Staatsanwaltschaft, die polizeiliche Maßnahme – also die Räumung des Schlossgartens – gestört und der Einsatzleiter in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt worden. Der Einsatz des Schlagstocks sei daher verhältnismäßig gewesen.

 

Der beschuldigte Beamte selbst, der nach StZ-Recherchen mehrere Stunden im Polizeipräsidium Stuttgart vernommen wurde, soll seinen resoluten Auftritt im Schlossgarten dagegen unter anderem damit gerechtfertigt haben, dass er als Einheitsführer den Kollegen ein Beispiel geben wollte, welche Gangart seiner Meinung nach bei diesem Einsatz einzuschlagen sei.

 

Polizeipräsidium ignorierte Beschwerden

 

Er soll zudem bemängelt haben, dass aus seiner Sicht bei Einsätzen im Zusammenhang mit Stuttgart 21 die Polizei bis dato sehr zurückhaltend agiert habe. Offenbar war auch der Polizei selbst bei der Auswertung der Videos aufgefallen, dass fast ausschließlich der Zugführer agierte, während die knapp 30 Beamten, die ihm unterstellt waren, sich merklich zurückhielten.

 

Ein Verhalten, dass von Polizeiexperten als äußert ungewöhnlich eingeschätzt wird. Zudem bemerkten die Polizeibeamten bei der Auswertung der Filme offenbar auch, dass zumindest auf den Bildern nicht ersichtlich ist, warum der Beamte in Richtung der Personen schlägt. Ähnlich sahen das auch die Anzeigenerstatter, die zu Protokoll gaben, der Zugführer habe massiv und ohne Grund auf friedliche Demonstranten eingeschlagen.

 

Aufschlussreich ist auch, wie man im Stuttgarter Polizeipräsidium wenige Tage nach den Ereignissen im Schlossgarten auf den Auftritt des massigen Beamten reagierte. Briefe von Bürgern, die sich beim damaligen Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf persönlich darüber beschwerten, dass der Polizist zunächst weiterhin im Schlossgarten seinen Dienst versehen durfte, wurden mit dem Vermerk versehen, einfach nicht zu antworten.