Seit Freitag hält eine Gruppe junger Männer und Frauen ein Gebäude in Wien besetzt, das für ein Wohnhaus nebst Park abgerissen werden soll - Die Aktion steht in Zusammenhang mit den "Occupy" -Protesten weltweit
Wien - In einem Saal im Erdgeschoss des weitläufigen Gebäudes ist eine Ecke wohnlich ausgestaltet. Sofas und Sessel stehen hier, auf Teppichen, die die Kälte des Steinbodens mildern. Hinter einem Diwan, an der Wand, hängt ein rosa Transparent: "Her mit dem schönen Leben!" ist darauf gesprayt. Auf dem Diwan gerät ein grünes Deckenbündel in Bewegung: Fred (Namen geändert), einer der Besetzer, erwacht.
Montag, elf Uhr vormittags im "Epizentrum" in der Wiener Lindengasse 60. Bis zum Morgengrauen sind die jungen Frauen und Männer, die sich am Freitag Zutritt in das seit einem dreiviertel Jahr leere Gebäude verschafft haben, wachgeblieben: "Wir dachten, sie räumen uns schon in dieser Nacht" , erklärt Hugo, der seit gestern nicht geschlafen hat.
Zorn auf das Finanzsystem
Während sich Fred und Margit, Anita, Wolfgang und die anderen mit Müsli und Saft ans Frühstücken machen, erklärt Hugo, weshalb er sich in diesem baufälligen Objekt der Oktoberkälte aussetzt: "Weil Wien, wie jede andere Stadt, Bedarf an selbstverwalteten Sozialräumen hat."
In 952 Städten, darunter Madrid, Rom, London sowie - in aller Munde - New York ("Occupy Wallstreet" ) machen Platzbesetzer in diesen Tagen ihrem Zorn auf das Finanzsystem und das damit begründete Sparen Luft. Auch in Wien wurde am Samstag demonstriert. Und das Haus in Wien-Neubau wurde besetzt.
Weil man - so Hugo - in diesen Breitengraden "im Winter im Freien unmöglich reden, lernen, sich treffen kann" - so wie es das Ziel der "Epizentrum" -Leute sei: "Ohne, dass man gleich dafür bezahlen muss" . Das Schaffen von Gratisstrukturen sei unerlässlich, meint er: "In den nächsten Jahren geht die Umverteilung nach oben weiter, mehr Menschen werden sich weniger leisten können".
Spanische Protestbewegung solidarisiert sich
200 Meter entfernt, im Neubauer Magistrat, betrachtet Bezirksvorsteher Thomas Blimlinger (Grüne) die Besetzung aus einer anderen Perspektive. "Hier kommt ein neues Wohnhaus her - und dazu ein Park. Das konnte wir zuletzt erhandeln" . Bauherrin in der Lindengasse ist die Bauen und Wohnen GesmbH. (Buwog), rund um deren Privatisierung Skandalverdacht besteht. Angesichts der Politaktion übt sich Buwog-Sprecher Thomas Brey offiziell jedoch in Geduld: "Wir gehen davon aus, dass das eine spontane Aktion ist. Auf ein paar Tage auf oder ab kommt es nicht an."
Am Montag solidarisierten sich Vertreter der spanischen Protestbewegung "15 M." mit der Wiener Hausbesetzung: "Es geht darum auf die Perversion aufmerksam zu machen, dass ein Haus bewusst leerstehend gehalten wird, um den Immobilienpreis in die Höhe zu treiben" , sagte Salvador, Exil-Spanier in Wien. Salvador war einer der ersten Empörten ("Los Indignados" ), die in Madrid protestierten. (Irene Brickner, Julia Herrnböck, DER STANDARD Printausgabe, 18.10.2011)