Steuergelder für den Überwachungsstaat - Projekt „Indect"

Erstveröffentlicht: 
13.10.2011

Für Deutschlands Datenschützer ein Alptraum: Flächendeckende Kameraüberwachung, fliegende Aufklärungsdrohnen in den Innenstädten. Wer sich verdächtig macht, wird über Internet und Datenbanken identifiziert und landet im Räderwerk der Strafverfolger. Mit dem EU-Projekt „Indect“ soll dieser Alptraum Wirklichkeit werden. Trotz massiver Kritik fördert die Bundesregierung das Projekt mit Personal und Steuergeldern.

 

rinnern Sie sich noch an George Orwells "Big Brother is watching you"? An die erschreckende Vision von einem Staat, der seine Bürger rund um die Uhr überwacht? Science Fiction, dachten wir. Doch die Realität hat die Fiktion längst eingeholt. Nicht nur, dass der Staat unsere Computer über "Bundestrojaner" ausspähen kann! Nein, - still, leise und heimlich arbeiten Forscher in Europa zurzeit an einem noch viel größeren Überwachungs- Projekt. Sein Name: Indect. Das Ziel: Die Entwicklung einer multimedialen Überwachungsplattform. Lars Otto und Chris Humbs.

Die totale Überwachung: mit Nachdruck wird daran gearbeitet.

Nicht nur mit fest installierten Kameras will man die Sicherheit erhöhen. Auch Drohnen sollen die Bevölkerung ins Visier nehmen. Was hier wie eine technische Spielerei aussieht, hat es in sich.

Denn: die von Menschen nicht mehr überwachbare Datenflut soll bald einem zentralen Computer überlassen werden.

Dieser soll selbstständig erkennen, ob sich jemand „ungewöhnlich", also wie ein Verbrecher oder gar Terrorist verhält. Zeitgleich wird der Computer alle Informationen über die in den Fokus Geratenen sammeln.

Mit Hilfe des Forschungsprojekts INDECT soll aus dieser utopischen Vision schon bald Wirklichkeit werden. So will es die Europäische Kommission. In dem millionenschweren Vorhaben stecken auch deutsche Steuergelder.

EU-Parlamentarier schlagen inzwischen Alarm - warnen vor den Folgen dieser totalen Überwachung.

Alexander Alvaro (FDP), EU-Parlamentarier
„Wenn öffentliche Kameras im öffentlichen Raum zusammengeschaltet werden, gleichzeitig Internetseiten durchforstet werden, gleichzeitig möglicherweise Drohnen über den Köpfen der Menschen kreisen, da sind Willkür Tür und Tor geöffnet. INDECT macht mir deswegen Sorgen, weil es ein enorm hohes Potential einer Grundrechtsgefährdung hat, nämlich die Privatsphäre."

Auf die Grundrechte der Bürger weisen die Projektmanager in ihrem Konzeptpapier nicht hin. Stattdessen auf den angeblichen Nutzen für die Überwachungsbehörden.

Schon 2012 - zur Fußballeuropameisterschaft in der Ukraine und Polen - soll die Technik einsatzbereit sein, um jeden Fan - egal woher, jeden potentiellen Hooligan, jederzeit scannen zu können. Die ersten Feldversuche laufen bereits.

Auf die Belange des Datenschutzes wurde dabei wenig Rücksicht genommen. Die Datenschutzbeauftragten der beteiligten EU-Mitgliedstaaten wurden in das Überwachungs-Projekt nicht eingeweiht.

Peter Schaar, Bundesdatenschutzbeauftragter
„Ich bin über die Details der Forschungsprojekte nicht informiert, unsere Versuche dort genauere Informationen zu erlangen, sind leider nicht sonderlich erfolgreich gewesen."

Genau so bedeckt hält sich die Bundesregierung, die im zuständigen Ausschuss das Forschungsvorhaben mit auf den Weg gebracht hat. Von Transparenz hält man nicht viel.

KONTRASTE konnte nun aber mit den Chefs der Firma INNOTEC DATA sprechen. Das kleine niedersächsische Unternehmen aus Bad Zwischenahn ist an diesem internationalen Projekt beteiligt. Hier stellt man die High-Tech-Drohnen her und Software für die Videoerkennung.

Nils Johanning, Geschäftsleitung InnoTec DATA
"Eines der Ziele im INDECT Projekts ist beispielsweise Videoüberwachungssysteme, die bereits existieren mit mehr Intelligenz auszustatten, so dass beispielsweise, wenn eine Person um ein Auto herumschleicht, sich verdächtig gegenüber dem Auto verhält, dass dann dieses System dieses erkennt als ungewöhnliches Verhaltensmuster."

Konkret: Das System erkennt hier einen potentiellen Autodieb. Es dokumentiert die Szene und erfasst das Gesicht. Dieses wird dann mit Fotos im Internet oder polizeilichen Datenbanken verglichen. Hat man die Person identifiziert, werden im world wide web, in sozialen Netzwerken wie facebook, weitere Daten über ihn gesammelt.

Kommen Auffälligkeiten hinzu, wie hier, die Zulassung des Autos auf ein Frau, dann schlägt der Computer unter Umständen Alarm, eine Drohne zur Verfolgung wird aktiviert, das Handy überwacht, der Zugriff eingeleitet. Alles gut.

Doch was ist, wenn sich der Computer getäuscht hat, der Mann lediglich den Schlüssel sucht und so nicht sofort in das Auto seiner Freundin einsteigt?

Es stellt sich auch die Frage, ob überhaupt jemals solche Systeme zuverlässig funktionieren können.

Nein, sagt der Kriminologe und Rechtsphilosoph Professor Peter-Alexis Albrecht. Er hält INDECT für gefährlich.

Prof. Peter-Alexis Albrecht, Rechtswissenschaftler, Goethe-Universität Frankfurt/M.
„Diese Systeme gehen in den Alltag hinein, sie werden denjenigen treffen, diese Überwachungssysteme, der seinen Kaffee kauft, der ein Brötchen kauft und der einen Schlüssel fallen lässt. Das sind wir alle, wir alle geraten durch diesen Sicherheitswahn in die Situation, verdächtig zu sein. Das Menschenbild des Tatverdachtes ist kein Menschenbild der Demokratie."

Dennoch sind auch staatliche Institutionen an diesem Projekt beteiligt. In Deutschland: die Uni Wuppertal. Dreharbeiten? Unerwünscht! Und sogar deutsche Sicherheitsbehörden liebäugeln mit diesen Überwachungstechniken.

Nils Johanning, Geschäftsleitung InnoTec DATA
„Das BKA betreut, ist weiter beratend in diesem Projekt tätig, das heißt, sie stellen vor allem ihre Erfahrung aus der Praxis zur Verfügung."

Auch die INDECT-Powerpoint-Präsentation nennt das Bundeskriminalamt als Beteiligten. Uns gegenüber streitet das BKA jegliche Zusammenarbeit ab. Für ein Interview steht man KONTRASTE nicht zur Verfügung.

Die Projektbeteiligten wissen, dass diese Form der Überwachung hier in Deutschland eigentlich verboten ist.

Peter Schaar, Bundesdatenschutzbeauftragter
„Bei uns wäre das sicherlich illegal, eine solche Totalüberwachung, und wir haben auch Mechanismen, die eine solche Überwachung begrenzen, angefangen durch Gesetze."

Warum man in Deutschland trotzdem am Projekt festhält, hat wirtschaftliche Gründe. Und diese Gründe haben offensichtlich Vorrang - auch vor dem Datenschutz.

Marco Malacarne verwaltet das Forschungsvorhaben in der EU-Kommission.

Marco Malacarne, Referat für Sicherheitsforschung, EU-Kommission
"Man wundert sich vielleicht, warum wir das tun und ob das alles überhaupt Sinn macht. Aber vielleicht muss man sich bewusst machen, dass der Einsatz von diesen Überwachungskameras ein großes Geschäft ist, ein Multimilliarden-Geschäft - weltweit. Somit ist ein Projekt wie INDECT sehr wohl sinnvoll."

Ein Projekt zur Wirtschaftsförderung also. Gerade die deutschen Entwickler können gute Geschäfte erwarten.

Denn: Unter Rainer Brüderle definierte das Wirtschaftsministerium in einem Grundsatzpapier die Ausfuhr solcher Technik sogar als Kernziel deutscher Exportpolitik. Philipp Rösler, der aktuelle Minister, sieht keinen Anlass, daran irgendetwas zu ändern.

Im Dokument heißt es, man könne mit solcher Technologie Made in Germany ein, Zitat:
„spezifisches deutsches Kompetenzprofil" entwickeln und „nachhaltigen internationalen Markterfolg" erzielen. „Dies gilt in besonderem Maße für die als Zielmärkte interessanten Schwellenländer."

Die Ausfuhr von Überwachungstechniken, die die Grundrechte der Bürger massiv verletzen, unterliegt in Deutschland bis heute keinerlei Beschränkungen.

Peter Schaar, Bundesdatenschutzbeauftragter
„Das zentrale Problem ist sicherlich, wie kann ich verhindern, dass jetzt solche Technologien zu Exportschlagern werden, gerade in jenen Weltregionen, in denen Despoten ihre Bevölkerung unterdrücken und diese Überwachungstechnologien als willkommene Hilfestellung bei diesem schändlichen Vorhaben verwenden."

Inzwischen hat sich das Bundeskriminialamt besonnen und auf unsere Recherchen reagiert. In einer Pressemitteilung heisst es: Man habe doch einen Beitrag zu INDECT geleistet. Das BKA habe "auf Bitten der Projektleitung" ... "das BKA-eigene Projekt 'Foto-Fahndung' vorgestellt." Darüber hinaus habe es keine Zusammenarbeit mit dem Projekt IINDEC gegeben. Beruhigend ist das nicht.