Neonazis befinden sich auf dem Rückzug

Erstveröffentlicht: 
10.10.2011

Offenburg: Trotz abgesagter Demonstration bleiben offene Fragen im Konflikt von Rechts- und Liksaußen in Südbaden. Von Heinz Siebold

 

Aufatmen in Offenburg: Es wird keinen erneuten Versuch von Neonazis geben, durch die Kreisstadt der Ortenau zu demonstrieren, wie es bereits vor einem Jahr der Fall war. Die Anmelder aus der Gruppierung "Freie Kräfte Ortenau" haben ihren Antrag bei der Ordnungsbehörde zurückgezogen. Im Oktober 2010 hatte ein breites Bündnis gegen die Neonazis Front gemacht, der Demonstrationsversuch wurde im Ansatz blockiert.


Der Rückzug der Neonazis kommt nicht von ungefähr und er wird nicht zur Beruhigung der Szenerie in der Region beitragen. Denn der ursprüngliche Anmelder der Demonstration war ein 29 Jahre alter Versicherungsmarkler, der vor kurzen in Riegel (Kreis Emmendingen) einen 21-Jährigen Antifaschisten mit dem Auto umgefahren hat. Noch ist unklar, ob aus Versehen oder mit Absicht. Die Vorkommnisse auf einem Pendlerparkplatz nahe der Autobahn 5 sind nach wie vor nicht aufgeklärt. Klar ist lediglich, dass der angefahrene Mann schwer verlezt und vernehmungsunfähig in der  Uniklinik Freiburg liegt. Die Kriminalpolizei ermittelt nach Auskunft ihrer Leiterin Evely Tampe "in alle Richtungen", sie wisse "um die Brisanz" der Angelegenheit. Allerdings hat sich die Polizei überraschend schnell auf eine Version der Geschehnisse festgelegt, die umstritten ist. Der im Auto wartende Neonazi sei "offensichtlich von einer größeren Gruppierung Vermummter angegriffen worden", hieß es in der ersten Pressemitteilung der Polizei am Sonntag, und am Dienstag wurden "unabhängige Zeugenangaben" dafür ins Feld geführt.

 

Nach Auskunft der Kripoleiterin vom gleichen Tag hatten die angeblichen Angreifen aber keine Aussagen gemacht, vernommen wurde hingegen der Autofahrer, dessen Führerschein und Fahrzeug beschlagnahmt sind. Was genau der verlezte Antifaschist und seine Freunde oder Mitstreiter taten, ist unklar. Entgegen zunächst verbreiteter Meldungen war es wohl keine Aktion einer der bekannten linken Organisationen in der Region. Mitteilungen dazu verschickt ein Bündnis "Enough is enough", das Unterstützungsgruppen in Stuttgart, Tübingen, Berlin, Leonberg und Bühl hat.

 

Als Einzelpersonen zeichnen Gewerkschaftler und ein Stadtrat aus Freiburg. Der informationsdienst  "linksunten.indymedia.org" hatte am Sonntag verbreitet, dass Antifaschisten einen "Schleusungspunkt" der Neonazis beobachtet hätten. Die Polizei bestätigt, dass irgendwo eine Zusammenkunft von Neonazis auf einem Privaten Gelände stattfand. Auswärtige Gäste mussten wohl in Riegel eine "Gesichtskontrolle" passieren, bevor sie zur Party weiterfahren durften.

 

Nach der Version der Polizei habe die Vermummte Beobachtergruppe den Schleuser angegriffen, worauf dieser in Panik flüchtete und dabei einen Angreifer mit dem Auto erfasste. Die in "Indymedia" veröffentlichte Darstellung legt indes nahe, dass der Offenburger Neonazi, der bei der Landtagswahl für die NPD kandidierte, vorsätzlich auf die Späher zuraste. Die Kampagne "Enough is enough" spricht von einem "faschistischen Mordversuch". Tatsächlich werde diesem Vorwurf auch nachgegangen, bestätigt die Emmendinger Kripochefin. Doch die "unabhängigen Zeugen" hätten ausgesagt, dass eine "bedrohliche Situation" entstanden sei, die den Anschein eines Angriffes vermittelte. Dann sähe die rechtliche Lage anders aus und der Angegriffene würde sich für eine Notwehrsituation reklamieren. Es könnte aber am Ende alles wieder ganz anders aussehen, sagt Evelyn Tampe, die Ermittlungen gestalteten sich schwierig, weil die Antifaschisten erst in ihren Heimatorten vernommen werden müssten.

 

Die auf "Indymedia" ins Netz gestellten Dialoge aus Facebook suggerieren, dass der Rechstextreme geradezu darauf gewartet habe, einen Linken Angreifer "endlich mal die Klinge fressen" zu lassen". Zorn und Rachegelüste in einem Teil der Linksradikalen Szene entluden sich auf einer "spontanen" und nicht angemeldeten Demonstration am Mittwochabend in Offenburg. Von den 180 Demonstranten warfen einige Feuerwerkskörper, die einen Polizisten verlezten. Die Polizei löste die Demo auf, sprach für die Hälfte der Teilnehmer Platzverweise aus und nahm einige Personen kurzfristig in Gewahrsam. Der erst kurzlich in Offenburg zum Leiter des Polizeireviers ernannte Polizeioberrat Peter Dieterle war einer der ersten, die nach dem Ruckzug der Demonstrationsanmeldung der Neonazis aufatmete. Der "Druck im Kessel" könnte sich nun ohne offen Konfrontation auf der Straße verflüchtigen.