HAMM - Am 01. Oktober 2011 marschierte die neonazistische Kameradschaft Hamm mit Anhang durch den Stadtteil Heessen, um ihre rassistische Hetze und den Mythos vom „Volkstod“ zu verbreiten. Um dem entgegenzutreten rief das antifaschistische Jugendbündnis „Haekelclub 590“ zu einer Demonstration unter dem Motto: „Gemeinsam gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung – Für eine freie Welt ohne Grenzen!“ auf. Diesem folgten über 600 Menschen aus den verschiedensten gesellschaftlichen und politischen Kreisen. Die Demo verlief kraftvoll und friedlich.
Anfangs noch begleitet von nur wenigen Streifenpolizisten machte sich die Demo vom Bahnhof auf in Richtung Innenstadt. Erst als am Westentor fünf Nazis die Demospitze beschimpfte und sich darauf in den Vorraum einer nahen Bank flüchten mussten, wurde eilig die Münsteraner Hundertschaft aus Heessen abgezogen. Wie gewohnt waren die Bereitschaftspolizist_innen wesentlich gereizter. Trotzdem ließ sich die Demo von Provokationen durch die Polizei nicht beeindrucken und reagierte besonnen.
Als diese später versuchte Einzelne aus dem Antifa Block herauszuziehen,
wurden diese vom Rest der Demo kurzerhand umrundet und abgeschirmt.
Auch das Verhalten von Demo-Orga und Order_innen half die Situation
wieder zu beruhigen. Auch bei anderen Gelegenheiten half das
solidarische Miteinander der Demonstrierenden jegliche
Eskalationsversuche der Polizei ins Leere laufen zu lassen. Die
Demonstration, wie auch die veranstaltenden Gruppen, bewiesen
eindrucksvoll, dass sie sich nicht gegen einander ausspielen lassen.
Dies ist für Hamm ein vollkommenes Novum. Es konnte mit der Demonstration nicht nur ein deutliches Zeichen gegen die ebenfalls am Samstag stattgefundene Neonazi-Demonstration gesetzt werden, sondern auch gezeigt werden, dass es in Hamm möglich ist in einem breiten Bündnis solidarisch mit einander zu arbeiten. Der jahrelange Tenor aus Wegschauen und Anti-Extremismusquatsch konnte durchbrochen werden.
Zwei Stunden später begann die Demonstration der neonazistischen „Kameradschaft Hamm“ in Hamm-Heessen. Hier marschierten, laut Polizei, 287 Neonazis aus ganz Deutschland unter dem Motto „Volkstod stoppen! Wir lassen uns nicht BRDigen!“. In diesem Jahr schlug der Versuch den Aufmarsch in der Innenstadt oder dem Westen anzumelden fehl. So latschten die Nazis durch Hamm-Heessen. Wie schon im Jahr zuvor der Hammer Westen war auch Heessen von über 700 Bereitschaftspolizist_innen abgeriegelt worden. Menschen, die nicht im Bereich des Aufmarsches wohnten und in größeren Gruppen auftraten wurden mit Platzverweisen verwiesen oder kamen gar nicht erst an die Route heran. Währenddessen durften die Nazis in ihren Reden, im Beisein der Polizei, Ekelhaftigkeiten wie: “die Verantwortlichen und Profiteure der herrschenden Zustände, [sind] kompromißlos zu beseitigen. Straßenlaternen für diese überschaubare Clique aus Politik, Wirtschaft und oberen Zehntausend gibt es schließlich genug.“ in Mikrofon brüllen.
Anders als im letzten Jahr ließen sich viele Anwohner_innen nicht von Polizei und Nazis einschüchtern. Mehrfach gelang es Gruppen von jungen und alten Anwohner_innen und anderen Gegendemonstrant_innen, die es trotz der Abriegelung nach Heessen geschafft hatten, an die Nazis heran zu kommen und konnten so immer wieder den Aufmarsch stören. Viele Anwohner_innen haben die Bündnisplakate in Fenster gehangen oder hielten sie aus den Fenstern, während der Aufmarsch an ihnen vorbei zog.
Ausblick/Fazit
Es scheint als versuchten die Hammer Nazis, neben Terminen wie dem Antikriegstag in Dortmund und Stolberg, Hamm als festen jährlichen Termin zu etablieren. So kündigen sie schon jetzt eine weitere Demonstration im nächsten Jahr an.
Allerdings hat sich die Situation in Hamm verändert: In der Vergangenheit wurden die Aufmärsche in der lokalen Presse so gut wie ignoriert und Gegenproteste als „extremistisch“ diffamiert. Nun scheint es in Hamm eine Wende in der Wahrnehmung der Stadtverwaltung, sowie in den Parteien und Verbänden zu geben. Die Lokalpresse berichtet, nach jahrelangem kleinreden der Neonazi-Aktivitäten in Hamm, über eine rechte Szene. Und es ist erstmalig möglich eigene Inhalte auch auf diesem Weg einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Auch wenn hier diverse Angriffe auf lokale Parteibüros zu einem Wechsel der öffentlichen Wahrnehmung beitragen haben, ist der Stimmungswechsel in Hamm positiv zu bewerten.
Nicht zu Letzt trägt das antifaschistische Jugendbündnis „Haekelclub 590“, das sich 2010 im Zuge des Nazi-Aufmarsches im Hammer Westen gründete, zu dieser Stimmungsänderung bei. Durch das Bündnis sollen antifaschistische Initiativen und Aktivitäten in Hamm gebündelt werden, um eigene Inhalte einem größerem Publikum vermitteln zu können und effektiver auf neonazistische Aktivitäten zu reagieren und hin zu weisen.
Wir freuen uns, dass es dem „Haekelclub 590“ in diesem Jahr gelungen ist, sich mit der Demonstration und der guten Presse- und Bündnisarbeit einen Namen zu machen. Dies wird uns in den nächsten Jahren helfen den Widerstand und Protest gegen die neonazistischen Umtriebe und noch kommenden Demonstrationen auszuweiten.
Betrachtet man hingegen die eifrige Mobilisierungsarbeit der Nazis, so ist diese weitgehend erfolglos geblieben. Die Polizei zählte 287 ( 280 im Vorjahr) Teilnehmende. Was sie geboten bekamen? Eine Latschdemo abgesichert von massiven Polizeikräften durch ein abgesperrtes Viertel.
Die Nazis schwadronieren indes von einem erfolgreichen „Marsch der 300“ und vergleichen sich pathostriefend mit den Spartiaten in der antiken Schlacht bei den Thermopylen, ähnlich wie schon Göring 1943 bei der Schlacht in Stalingrad auf diesen Untergangs-Mythos zurückgriff. Wie immer, wenn es um historische Begebenheiten geht mit leichten Schwächen für´s Detail:
Ob die Spartiaten bei der Schlacht auch von über 700 “Bereitschaftspolizist_innen“ beschützt werden mussten?
Richtigstellung
Wir möchten an dieser Stelle deutlich Wolfgang Müller widersprechen. In einem Artikel des lokalen Westfälischen Anzeigers wird dieser wie folgt zitiert:
„Unsere Intention, ein friedliches Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen, ist voll aufgegangen“, sagte Müller. Hilfreich sei es gewesen, dass der „ Runde Tisch gegen Extremismus und Gewalt“ alle Beteiligten unter einen Hut bekommen habe. In der Tat hatten in Hamm erstmals alle Gegner der Rechtsextremen gemeinsam zum Protest aufgerufen.“
Wir möchten klarstellen, dass nicht der „Runde Tisch gegen Extremismus und Gewalt“ bestehend u.a. aus CDU-Stadtverwaltung und Polizei die Akteure zusammengebracht hat.
Das solidarische Miteinander ist den jungen Menschen vom „Haekelclub
590“ zu verdanken, und wir sehen nicht ein, dass Stadt und Verwaltung,
nach über acht Jahren Ignoranz, diesen Tag für sich proklamieren.
An dieser Stelle noch mal herzlichen Dank an alle Unterstützer_innen und Helfer_innen, sowie solidarische Grüße an das gesamte Bündnis. Wir sind auf einem guten Weg. Lasst uns dran bleiben!