Die USA haben der Türkei intensiv im Kampf gegen kurdische Rebellen geholfen: Luftbilder von Drohnen haben Hunderte Militärschläge ermöglicht, wie von WikiLeaks veröffentlichte US-Depeschen zeigen. Sie wecken auch den Verdacht, dass deutsche Informationen für die Bombardements genutzt wurden. Von Markus Becker und Otfried Nassauer
Der Sturm im Nordirak brach am 16. Dezember 2007 los. Türkische F-16-Kampfjets griffen 33 Stellungen und Trainingscamps der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK an. Elf Tage dauerten die Luftangriffe und Artillerie-Bombardements an. Die Operation war aus Sicht der Amerikaner und Türken ein Erfolg, denn sie war das erste Resultat einer intensiven Zusammenarbeit im Kampf gegen die PKK: US-Drohnen hatten die Ziele ausfindig gemacht und die türkische Offensive so erst ermöglicht.
US-Botschaftsdepeschen, veröffentlicht von der Enthüllungsplattform WikiLeaks, geben detailliert Auskunft über die Zusammenarbeit zwischen Washington und Ankara. Im November 2007 hatten der damalige US-Präsident George W. Bush und der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan demnach die Gründung einer "Combined Intelligence Fusion Cell" (CIFC) vereinbart. In der Dienststelle in Ankara tauschen Offiziere beider Länder seitdem rund um die Uhr Aufklärungsergebnisse und Geheimdienstinformationen aus und bereiten sie so auf, dass sie in die Zielplanung des türkischen Militärs einfließen können.
Nur knapp einen Monat nach ihrer Einrichtung spielte die CIFC bereits eine Schlüsselrolle bei der türkischen Offensive: "Bei allen Angriffen wurden Ziele aus Informationen abgeleitet, die die CIFC gesammelt hat", kabelte die US-Botschaft in Ankara am 4. Januar 2008 nach Washington.
Die Informationen stammen laut einer Depesche vom 7. Februar 2008 von US-Aufklärungsflugzeugen der Typen U-2, Lockheed EP-3 oder Boeing RC-135 sowie von Drohnen der Typen "Global Hawk" und "Predator". Als besonders nützlich gelten die "Predator"-Drohnen: Sie liefern ihre Daten in Echtzeit und erlauben damit schnelle und präzise Angriffe - sogar gegen bewegliche Ziele. Da sie im benachbarten Irak starten und lange in der Luft bleiben können, ermöglichen sie die nahezu lückenlose Überwachung der irakisch-türkischen Grenzregion.
Wurden BND-Informationen für Bombardements genutzt?
Aufhorchen lässt aber vor allem ein Nebensatz in der Depesche. Demnach haben die Amerikaner nicht nur ihre eigenen Daten mit den Türken geteilt - sondern auch Erkenntnisse "von Geheimdiensten, die das Europäische Kommando unterstützen".
Gemeint ist damit Eucom, das regionale Oberkommando der US-Streitkräfte in Stuttgart-Vaihingen. Zu den Diensten, die mit ihm zusammenarbeiten, gehört auch der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND). Im Eucom arbeitet nach Informationen des Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom eine größere Zahl von Leuten des US-Militärgeheimdienstes DIA. "Mit der DIA kooperiert der BND deutlich lieber als mit der CIA," sagt Schmidt-Eenboom. "Das gegenseitige Geben und Nehmen funktioniert einfach besser."
Ob Informationen des BND dazu benutzt wurden, PKK-Ziele zu orten und zu bombardieren, ist derzeit unklar. Doch die politische Brisanz eines solchen Vorgangs wäre enorm - ganz gleich, ob der BND eingeweiht war oder nicht.
Die türkische Offensive im Dezember 2007 war zudem erst der Anfang. Ein Jahr später kabelte US-Botschafter James Jeffrey aus Ankara nach Washington, die Lieferung von "Echtzeit-Informationen" an die Türken habe inzwischen zu mehr als 200 Militärschlägen auf Kurdenstellungen im Nordirak geführt. Die PKK stehe "am Rand des Zusammenbruchs", habe der damalige türkische Generalstabschef Ilker Basbug geschwärmt.
Angst vor dem Abzug der Amerikaner
Doch da hatte sich Basbug zu früh gefreut. Zusammengebrochen ist die PKK bis heute keineswegs. Stattdessen wächst die Angst des türkischen Militärs vor dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak. Bis zum 31. Dezember will Washington seine Soldaten aus dem Land abziehen. Zwar soll es auch danach eine US-Militärpräsenz im Irak geben - ob aber auch die Drohnen dazugehören, ist offen.
Im Februar 2010 kabelte Botschafter Jeffrey eine Klage von Generalstabschef Basbug nach Washington: "Es wird schwierig werden, die Bedrohung auszuschalten, wenn die US-Truppen abgezogen sind", habe Basbug gesagt. Die Türkei müsse "das Problem beseitigen", bevor alle US-Truppen den Irak verlassen haben.
Glaubt man dem Inhalt der Botschaftsdepeschen, halten die Türken die Luftaufklärung für entscheidend im Kampf gegen die PKK. "Die Türken haben erkannt, dass die US-Drohnen für einen Großteil des bisherigen militärischen Erfolgs gegen die PKK verantwortlich waren", heißt es in einer US-Depesche vom 28. Mai 2009.
Auf höchster Ebene baten die Türken um mehr Hilfe: In einem Botschaftsbericht vom 26. Januar 2010 heißt es, Premierminister Recep Tayyip Erdogan habe US-Präsident Barack Obama gebeten, das Grenzgebiet zum Irak rund um die Uhr von "Predator"-Drohnen überwachen zu lassen. Botschafter Jeffrey merkte dazu an, dass die Drohnen bereits zwölf Stunden pro Tag aktiv seien, "mit einer gelegentlichen Ausweitung auf 24 Stunden, um spezifische türkische Operationen zu unterstützen". Eine permanente Überwachung sei für einige Wochen machbar. Man versuche derzeit gemeinsam mit dem türkischen Generalstab zu klären, wann das "am nützlichsten" sei - und welche militärischen Einheiten die Türkei dann aufbieten könnte.
Amerikaner lehnten Wunsch nach aktiverer Rolle ab
Doch das reichte den Türken nicht. Mehrfach baten sie die USA, direkt in den Konflikt einzugreifen: Bewaffnete Drohnen sollten kurdische Stellungen bombardieren - oder zumindest per Laser PKK-Ziele markieren, damit die türkischen Kampfjets Präzisionsbomben einsetzen können.
Doch Washington weigerte sich. Inzwischen müssten Generalstabschef Basbug und Verteidigungsminister Mehmet Gönül "verstanden haben, dass die USA keine Ziele für türkische Bombenangriffe per Laser markieren oder ihre Drohnen selbst bewaffnen werden", heißt es in einer Depesche vom 28. Mai 2009.
Auch mit einem anderen Wunsch blitzte die Türkei ab. Wiederholt bat Ankara um die Lieferung unbewaffneter "Predator"-Späher oder gar der Angriffsdrohne MQ-9 "Reaper". Doch im Januar lehnte die US-Regierung den Verkauf von bewaffneten Drohnen und Präzisionsmunition an die Türkei ab: Der Widerstand der Parlamentarier im Kongress war zu groß. Ob damit auch ein Deal mit unbewaffneten "Predator"-Drohnen vom Tisch ist, bleibt unklar.
Konflikt mit Israel belastet türkische Aussichten
Die zögerliche Haltung Washingtons hat mehrere Gründe. Der Enthusiasmus, in einen weiteren Regionalkonflikt verwickelt zu werden, hält sich in engen Grenzen. Hinzu kommt die Gefahr von Terroranschlägen durch die PKK. In einer Botschaftsdepesche vom 12. Februar 2010 ist von einer Warnung von PKK-Chef Murat Karayilan die Rede: Sollten die Amerikaner der Türkei bewaffnete Drohnen verkaufen, wären sie "direkt in diesen Krieg verwickelt". Die PKK werde die USA dann "zur Verantwortung ziehen".
Eine Rolle spielt offenbar auch die dramatische Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Türkei und Israel . Der Streit entzündete sich auch an Drohnen-Geschäften. Ankara hatte 2004 zehn "Heron"-Aufklärungsdrohnen in Israel bestellt, doch es gab technische Probleme. Zwischenzeitlich hatten die Türken israelische "Herons" geleast, doch auch hier gab es Ärger: Jerusalem beendete die Zusammenarbeit, sehr zum Missvergnügen der Türken. Vergangene Woche eskalierte der Zwist erneut: Premier Erdogan beschuldigte Jerusalem, einige der zehn gekauften "Herons", die zur Wartung in Israel seien, entgegen der Vereinbarungen nicht wieder herauszugeben.
Die Konfrontation mit Israel könnte auch nun den letzten türkischen Versuch scheitern lassen, sich die wertvollen Drohnen-Dienste zu sichern. Wie die "Washington Post" vergangene Woche berichtete, hat Ankara in den USA darum gebeten, ein Drohnen-Kontingent in der Türkei zu stationieren. Zugleich berichtete die Zeitung über wachsenden Widerstand von US-Abgeordneten gegen Militärhilfe für die Türkei - wegen der Spannungen mit Israel. Über eine Antwort Washingtons auf die türkische Drohnen-Anfrage ist bisher nichts bekannt.