Schnäppchenparadies Ost

Erstveröffentlicht: 
03.08.2011

Großinvestoren kaufen in den neuen Bundesländern im großen Stil Ackerland auf. >Alteigentümer< ­bekommen es durch neues Gesetz zu einem Drittel des Verkehrswertes

 

Nach 1990 avancierten die ostdeutschen Agrarbetriebe in der erweiterten Bundesrepublik zum neuen Feindbild. Offenbar störte vor allem, dass sie, anders als der Rest der Wirtschaft auf früherem DDR-Territorium, überwiegend noch von Ostdeutschen geleitet wurden. Die wurden im Zuge der - meist von den kreditgebenden Banken verordneten - Umwandlung in Kapitalgesellschaften nach und nach auch noch zu Mehrheitseignern. Was im Kapitalismus der übliche Gang der Dinge ist, wurde hier von Medien und Politik mit Verve angeprangert- als böse Bereicherung durch >rote Junker<.

Tatsächlich sind die landwirtschaftlichen Strukturen im Osten infolge zahlreicher Insolvenzen ehemaliger Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG) tendenziell noch großflächiger geworden. Genau das macht sie heute attraktiv für >Investoren< und Anleger. Und so gehören immer mehr Flächen heute eben nicht mehr den >LPG-Kadern<, sondern nationalen und internationalen Aktiengesellschaften, Unternehmensgruppen, aber auch Einzelpersonen aus Ost und West sowie aus Nachbarländern, vor allem aus den Niederlanden.

Galten Agrarflächen vor wenigen Jahren noch als eher uncoole, weil kaum Rendite abwerfende Anlageform, sind sie spätestens seit der Finanzkrise 2009 ein begehrtes >Asset<. Das Wertsteigerungspotenzial ist enorm: wegen der zunehmenden Verknappung des Bodens als Produktionsmittel infolge des Agrospritbooms, durch den der Lebensmittelerzeugung bei gleichzeitig steigendem Nahrungsbedarf der wachsenden Weltbevölkerung immer mehr Fläche entzogen wird, und nicht zuletzt wegen des zunehmenden Fleischkonsums in Schwellenländern.

Es kommt hinzu, dass die Preise für Agrarflächen in Ostdeutschland trotz einer Verdopplung in den letzten drei Jahren und einer Verdreifachung gegenüber 2004 noch weit unter dem liegen, was in den alten Bundesländern oder in westeuropäischen Nachbarstaaten auf den Tisch gelegt werden muss. Waren es dort durchschnittlich rund 30.000 Euro pro Hektar, kostete die gleiche Fläche im Osten 2010 >nur< 10.000 Euro. Für Leute, die überschüssiges Vermögen mit solider Verzinsung unterbringen wollen, also immer noch ein Schnäppchen. Nur mit klassischer bäuerlicher Tätigkeit wird es immer schwieriger, Umsätze zu erwirtschaften, mit denen Kapitaldienste für den Flächenerwerb und steigende Pachten zu tragen sind.

 

 

>Biolandwirt< an der Börse

 

Einer, der auf die Gier von Anlegern auf sichere Rendite spekuliert, ist Siegfried Hofreiter. Der Chef der KTG Agrar AG ließ sich 2007 als >erster Biobauer an der Börse< feiern. In den letzten Wochen sandte die Aktiengesellschaft eine Erfolgsmeldung nach der anderen aus. >KTG Agrar knackt die Marke von 35.000 Hektar Ackerland<, hieß es etwa Mitte Juni. Der größte Teil der Äcker - etwa 29.000 Hektar - liegt in Ostdeutschland, der Rest in Litauen. Anfang Juli meldete die Hamburger Firma, der Gewinn vor Steuern habe sich 2010 auf 13,4 Millionen Euro gegenüber 9,2 Millionen im Vorjahr erhöht - eine Steigerung um 46 Prozent. An frisches Geld für Betriebsübernahmen und Bodenkäufe kommt die KTG durch Unternehmensanleihen an der Frankfurter Wertpapierbörse. Erst im Juni plazierte sie eine Emission in Höhe von 50 Millionen Euro, die bereits am ersten Tag deutlich überzeichnet war, weshalb man das Volumen kurzerhand um 20 Millionen aufstockte. Der Großteil der Gelder soll in den Bau neuer Biogasanlagen fließen. Derzeit produziert die KTG an sechs Standorten insgesamt 16 Megawatt (MW) >Biostrom<, bis Ende dieses Jahres will sie die Kapazität auf 25 bis 30 MW erhöhen. Da die Energieerzeugung mit Mais und anderen Nahrungspflanzen angesichts der Hungerkrisen in den armen Ländern nicht das beste Ansehen hat, operiert Hofreiter gern mit Vokabeln wie >Nachhaltigkeit<, >Ernährungssicherung<, >soziales Engagement< und gibt an, >europäischer Marktführer< beim Anbau >ökologischer Früchte< zu sein.

 

 

Die Trojaner

Auf ein Image als umweltbewusstes und soziales Unternehmen ist auch ein anderer Agrarkonzern bedacht: Die Lindhorst-Gruppe aus Winsen an der Aller, kurz JLW (Jürgen Lindhorst Winsen) Holding AG. Mit Pressemitteilungen zu Expan­sionserfolgen hält sich diese Firma jedoch zurück. Laut Selbstdarstellung bewirtschaftet JWL in Ostdeutschland 24.000 Hektar. Das Familienunternehmen ist in der Alt-BRD mit dem Viehhandel groß geworden. Es betreibt heute unter dem Namen Mediko auch Seniorenheime und baut selbst Immobilien für die Pflegebranche. Die Diskretion in Sachen Landwirtschaft hat wohl damit zu tun, dass die JLW offenbar gern die Strategie des Trojanischen Pferdes anwendet: Sie entert bestehende Unternehmen mit Hilfe von Einzelpersonen, deren Verbindung zur Holding nicht erkennbar ist, und gibt sich als Geldgeber und Strippenzieher erst nach und nach zu erkennen. Teilweise haben Leute, die sich als Gesellschafter und Kandidat für den vielfach anstehenden Generationswechsel anbieten, ein leichtes Spiel, zumal die finanzielle Situation vieler Betriebe angespannt ist. Das böse Erwachen, so ein Insider im Gespräch mit jW, folge nach dem Machtwechsel. Da werde im Handstreich alles verkauft, was nicht niet- und nagelfest ist: Maschinen und Anlagen, Viehbestände. >Auf diese Weise will man offenbar so schnell wie möglich das Geld wieder hereinbekommen, das man investiert hat.<

Auf Flächen, die in Ostbrandenburg von KTG, JWL und anderen Konzernen bewirtschaftet werden, wird nach Beobachtung benachbarter Landwirte auf Fruchtfolgen gepfiffen, mit minimalem Personal- und maximalem Einsatz von Pestiziden und Mineraldünger gewirtschaftet. Die Feldarbeiten, meint Eckehard Niemann, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, würden oft >durch ortsfremde, überregional organisierte Landtechnikflotten erledigt<. Im KTG-Konzept ist Viehhaltung nicht vorgesehen, sodass Gülle und Stallmist als Dünger nicht zur Verfügung stehen. JLW wiederum betreibt zwar laut Selbstdarstellung Milchproduktion.
Doch während es in der Firmenhistorie heißt, im Jahr 2001 habe man mit >einer Milchquotenausstattung von 21 Millionen Litern< die >vorerst angestrebte Zielgröße< erreicht, ist in der Darstellung der aktuellen Struktur nur noch von acht Millionen Litern die Rede. Logische Schlussfolgerung: 13 Millionen Liter an Lieferrechten wurden bereits weiterverkauft, also auch die dazugehörigen 1.500 bis 1.600 Kühe. Dies dürfte etwa 30 Menschen ihren Job gekostet haben.

Zu den Großen im ostdeutschen Agrargeschäft gehört auch die Odega-Gruppe, die im Oderbruch und anderen Teilen Ostbrandenburgs auf insgesamt 11.000 Hektar Acker- und Gemüsebau betreibt und zu der einem Bericht der Märkische  Oderzeitung vom Juli zufolge mittlerweile 18 Betriebe gehören - schwer vorstellbar, dass die Mittel für die Übernahme so vieler Unternehmen aus dem regulären landwirtschaftlichen Betrieb kommen - zumal der Chef des Firmenverbundes Anfang des Jahres in einem Zeitungsinterview erklärte, wenn es für Flächen, die 2011 wegen des Binnenhochwassers nicht bestellt werden
können, keine EU-Direktzahlungen gebe, sei man nicht mehr in der Lage die Pachten zu zahlen und müsse zahlreiche Mitarbeiter entlassen.

Industrielle als Investoren

Seit einigen Jahren investieren zudem Industrielle in Ackerflächen der neuen Länder. So hat laut Wirtschaftswoche der westfälische Müllentsorger Rethmann rund 7.000 Hektar in Mecklenburg-Vorpommern erworben. Auch Bernhard Termühlen, ehemaliger Chef des Finanzdienstleisters MLP, hat demnach mehrere tausend Hektar in Ostdeutschland, Polen und Rumänien gekauft.
Seit Anfang dieses Jahres dürfte das Geschäft mit der ostdeutschen Scholle noch einmal an Dynamik gewonnen haben, denn Ende 2010 lief der bevorzugte Verkauf von Flächen an Pächter aus, die das Land seit 1990 bewirtschaften. Seither bekommen nur noch Erben sogenannter Alteigentümer, also im Zuge der
1945er Bodenreform Enteigneter, Flächen zum Sonderpreis - und zwar zu 65 Prozent des Verkehrswerts des Jahres 2004. Das Ende 2010 mit den Stimmen der Regierungskoalition beschlossene zweite Flächenerwerbsänderungsgesetz macht es möglich. Außerdem laufen derzeit zahlreiche langfristige Pachtverträge aus, die die bundeseigene Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft mit den Landwirten abgeschlossen hatte. Dies bedeutet, dass die Treuhand-Nachfolgerin in großem Umfang Flächen auf dem freien Markt verkaufen kann.

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft rief im Juni in einer Pressemitteilung >alle Landwirte, Landkreise, Gemeinden, Politiker, Bürger und Behörden zum verstärkten Widerstand< gegen das Vordringen agrarindustrieller Landbaukonzerne auf. >Diese kapitalfinanzierten Unternehmen sind vor allem an schnellem Gewinn ihrer Aktionäre interessiert<, so AbL-Sprecher Eckehard Niemann. Dies gefährde massiv die nachhaltige Entwicklung von mittelständischen Betrieben, Dörfern, ländlichen Regionen und auch der Bodenfruchtbarkeit<.

Das Konzept von Firmen wie KTG Arar beruhe weitgehend auf >oft millionenschweren Mitnahmeeffekten< bei Bodenpreisen, EU-Flächenprämien sowie Fördermitteln aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Spätestens mit der absehbaren Kappung der Agrarsubventionen für flächenstarke Großbetriebe mit wenigen Arbeitskräften im Rahmen der EU-Agrarreform 2013 sei aber auch bei diesen durchrationalisierten Firmen eine >ernsthafte Rentabilitätskrise absehbar<.