Die große Rettung?

Letzten Freitag haben Merkel, Sarkozy, und natürlich Faymann den Euro gerettet. Und wenn mensch fest daran glaubt, auch noch Griechenland. Oder umgekehrt. Jedenfalls muss es ein gutes "Rettungspaket" gewesen sein, dass sie da "geschnürt" haben, denn "die Märkte" haben vorerst positiv reagiert. Na da können wir ja aufatmen. Klingt wie: nach der Opfergabe sind uns die Götter wohlgesonnen. Vor allem die Aktien von Banken erlebten Kursgewinne nach der Verkündung der noch recht vagen Details des Abkommens der "Staats- und Regierungschefs". Warum? - könnte mensch sich fragen. Heißt es doch, private Gläubiger_innen, also vor allem Banken, beteiligten sich mit dem nicht geringen Betrag von 37 Milliarden Euro.

 

Journalist_innen fragen anscheinend lieber nicht, und so findet sich in der Mainstream-Presse so gut wie keine Erklärung dafür. Als möglicher Grund wird höchstens angedeutet, dass das verabschiedete Papier eben Vertrauen schaffe. Einen zentralen Grund dafür erwähnen die meisten zwar irgendwo, aber sie ziehen den Zusammenhang nicht. Es ist normal, dass zum Thema Finanzkrise nur die Aussagen der "verantwortlichen" Politiker_innen nachgeplappert werden, plus hier und da eingestreuten skeptischen Kommentaren einzelner Expert_innen.

Das vielleicht herausragendste und gleichzeitig am meisten vernachlässigte Detail dieses "Pakets" ist nämlich die Tatsache, dass der Aufgabenbereich des sogenannten Rettungsschirms auf die Rettung von Banken ausgeweitet wird, auch in Staaten, die nicht unter dem "Programm" stehen. Dazu verleiht der "Rettungs"-Fond EFSF (European Financial Stability Facility) den jeweils ohnehin schon hoch verschuldeten nationalen Regierungen Geld, das sie pleitebedrohten Banken hinterherschmeißen sollen. Damit ist garantiert: so lange es nicht zum wirklich großen Krach kommt sind große, "systemrelevante" Banken erstmal mit öffentlichen Geldern gegen eine Pleite aufgrund von zum Beispiel Zahlungsunfällen von Staaten versichert.

Darüber hinaus werden über den EFSF den privaten Gläubiger_innen die griechischen und potentiell bald andere marode Staatsanleihen abgekauft, teils unter ursprünglichem Wert wahrscheinlich, aber mit viel geringeren Verlusten als wenn die privaten Gläubiger_innen direkt betroffen wären von einer Pleite Griechenlands. Falls ein Staat pleite geht, können Banken vorher noch schnell die entsprechenden Schuldscheine loswerden, mit Abkauf-Garantie durch die EU.

Konservative Kreise in den "reicheren" EU-Staaten wittern die Gefahr, die angeblich faulen und unproduktiven Menschen im Süden durchzufüttern, das Wort "Transferunion" blitzt durch die Schlagzeilen, samt Dementi der Herrschenden.

Auf faz.net lesen wir:
"Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verteidigte den Gipfelbeschluss, das Instrumentarium des Rettungsfonds EFSF auszuweiten. Dies sei notwendige Voraussetzung für die freiwillige Beteiligung der privaten Gläubiger an dem zweiten Rettungspaket für Griechenland."
http://www.faz.net/artikel/C30638/rettungsfonds-efsf-sorgen-ueber-die-au...
23. Juli 2011

Die Ausweitung des "Instrumentariums" bedeutet eben, dass die Banken erstmal fein raus sind, weil sie selbst jedenfalls keine bedrohlichen Verluste zu erwarten haben, die nicht staatlich abgefedert wären. Und wie genau welche Banken sich freiwillig an der "Rettung" beteiligen, wird von vornherein weder gesagt noch gefragt.

Die privaten Gläubiger_innen haben zwar Voraussetzungen, also Ansprüche gestellt, ihre Beteiligung bleibt aber weiterhin freiwillig.

Kein Wunder, dass Bankaktien durch diese Nachrichten in Aufwind geraten. Auch freuen dürfte "die Märkte", dass sich die EU-Chef_innen darauf eingeschworen haben, ihre jährliche Neuverschuldung auf 3% zu drücken, was in der herrschenden Logik eine flächendeckende Durchsetzung von "Reformen" bedeuten wird, ist doch das durchschnittliche Defizit in der EU bei 6% (2010). Wir kennen das Programm: schrittweise Streichung des "Sozialstaats" und gleichzeitige Steuersenkung auf Vermögen und Gewinne, "Liberalisierung" des Arbeitsmarktes um das Lohnniveau zu drücken, und Profitraten zu maximieren. All das unter der Fahne der "Wettbewerbsfähigkeit". Mittelfristig haben solche Maßnahmen zwar oft den Effekt, dass "die Wirtschaft einbricht", weil den meisten Leuten kaum mehr das Geld in der Tasche bleibt um ihr tägliches Leben zu bestreiten, geschweige denn die Flut an Konsumgütern zu bewältigen, aber für die kurzfristigen Bereicherungszyklen mächtiger Player sind ein paar Monate oder Jahre eine lange Zeit. Selbst wenn ihr Handeln oder das ihrer politischen Zirkel die Krise letztendlich befeuert ist ihnen jede Maßnahme recht: die sprudelnden Quellen mögen doch jetzt bitte noch nicht versiegen.

Das "Aufatmen der Märkte" ist klarerweise nur in einer temporären Entspannung begründet, die "Investor_innen" spüren, weil ein großes Zusammenbruchs-Szenario vorerst abgewendet scheint, bei Fahrt mit stotterndem Motor, auf Sicht, im Nebel der Krise.

Dass noch ein paar Eisberge mit schwer einschätzbarer Größe auf den möglichen Wegen der nächsten Jahre liegen, ist unbestreitbar. Deshalb sind alle von rot-grün-schwarz bis "liberal" irgendwie froh, dass mit dieser Einigung erst mal ein wenig Zeit gewonnen wird. Der nun trotzdem auftretende Ruf, verschuldete Euro-Staaten oder Pleite-Banken nicht zu retten, müsste eigentlich konsequenterweise den Ruf nach einem Ende des Kapitalismus bedeuten. Statt dessen wird dieses Feld vor allem von der extremen Rechten bedient, die eine Entsolidarisierungskampagne und eine "unser Geld für unsere Leut" - Rheorik fahren.

Nach Portugal oder gar Italien schauen will derzeit keine_r der Politiker_innen, die sich viel lieber an den "die Einigung zur Rettung" goutierenden Bankaktienkurse ergötzen. Hier und da spricht mal irgendein_e Expert_in aus, dass andere Länder dem Weg in die Pleite folgen werden, allein weil sich eben jetzt "die Märkte" auf die nächsten stürzen würden. Dass Portugal bald in einer ähnlichen Lage wie Griechenland sein dürfte schließt kaum mehr irgendwer aus, dass eine Pleite Portugals spanische Banken mitreißen könnte, weil die viele potrugiesische Anleihen besitzen, spricht aber kaum wer aus. Das würde dann nähmlich vermutlich den spanischen Staat überlasten, da der neue Schulden zur Bankenrettung aufnehmen müsste. Und für jeden Staat der Pleite geht, "sinkt das Vertrauen der Märkte" in die anderen Wackelkandidat_innen, die von ihnen zu zahlenden Zinsen steigen, und die Schuldenspirale nimmt erst so richtig Fahrt auf.

Darüber hinaus kann auch die aktuelle "Lösung" für Griechenland nicht lange ausreichen. Schon die Zinsen zu zahlen, ob an Banken oder "den Rettungsschirm", die EZB oder den IWF, wird die Regierung mittelfristig überfordern. Schon allein, weil sie durch die Auflagen eben jener Institutionen zu einer Politik gezwungen ist, die hohe Arbeistlosigkeit sowie ein Schrumpfen der Wirtschaft und damit der Steuereinnahmen als notwendige Folge hat. Das heißt mehr neue Schulden aufnehmen um Zinsen zu zahlen und mangelnde Steuereinnahmen auszugleichen. Ein Ringelspiel. Mit lockeren Sitzen.

Das Problem liegt natürlich nicht wirklich etwa bei Griechenland oder dem Euro, auch nicht bei der verschwenderischen Buchführung einzelner korrupter Eliten oder dergleichen, sondern bei grundlegenden Funktionsweisen des wirtschaflichen und politischen Systems. Selbst wer Kapitalismus als Grundprinzip weiter verteidigt, wird in den nächsten Jahren wohl drauf kommen, dass an der Art und Weise wie Geld generiert wird etwas faul ist: Zentralbanken wie die EZB leihen Privatbanken Geld, diese können dann um ein vielfaches dieses Werts Kredite vergeben, weil sie das bei ihnen auf Konten eingelagerte Geld mitverwenden können. Zurück bleibt Buchgeld, das eigentlich gar nicht existiert, weil es eben nicht da wäre wenn alle oder viele auf einmal ihre Konten leer räumen wollten. Das Verhältnis von "realem" Geld zu aus der Luft verstaubter Tresorräume "geschöpftem" Geld lässt sich kaum bestimmen, damit auch nicht, wie labil welcher Ballon ist und wann oder ob sie jeweils platzen werden.

So etwas wie eine linke Antwort auf die Krise lässt auf weiter sich warten. Das ist im Bezug auf die parlamentarische Linke naturgemäß, könnte mensch sagen, weil eine den bürgerlichen Staat und damit seine Eigentumsordnung akzeptierende politische Strömung kaum andere Antworten haben kann, als die derzeit ausgeführten Not-Flick-Aktionen. Radikalere Kreise sehen die Krise zwar als willkommenen Anlass für umso lauteres Geschrei nach Revolution und Zerschlagung der bestehenden Ordnung. Sie werden damit aber vermutlich eine Randerscheinung bleiben, wenn sie nicht eine alternative Deutung der Krise artikulieren und die falschen, die herrschende Ideologie mittragenden Erklärungen zu den Ursachen und Gegenmaßnahmen entlarven.

Viel besser als die linken Gehversuche in puncto Umgang mit der Krise verkauft sich das rechte Fanfarenblasen im Sinne von nationaler Einheit, Egoismus und Kulturchauvinismus, gepaart mit der Projektion von Schuld für die Krise auf Migrant_innen und andere ohnehin benachteiligte Gruppen. Nach unten treten, weil wir es mit denen da oben eh nicht aufnehmen können, sich gleichzeitig besser fühlen, weil wir ja zu den Überlegenen zählen. Grausliche Zukunftsszenarien, aber durchaus denkbar, wenn eben die rechte Antwort die einzig wahrnehmbare bleibt.

Mit den Anschlägen in Norwegen hat sich der rechte Terror in seiner scheinbar wahnsinnig gewordenen Form gezeigt. Dabei steht der Attentäter und sein abscheuliches Pamphlet politisch für vieles, was auch Regierungs- und Parlamentsparteien in Europa landein landaus verbreiten: Islamophobie, Fremdenhass, völkisches, antifeministisches Denken, und so weiter.

Die Regierungen reagieren auf den Terror aus den eigenen Reihen mit noch mehr "Anti"-Terror, d.h. mit Gesetzen, die Grundfreiheiten aufheben und die Kriminalisierung von politischem Widerstand erleichtern, aber bei Taten wie den gerade in Norwegen geschehenen kaum etwas anrichten können.

Aber das Muster ist ja nicht neu: in krisengeschüttelten Zeiten wird oft von rechts Terror geschürt, damit wird eine Ausweitung der Staatsmacht und Einschränkung von Grundrechten gerechtfertigt, die dann letztlich vor allem gegen radikalere linke Gruppen und Personen verwendet wird. Nicht selten lässt sich bei den Anschlägen hinterher die mehr oder weniger direkte Involvierung staatsnaher oder -tragender Gruppen nachweisen. So geschehen zum Beispiel in Italien oder der Türkei in den 70er und 80er Jahren, noch offensichtlicher in den 20er und 30er Jahren allerorts in Europa, die Liste der Beispiele wäre lang. Der bürgerliche Staat braucht immer eine militant-faschistoide Flanke, deren Akteur_innen in Krisenzeiten die Leinen bei Bedarf etwas länger gehalten werden können.

Es kommen jedenfalls spannungsgeladene Zeiten auf uns zu. Den Beruhigungstönen elitärer Kreise und dem zwanghaft, halb murmelnd gesungenen Loblied auf die neue Einigung der EU-Spitzen zur "Rettung" sind kaum Glauben zu schenken. Sie reihen sich ein in ein ewiges Mantra der Beschwichtigung seit "Ausbruch" der Krise, das nur einen Zweck hat: Einen Flächenbrand zu vermeiden. Die heutigen Staatsschulden, nicht nur die von Griechenland, werden niemals zurückgezahlt. Aber keine_r darf sagen, was eh viele wissen. Denn Märkte verlieren schnell das Vertrauen, sie sind allgemein sehr schreckhafte Wesen.

Und dann geht irgendwann das Licht aus.