„Weltoffenheit und Toleranz sehen anders aus“

Erstveröffentlicht: 
18.07.2011

Wenn Thilo um die Ecke kommt ist der Stress nicht weit. Am letzten Samstag war es wieder so weit. Auf dem „Türkenmarkt“ in Neukölln, im Kreuzberger Restaurant „Hasir“ und bei der Alevitischen Gemeinde prallte Thilo Sarrazin auf diejenigen, derer er sich in seinen Thesen so gerne annimmt.

 

Am Ende des Tages stand als Ergebnis ein abgebrochener Stadtspaziergang, Jubel bei den Sektierern der selbst normierten „Political correctness“ und der Zorn eines aus dem Bezirk Gemobbten.

 

Gewiss, Thilo Sarrazin wurde weder tätlich angegangen noch bedroht. Weder bespuckt noch versperrten Barrikaden seinen Weg. Er beklagt selbst lediglich, dass er angeschrien wurde und das Skandieren von Sprechchören „Nazi, Rassist“. Seine Gegner bezeichnen diesen Vorgang als Beweis politischer Reife der Kreuzberger Zivilgesellschaft. Ist es das wirklich? Ich sage Nein.

Alle Stationen des Spaziergangs waren mit den Beteiligten abgesprochen. Aber dass der Geschäftsführer des Restaurants Thilo Sarrazin nicht mehr bedienen wollte und die Aleviten, die sonst immer für Toleranz und Offenheit eintreten, ihm das Haus verboten, war keine politische Reife, sondern der Triumph von Psychoterror und der Macht des Straßenmobs.

 

Politische Reife wäre es gewesen, wenn die Aleviten ihr Haus für alle geöffnet und eine öffentliche Diskussion zu den Sarrazin‘schen Thesen und dem Empfinden der Betroffenen organisiert hätten. Das wäre eine mutige Reaktion der Zivilgesellschaft gewesen. So bleibt nur wieder der Geruch von politischem Chaotentum.

 

Thilo Sarrazin versteht sich gern als „Agent provocateur“. Er spielt auch mit den Gefühlen seiner jeweiligen Zielgruppe. Er ist dabei häufig nicht sehr zimperlich. Insofern steht ihm die Rolle der Mimose nicht wirklich. Die Kreuzberger Politik-Maxime „Richtig ist nur, was uns gefällt, reden darf nur, wer unserer Meinung ist“, entspricht nicht meinem Demokratieverständnis. Die Wahrheit nur für sich selbst zu pachten, ist Wesensmerkmal des Totalitarismus. Weltoffenheit und Toleranz sehen bei mir anders aus. Da sind wohl einige Leute bei der politischen Reifeprüfung durchgefallen.

 

Der Artikel von Heinz Buschkowsky ist am 18.07.2011 in der BILD-Zeitung erschienen.