Antikriegskonferenz in Strasbourg diskutierte auch über die Protestaktionen
Seinen symbolischen Höhepunkt erlebte der Internationale
Friedenskongreß, der gestern in Strasbourg zu Ende ging, als
Matthis Giraux und Malalai Joya auf die Bühne kamen: der eine
ein desertierter Sergeant der US-Armee als Teil der
Besatzungskräfte in Afghanistan, die andere eine afghanische
Frauenrechtlerin. Die beiden lernten sich auf dem Kongreß
kennen. »Ich möchte Malalai sagen, wie leid mir die
Gewalt tut, die von meinem Volk ausgeht«, sagte der emotional
aufgewühlte Exsoldat. Joya erwiderte unter dem Beifall der
knapp 400 Konferenzbesucher, es sei an den Regierungen, sich zu
entschuldigen. »Sie benutzen euch für den Krieg, und sie
betrügen uns um Demokratie und Frauenrechte.« Letzteres
offenbar auch in Europa selbst, denn Joya erklärte, sie habe
in Strasbourg »eine Farce von Demokratie« erlebt.
Darin waren sich alle Konferenzteilnehmer einig. Der sonst nicht um
Worte verlegene Bundesgeschäftsführer der Deutschen
Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen,
Monty Schädel zeigte sich noch gestern im jW-Gespräch
schockiert und sprach davon, er habe Ereignisse erlebt, »die
ich mir bisher gar nicht vorstellen konnte«. Er habe
größten Respekt vor all jenen, die stundenlang unter
Tränengasbeschuß standen, weil ihnen die Polizei den Weg
zur Auftaktkundgebung verwehrt hatte. »Unsere kleine
Angst« angesichts Tränengas und Polizeigewalt
veranschauliche einen Bruchteil dessen, was die Menschen in
Kriegsgebieten erleiden müssen, sagte der US-Wissenschafter
Joseph Gerson.
Gezielt provoziert
»Die Linie der Behörden lautete: Es soll keine Demo in
Strasbourg geben«, faßte Arienne Denis vom
französischen Mouvement de la Paix zusammen. Reiner Braun vom
Internationalen Koordinierungsgremium (ICC) ergänzte, die
Polizei habe seit einer Woche provoziert und friedliche
Demonstranten angegriffen, um die Protestierenden
einzuschüchtern. Die Organisatoren wollen in Kürze ein
Dossier mit Zeugenaussagen erstellen, auch die Linksfraktion im
Bundestag werde den Polizeieinsatz aufklären helfen, so
Braun.
Im Detail zeigte sich die Konferenz weniger einig in der Bewertung
der Ereignisse rund um die behinderte Demonstration. Reiner Braun
distanzierte sich pauschal von jeglicher militanter Aktionsform:
»Wir werden nie Gewalt gegen Menschen und Dinge
akzeptieren«, weil dies die Zustimmung der Bevölkerung
vereitele. »Diese Leute gestern«, sagte er mit Blick
auf den sogenannten schwarzen Block, »haben der NATO
geholfen.«
Dafür gab es Zuspruch vom Podium, aber Kritik aus dem
Publikum. Eine Frau, die sich selbst dem schwarzen Block
zurechnete, sieht einen Grund für die Kontroverse in der
unterschiedlichen sozialen Zusammensetzung der beiden Spektren. Es
gebe nur wenig Überschneidungen zwischen denjenigen, die auf
dem Camp waren, und jenen, die den Kongreß besuchten. Anstatt
sich voneinander zu distanzieren, solle man sich gegenseitig
zuhören.
Kritische Hinweise
Insgesamt litt der Kongreß unter einer gewissen Zerfaserung.
In einer Menge Workshops tauschten sich Antikriegsaktivisten,
Wissenschaftler und Politiker aus praktisch sämtlichen
NATO-Staaten aus, eine Zusammenführung dessen, was dort
besprochen wurde, gab es jedoch nur in Ansätzen. Auch
über den Widerstand, der in Ländern wie Irak und
Afghanistan gegen die NATO geleistet wird, wurde nur wenig
gesprochen. Die Anregung von Christiane Reymann (Die Linke), eine
feministische Sicht auf Krieg und Gewalt zu entwickeln, fand
ebensowenig Resonanz wie der kritische Hinweis aus dem Publikum, es
gebe auch in der Protestbewegung ein erhebliches Maß an
»patriarchaler männlicher Gewalt«.
Insgesamt zeigten sich die Initiatoren aber zufrieden, so wie auch
Tobias Pflüger, Abgeordneter der Linksfraktion im
Europaparlament. »Die NATO wird kein einziges
Jubiläum mehr feiern können, bei dem sie ungestört
bleiben wird«, so Pflüger.
Von Frank Brendle